Zehntausende fliehen aus Eritrea übers Mittelmeer nach Europa

Der Exodus aus Eritrea

Veröffentlicht am 21.04.2015 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Flüchtlinge

Asmara ‐ Zehntausende Menschen aus Eritrea versuchen jedes Jahr, mit einer gefährlichen Fahrt über das Mittelmeer ein neues Leben in Europa zu beginnen. Die Überfahrt endet für viele tödlich - und doch scheint das hohe Risiko den Flüchtlingen die bessere Alternative zu sein, als weiter in dem bettelarmen und diktatorisch regierten Staat am Horn von Afrika eingesperrt zu bleiben.

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Eritreer sind dem UN-Flüchtlingshilfswerk zufolge die zweitgrößte Gruppe der Bootsflüchtlinge, nur aus dem Bürgerkriegsland Syrien kommen noch mehr Menschen. Unter Asylbewerbern in Deutschland waren Eritreer im vergangen Jahr die drittgrößte Gruppe.

"Der Hauptgrund für die Flucht ist die unglaubliche Unterdrückung aller Freiheitsrechte durch die Regierung", sagt Leslie Lefkow, die stellvertretende Afrika-Direktorin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Eine Opposition gibt es in dem Land so wenig wie unabhängige Medien oder zivilgesellschaftliche Gruppen. Tausende Dissidenten sitzen seit Jahren unter schrecklichen Bedingungen im Gefängnis. Das US-Außenministerium etwa wirft Eritrea auch Entführungen, Folter und die gezielte Ermordung von Oppositionellen vor.

Präsident Isaias Afwerki regiert das Land seit der Unabhängigkeit von Äthiopien 1993 mit eiserner Faust, Wahlen gibt es nicht. Eritrea wird daher auch bisweilen als das "Nordkorea Afrikas" bezeichnet - in Anlehnung an die Diktatur von Kim Jong Un. Eritrea ist ebenfalls nahezu vollständig abgeriegelt: Unabhängige Stimmen im Land gibt es nicht, internationale Medien können dort keine Mitarbeiter haben und Visa sind kaum zu bekommen. Selbst die Sondergesandte der Vereinten Nationen zur Menschenrechtslage in Eritrea, Sheila B. Keetharuth, darf das Land nicht betreten.

Im vergangenen Jahr kam jeder fünfte Bootsflüchtling in Italien aus Eritrea, insgesamt laut UNHCR 34.300. Die Situation in Griechenland ist ähnlich. Asyl beantragen die Eritreer dann vor allem in Schweden, Deutschland und der Schweiz. In der Bundesrepublik waren es im vergangenen Jahr 13.200. Nur aus Syrien (39.300) und Serbien (17.200) kamen nach Angaben des Bundesamtes für Migration mehr Asylbewerber.

Zur Flucht nach Europa machen sich vor allem junge Menschen auf. Dabei spielt die Wehrpflicht eine besonders große Rolle: Eritrea zwingt alle Bürger ohne Ausnahme mindestens 18 Monate zum Dienst an der Waffe. Viele werden jedoch auch Jahre darüber hinaus gegen ihren Willen beim Militär behalten, Menschenrechtsorganisationen sprechen von moderner Sklaverei. "Das ist ein großer Beweggrund für den Exodus aus Eritrea", sagt Lefkow. "Die Rekruten werden kaum bezahlt und werden oft missbraucht."

Sklaverei und Zwangsarbeit sind in Eritrea eigentlich verboten. Für den Militärdienst gilt jedoch dem US-Außenministerium zufolge seit 1998 eine Ausnahmeregelung. Wegen des Kriegs mit Äthiopien wurde damals der Ausnahmezustand verhängt.

Die Geflohenen stabilisieren das Regime

Die Regierung Eritreas sieht der Massenflucht aus dem Land offenbar mit zynischer Gelassenheit zu. Die jungen und kritischen Menschen verlassen das Land, doch dann helfen sie, das Regime zu stabilisieren. Viele Flüchtlinge schicken aus dem Ausland regelmäßig Geld nach Hause. Zudem treibt die Regierung nach UN-Angaben eine "Diaspora-Steuer" von zwei Prozent des Einkommens der Flüchtlinge ein, entweder über Botschaften, illegale Steuereintreiber oder bei einem eventuellen Heimatbesuch.

Neben der politischen Unterdrückung spielt bei der Entscheidung der Eritreer zur Flucht auch die Armut in dem Land eine große Rolle. Dem UN-Entwicklungsindex zufolge, der auch Faktoren wie die Gesundheitsversorgung und Schulzeiten mitbetrachtet, ist Eritrea das fünftärmste Land der Welt. Das Bruttoinlandsprodukt des abgeschotteten Landes mit rund sechs Millionen Einwohnern lag dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge 2014 bei rund vier Milliarden Dollar, das deutsche bei rund 3.800 Milliarden Dollar. "Viele Eritreer haben inzwischen einfach die Hoffnung verloren", sagt Lefkow.

Von Jürgen Bätz (dpa)