Das Glück der Unerreichbarkeit
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"Ich bin dann mal eine Woche offline." Dieser Satz eines Freundes sticht aus meinen täglichen Smartphone-Benachrichtigungen heraus. Noch am Abend gehen mir seine Worte durch den Kopf und in Gedanken male ich mir für ihn eine paradiesische Zeit aus: Urlaub an einem abgelegenen Ort, Exerzitien im Kloster oder eine anspruchsvolle Bergtour. Die Kommentare in der Chat-Gruppe fallen unterschiedlich aus: Beneidenswert. Werdʼ bloß nicht rückfällig! Respekt, alles Gute! Oh je, mein Beileid. Viel Erfolg! Alles klar, bis bald.
Für ein paar Stunden, einen oder mehrere Tage oder Wochen offline, also nicht erreichbar zu sein, ist für manche ein absoluter Traum, für andere der reine Horror. Wir surfen, chatten, mailen mit dem Smartphone wie die Weltmeister. Wir streamen Serien und checken parallel Push-Benachrichtigungen. Wir sind in die Arbeit am PC vertieft, lassen uns aber durch neue Mitteilungen der kleinen Online-Box am unteren Bildschirmrand sofort aus dem Konzept bringen. Bei so viel Multi-Tasking ist es kein Wunder, dass bei manchen der Wunsch nach einer digitalen Auszeit wächst.
Immer online sein
Der ständige Griff zum Smartphone und der unruhige Blick auf die Smartwatch oder den PC sind für die meisten von uns Alltag. Unser Handy ist in Dauergebrauch, Videochats und Video-Nachrichten sind beliebt wie nie zuvor. Das Checken und Updaten der eigenen Online-Accounts ist für viele so selbstverständlich und notwendig wie Atmen, Essen oder Trinken. Wir können nicht mehr ohne leben, vom Aufwachen bis zum Einschlafen und auch den Bitte-nicht-stören-Modus kann man ja mal kurz umgehen. Statistisch betrachtet greifen wir pro Tag durchschnittlich 84 mal zum Smartphone, die einen häufiger, die anderen weniger. Wie sieht eigentlich meine persönliche Tagesstatistik aus? Etwa alle 13 Minuten scrollen die meisten von uns durch digitale Angebote und Nachrichten unserer Freunde, Bekannten, Geschäftspartner und derjenigen Medien und Chats, die wir als persönliche Leitmedien betrachten und die der Algorithmus uns zuspielt. Infolgedessen ist es um unsere Konzentration, Produktivität, unsere psychische und physische Gesundheit und unser Sozialleben nicht unbedingt rosig bestellt. Ob es wohl deshalb in letzter Zeit so viele Tanz-, Turn- und Mithüpf-Videos gibt, die zum Nachmachen oder Mitmachen animieren wollen? Doch wer hat dazu schon jeden Tag die Motivation? Zuschauen ist leichter als selber machen.
Eigentlich wurde die smarte Kommunikations-Technik dazu erfunden, um unseren Alltag zu erleichtern. Auf der einen Seite tut sie das tatsächlich: Außer im Funkloch sind wir und alle, die uns lieb, teuer und wichtig sind, rund um die Uhr erreichbar. Nie zuvor waren wir so gut vernetzt wie heute. Via Smartphone und Internet können wir von zuhause aus oder von unterwegs Termine vereinbaren, Absprachen treffen, Oma das notwendige Medikament bestellen, im Notfall auf der Landstraße einen Krankenwagen rufen und vieles mehr. Unsere Handys sind kabellos und passen in jede Hand-, Rock- und Hosentasche. Sie sind unsere ständigen Begleiter als Wecker, Kalender, mit Warn- und Erinnerungsfunktion, Kamera, Spiegel, Tagebuch, Navigator, Nachschlagewerk und sogar als Übersetzungshilfe. Sie helfen uns aus der Patsche bei Langeweile, Einsamkeit, Schlaflosigkeit oder Traurigkeit. Auch das Vergnügen kommt nicht zu kurz, Social-Media-Angeboten, Musik, Spielen und Videos sei Dank.
Aber wehe der Akku , die Powerbank, das Strom- und WiFi-Netz sind am Ende! In südlichen Regionen jenseits der industrialisierten Länder ist das übrigens keine Seltenheit. Viele geraten dann in Panik, schließlich könnten sie ja etwas Wichtiges verpassen. Wir sehen: beides ist mit Stress verbunden, ständig online zu sein genauso wie plötzlich offline dazustehen.
"Aber es gibt einen Ausweg", schreibt ein Experte und Anbieter von so genannten Offline-Seminaren. War ein fehlender Internetzugang vor gar nicht so langer Zeit bei der Wahl der Urlaubsunterkunft für viele Ausschlusskriterium, hat sich das in den letzten Jahren gedreht. Mittlerweile hat die Tourismusbranche das Thema "Digital Detox" für die Zielgruppe gestresster Digital Natives entdeckt. Handyfreie Zonen in Bergdörfern, Strandparadiesen und entlegenen Ecken werden rund um den Globus angepriesen. Der Begriff "Detox" meint hier keinen Frucht- oder Gemüse-Smoothie, steht aber im Zusammenhang mit einer Diät oder vielmehr mit Entgiftung. Detox bedeutet, den Körper von Schadstoffen zu reinigen, zumindest in der Theorie. Was klingt wie eine Saftkur, hat letztlich folgendes Ziel: den Stressfaktor, der durch ständige Erreichbarkeit sowie die unaufhörliche Informationsflut entstehen kann, zu verringern.
Digital-Detox als Reinigung
"Das Glück liegt in der Unerreichbarkeit", propagierte die Kommunikationsforscherin Miriam Meckel schon vor einigen Jahren und zog das Fazit: "Wir brauchen Kommunikationspausen. Wer sich verständigen und verstanden werden will, muss nachdenken können und sich erklären dürfen. Für jemanden oder etwas wirklich da zu sein bedeutet, auch mal abzuschalten."
Zwei, drei Tage ohne Handy? – Da geht die Welt nicht unter. Im Gegenteil, es ist wie eine Kurzurlaub oder eine Frischekur: man schaltet ab von all dem sonstigen Lärm und Mist. Man kommt zur Ruhe. Wie gut das funktioniert, lässt sich am besten in Klöstern und Ordensgemeinschaften beobachten. Abschalten, zur Ruhe kommen, beten, schweigen, die Stille hören und in allen diesen Dingen Gott finden, ganz ohne digitale Suchmaschine. Da öffnet sich eine ganz neue Welt.
Die Autorin
Schwester Dr. Maria Gabriela Zinkl SMCB ist Borromäerin im Deutschen Hospiz St. Charles in Jerusalem und arbeitet als Dozentin für Kirchenrecht und als Pädagogin. Für "Spiritea" schreibt sie regelmäßig Texte über Themen rund um Spiritualität und Glaubensalltag.
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