Journalistin zu Missbrauch in Portugal: Es wird wenig hinterfragt
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4.815 Fälle zwischen 1950 und 2010 – das ist das Ergebnis einer im Januar vorgestellten Missbrauchsstudie für die katholische Kirche in Portugal. Das Thema beschäftigt die Menschen in dem kleinen Land, in dem derzeit der Weltjugendtag (WJT) stattfindet, sagt die katholische Journalistin Christina Weise. Im Interview vergleicht sie den Umgang mit der Missbrauchskrise mit der Kirche in Deutschland.
Frage: Die katholische Welt blickt nach Portugal, wo diese Woche über eine Million Menschen zum Weltjugendtag erwartet werden. Nun steht die Kirche in Portugal nicht im besten Licht da, seit im Januar eine verheerende Missbrauchsstudie veröffentlicht wurde. Welche Rolle spielt das für den WJT?
Weise: Die Studie hat für sehr viel Aufruhr gesorgt, weil weder die Bevölkerung noch die Regierung erwartet hatten, dass die Zahlen so hoch sein werden. Ich glaube, noch schlimmer war dann aber der Umgang der Portugiesischen Bischofskonferenz damit.
Kurz zusammengefasst gab es eine unabhängige Kommission, die ein Jahr lang anonym Missbrauchsfälle gesammelt hat. Man konnte sich melden, das einreichen und mit denen sprechen. Es waren Psychologen dabei, Soziologinnen, ein ehemaliger Richter, also unterschiedliche Menschen. Diese Studie wurde in einem großen Rahmen vorgestellt. Daraufhin hat die Bischofskonferenz sich zurückgezogen. Im Vorfeld wurde Verschiedenes gefordert: Ausgleichszahlungen, die auch angekündigt wurden und dass diese Studie weiterläuft, dass es weiterhin diese Kommission geben soll oder auch ein Büro oder eine Stelle, wo sich Menschen hin wenden können.
Bisher passiert aber nichts. Was bekannt gegeben wurde, ist, dass es keine Ausgleichszahlungen geben wird. Und auch die Diözesen sehen selbst, wie sie mit den jeweiligen Priestern oder Kirchenmitarbeitern umgehen. Das heißt, es gibt keine Handlungen von Seiten der Kirche.
Tausende Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche Portugals
Zahlen, die erschrecken: Ein neuer Bericht zeigt, wie viele Kinder in den vergangenen 70 Jahren in Portugals Kirche Opfer von Missbrauch wurden. Genannt wird auch das Durchschnittsalter der Betroffenen – und welche Gruppe überwiegend Täter war.
Frage: Wird das Thema beim Weltjugendtag denn eine Rolle spielen?
Weise: Es gab die Ankündigung, dass während des Weltjugendtages ein großes Denkmal der Missbrauchsopfer eingeweiht werden soll, um zu sagen: Wir sehen euch und es ist ein Thema. Da wurde jetzt vor ein paar Tagen gesagt: Das wird nicht passieren. Das Denkmal sei noch nicht fertig.
Und da gibt es jetzt zweierlei Kritik dran. Einmal die Kritik, dass während des Weltjugendtages scheinbar das Thema nicht aufkommen soll. Opfergruppen und Verbände sagen aber auch: Was soll das eigentlich? Wollt ihr damit einfach nur eure Weste reinwaschen? Es ist uns egal, ob es ein Denkmal gibt oder nicht. Wir wollen, dass das Thema anders behandelt wird.
Das ist aktuell in der Bevölkerung weiterhin ein großes Thema. In den Medien ist es das aktuell nicht wirklich, weil sich natürlich gerade auf andere, infrastrukturelle Probleme, was den Weltjugendtag angeht, konzentriert wird. Aber auch innerhalb der Kirche oder der Katholikinnen und Katholiken ist es ein großes Thema. Ich habe jetzt mit einigen gesprochen, die sagen, sie wollen zeigen, dass die Kirche mehr ist als das, dass sie eine lebendige Kirche sind und dass sie dazu gehören.
Es gab in Portugal keine großen Austrittszahlen aus der Kirche. Es gab schon auch viele, die gesagt haben: Ja, das ist passiert, das ist aber auch in anderen Ländern passiert; wir machen weiter. Es ist schwierig, das beispielsweise mit Deutschland oder auch Frankreich zu vergleichen, weil die portugiesische Bevölkerung sehr ruhig ist. Bis hier jemand auf die Straße geht, bis es hier Revolte gibt, bis jemand laut wird und es Proteste gibt, das dauert sehr lange. Auch was dieses Thema angeht. Das heißt, es ist ein Thema, es wird darüber gesprochen, aber es wird nicht richtig auf den Tisch gehauen und es werden keine Forderungen aufgestellt, sondern es ist dann eher ein passiver und ruhigerer Protest.
Frage: Man spricht von 4.815 Fällen zwischen 1950 und 2010. Wenn wir uns die deutsche Studie angucken, die in einem ähnlichen Zeitraum erstellt wurde, sind es 3.766. Das ist in der Dimension also noch größer als Deutschand. Portugal hat eine Kirchenzugehörigkeit von um die 90 Prozent Katholiken. Weshalb ist es nicht zu diesem, ich nenne das mal Abnabelungsprozess gekommen wie bei uns? Die Leute stehen immer noch hinter ihrer Kirche.
Weise: Ob sie alle hinter der Kirche stehen, finde ich sehr schwierig zu sagen. Der Großteil der portugiesischen Bevölkerung ist katholisch, auch der Jugendlichen. Bei den Jugendlichen ist es die Hälfte. Da gab es jetzt eine Studie, ich glaube, es sind 42 Prozent auf dem Papier. Gerade in ländlichen Gegenden, in kleineren Orten sind die Gemeinden sehr lebendig. Allgemein ist die portugiesische Bevölkerung sehr katholisch und auch aktiv in der Kirche.
Es gibt viele Pfadfinderinnen und Pfadfinder oder andere katholische Organisationen. Auch in den Schulen wird der Glaube gelebt. Das ist wirklich eine lebendige Kirche. Es ist wirklich schön zu sehen. In der Stadt ist es teilweise etwas weniger sichtbar oder weniger spürbar, weil natürlich in einer Großstadt noch sehr viel anderes ist.
Es ist aber auch eine unkritische katholische Bevölkerung. Es wird sehr wenig hinterfragt. Und sie sind, ich sage das jetzt mit einem deutschen Blick, sehr obrigkeitshörig insgesamt. Kritik wird nicht unbedingt gerne gesehen, wird auch nicht gerne geäußert. Wer kritisiert, stellt sich in den Mittelpunkt. Es wird viel ausgehalten. Teilweise ist man auch ein bisschen stolz darauf, dass man viel aushalten kann als Volk. Es ist eine andere Kultur und ein anderer Umgang mit Schwierigkeiten, als wir das machen oder angehen würden.
Es sind sehr viele Fälle, gerade für ein kleines Land im Vergleich zu Deutschland. Und das sind auch nur die wirklich absolut bestätigten Fälle. Das heißt, die Dunkelziffer ist sehr groß. Es gibt noch viele weitere Fälle. Und die meisten, die sich gemeldet haben, sind aus den 1950er, 1960er und 1970er-Jahren. Die sind nicht von heute, die sind nicht aktuell.
Darauf beziehen sich viele Leute, die sagen, das sei ja früher gewesen und sie wollen jetzt erst mal zeigen, heute ist es nicht so. Das stimmt nicht, denn einige der Täter sind aktuell auch weiterhin im Dienst. Das ist ein ganz anderer Umgang damit und das ist meiner persönlichen Meinung nach schon ein Augenverschließen vor einem sehr großen und sehr schwierigen Thema.
Wie gehen wir damit um? Was fordern wir von wem ein? Wir sind gewohnt, dass das Respektspersonen sind. Gerade gibt es dieses Gefühl, nicht ganz genau zu wissen, wie man damit umgehen soll. Und dann ist gerade auch noch der Weltjugendtag. Es kommt sehr viel zusammen.
Natürlich gibt es gleichzeitig auch Menschen in den Gemeinden, die gesagt haben: Wie können jetzt Jugendliche hierhin kommen in ein Land, wo so etwas passiert? Also es ist ihnen gleichzeitig auch unheimlich unangenehm und es gibt eine große Angst, dass etwas Schlimmes passieren könnte, wenn die Öffentlichkeit einmal auf das Land guckt.