"Ich behandele ihn wie einen Bruder – nicht wie den Pontifex"

Beichtvater des Papstes: Er will eine Kirche, die sich selbst erneuert

Veröffentlicht am 09.11.2023 um 00:01 Uhr – Von Tobias Käufer (KNA) – Lesedauer: 

Buenos Aires ‐ Sie behandeln sich wie Brüder, sagt der "Beichtvater des Papstes" über seine Freundschaft mit Franziskus. Zudem berichtet er von den Zukunftsplänen des Papstes für die Kirche und was ihm zu einer Papstreise nach Argentinien bekannt ist.

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Der argentinische "Beichtvater des Papstes", Kardinal Luis Pascual Dri, rät der Politik seines Heimatlandes zu einem versöhnenden Stil ohne verbale Attacken. Argentinien brauche zwar einen radikalen Wandel, aber keine radikale Partei - und zudem einen Papstbesuch, so Dri im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Vor wenigen Wochen hat Franziskus den 96-jährigen Kapuziner vom Santuario di Nostra Signora di Pompei in Buenos Aires zum Kardinal ernannt. Im Interview spricht er über seine Beziehung zum Papst und über das Gerücht, er habe Fußball-Legende Diego Maradona getauft.

Frage: Kardinal Dri, wie haben Sie von der Nachricht erfahren, dass der Papst Sie zum Kardinal ernannt hat?

Dri: Das war wie ein Eimer kaltes Wasser. Es war sechs Uhr morgens, ich las gerade Vatikan-Nachrichten. Als ich dann erfuhr, dass ich Kardinal werde, habe ich geweint. Wissen Sie, ich komme vom Land, bin ein einfacher Mensch. Ich hätte nie gedacht, dass der Papst diesen kleinen Käfer, diesen Kapuziner, zum Kardinaldiakon ernennen würde, niemals. Danach habe ich so viele Anfragen bekommen und mehr als 30, 40 Briefe von Kardinälen, Bischöfen und sogar Laien aus der ganzen Welt, die mir gratuliert haben. Ich danke allen; dem Volk Gottes, dem Papst. Ich bin einfach ein Priester; und das einzige, was ich tue, ist die Beichten abzunehmen. Ich tue nichts anderes. Nach der Ernennung haben der Papst und ich per Brief miteinander gesprochen; ich habe ihm gedankt.

Frage: Wie ist denn Ihre persönliche Beziehung zum Papst?

Dri: Er kam damals immer zur Mittagszeit zu mir, um mit mir über alles zu reden. So haben wir uns immer gut verstanden. Er fragte nach einem Beichtvater und setzte sich zu mir. Es war eine natürliche Beziehung von Freundschaft, Vertrauen und Zuneigung, die sich entwickelte. Später hatte ich 2018 die Gelegenheit, nach Rom zu fahren. In diesen zehn Tagen hatte er einen Moment, in dem er beichten wollte. Er ist ein einfacher Mann, so ruhig, so ausgeglichen. So ist meine Freundschaft mit ihm entstanden. Ich behandele ihn wirklich wie einen Bruder – nicht wie den Pontifex, der weit weg ist. Ganz und gar nicht. Er behandelt mich auch so.

Frage: Wie würden Sie den Papst charakterisieren?

Dri: Der Papst ist sehr klar, sehr direkt, sehr respektvoll. Er sagt die Dinge klar und deutlich und erklärt, wohin er gehen will. Eine offene Kirche; eine Kirche, die präsent ist, die sich als Schwester erkennt; eine Kirche, die Platz für alle hat; eine Kirche, die wie die Synode ist. Er ist sich darüber im Klaren, was er will. Er will zu einer Kirche zurück, die das Evangelium lebt. Eine Kirche, die sich selbst erneuert. Er sagt, dass "stehendes Wasser verfault". Er will eine Kirche, die immer in Bewegung ist, die immer auf dem neuesten Stand ist. Fragen, mit denen er nicht einverstanden ist, beantwortet er ruhig, langsam; er hört sich alles an und antwortet mit biblischen Argumenten.

Frage: Es gibt Spekulationen über einen Papstbesuch in Argentinien. Hat er Ihnen etwas dazu gesagt?

Dri: Das wäre wünschenswert. Ich glaube, er würde Argentinien sehr gut tun, wenn er käme. Wir sind in der Politik ziemlich gespalten, auch in der Kirche. Es ist nicht alles rosig. Wenn der Papst also eines Tages ein Wort, eine Hoffnung mitbringt, könnte er sagen: "Vergebung ist der Sauerstoff, der die vom Hass verschmutzte Luft reinigt", so etwas in der Art. Oder auch: "Vergebung ist das Lächeln Gottes". Aber trotz unseres Vertrauens hat er mir nicht gesagt, ob er nach Argentinien kommt oder nicht.

Kardinal Jorge Mario Bergoglio während einer Messe in Buenos Aires.
Bild: ©KNA

Kardinal Jorge Mario Bergoglio während einer Messe in Buenos Aires.

Frage: Sie sind 96 Jahre alt und haben Argentinien in all seinen Facetten in den vergangenen Jahrzehnten erlebt. Wie hat sich das Land verändert?

Dri: Argentinien hat sich auf jeden Fall verändert. Das Land hat sich wirtschaftlich verschlechtert; im Gesundheits- und Bildungswesen verschlechtert es sich weiter. Wir brauchen eine echte Wende. Ich höre immer, dass Argentinien sehr reich ist - und dennoch sagt jeder, der über die Wirtschaft spricht, dass wir nicht über die Runden kommen. Ich würde sagen, dass wir einen beinahe radikalen Umschwung brauchen, aber nicht durch eine radikale Partei.

Frage: Das Land scheint so gespalten wie selten zuvor. Was raten Sie argentinischen Politikern, um diesen Graben zu überwinden?

Dri: Mein Ratschlag als Priester und Ordensmann ist, dass sie lernen, einen Dialog miteinander zu führen. Es ist nötig, sich hinzusetzen und einander zuzuhören. Aber ich habe den Eindruck, dass sie immer das letzte Wort, die Macht, den Reichtum haben wollen - und das ist nicht gut. Beleidigungen unter Politikern führen zu nichts, absolut nichts. Respekt vor der Person, egal ob man mit ihr übereinstimmt oder nicht, ist entscheidend. Ob jemand gläubig oder ungläubig ist, spielt keine Rolle. Jede Person hat ihre Würde. Jeder sollte darüber nachdenken, was gesagt wird.

Frage: Und welchen Ratschlag haben Sie an die Kirche, damit sie ihre Stellung in der Gesellschaft behält?

Dri: Im Grunde geht es um die ständige Aussaat des Evangeliums. Das gute Zeugnis, dass wir Priester gute Beispiele für Demut und Dienen sind. Wir sollten nie glauben, dass wir über anderen stehen, wegen der Titel von Priestern, Bischöfen, was auch immer. Wir sollten den Menschen als Brüder und Schwestern dienen, um damit mehr Menschen zu erreichen. So wie es Jesus getan hat. In allen Vierteln und an allen Orten präsent zu sein, so wie es der neue Erzbischof Jorge Ignacio de Garcia Cordoba von Buenos Aires gerade tut, ist meiner Meinung nach ein Weg für die Kirche.

Die Kirche Jesu war eine Kirche des Dienens. Jesus wusch den Menschen die Füße und sagte: "Ihr sollt dasselbe tun." Die Fußwaschung ist also ein Symbol für Zuhören, Verständnis, Mitgefühl. Solidarisch zu sein mit den Bedürfnissen, immer aufmerksam und nicht gleichgültig zu sein gegenüber denen, die leiden. In der Welt, in Gaza, in der Ukraine und in Russland muss die Kirche da sein und dienen.

Frage: Es gibt in Argentinien die Erzählung, dass Sie Fußball-Legende Diego Armando Maradona getauft hätten? Stimmt das?

Dri: Nein. Maradona wurde zwar in meiner Kirche getauft – aber das war nicht ich.

Von Tobias Käufer (KNA)