Erzbischof Burger: Wir müssen friedenstauglich werden
Der Jahresrückblick von Caritas-Bischof Stephan Burger könnte entmutigt ausfallen. Im Interview zeigt sich der Freiburger Erzbischof aber überzeugt, dass Christen für Frieden und Solidarität eintreten können. Die wachsende soziale Spaltung nennt er skandalös – und die AfD demokratieverachtend.
Frage: Herr Erzbischof, können Sie in Ihrer Weihnachtspredigt verkünden 'Von Weihnachten geht die Botschaft des Friedens aus!', während gleichzeitig in der Ukraine, in Nahost und in weltweit mehr als 200 Kriegen täglich Menschen sterben?
Burger: Ja, das kann ich, trotz allem und mit voller Überzeugung. Und erst recht im Blick auf den Krieg zwischen Hamas und Israel. Als Christinnen und Christen glauben wir, dass mit der Geburt Jesu in Bethlehem Licht und Friede in die Welt gekommen sind. Das Licht des Friedens kommt aus dem Heiligen Land. Wir brauchen dieses Licht dringender denn je, vor allem dort und in den anderen Kriegsgebieten!
Frage: Aber erreichen Sie mit dieser Überzeugung auch Menschen?
Burger: Die Relevanz der christlichen Friedensbotschaft hängt von jedem Einzelnen ab. Ob sie oder er bereit sind, sich dieser Friedensbotschaft zu öffnen.
Frage: In Talkshows haben Militärstrategen und Verteidigungspolitiker das Wort übernommen. Der Bundesverteidigungsminister sagt, wir müssen kriegstauglich werden. Stimmen Sie dem zu?
Burger: Wir müssen friedenstauglich werden. Politik darf sich nicht darauf beschränken, unser Land immer besser für Krieg und militärische Auseinandersetzungen zu rüsten, so sehr das realpolitisch derzeit gefordert sein mag. Ziel muss es vielmehr sein, alles für Frieden zu tun. Der Krieg in der Ukraine ist zum Stellungskrieg geworden. Wir brauchen auf der Grundlage des Völkerrechts eine diplomatische Lösung.
Frage: Teilen Sie die Beobachtung, dass Armut und soziale Ungleichheit in Deutschland wachsen und das gesellschaftliche Klima eisig geworden ist?
Burger: Das Verhältnis von Arm und Reich in unserem Land wird immer fragiler. Insofern ist mir unverständlich, wenn nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur irregulären Haushaltsführung nun einige Politiker fordern, als erstes die Ausgaben im Sozialen auf den Prüfstand zu stellen.
„Die christliche Überzeugung, wonach jeder Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist, macht eine Zusammenarbeit mit rechtsradikalen und populistischen Gruppen mit einem demokratie- und menschenverachtenden Programm unmöglich.“
Frage: Immer mehr Menschen können sich die über Monate drastisch gestiegenen Lebensmittelpreise nicht mehr leisten. Was sind die sozialen Folgen?
Burger: In Freiburg und vielen anderen Städten versuchen die Tafeln zu helfen, können aber den Ansturm kaum bewältigen. Ich empfinde es als skandalös und beschämend, wenn es in unserem reichen Land nicht gelingt, die soziale Schere zu schließen. Ich bin sehr froh und dankbar für die Arbeit der Tafeln und Suppenküchen. Aber wir sollten uns nicht dauerhaft auf diese ehrenamtliche Arbeit verlassen müssen, so unerlässlich diese Hilfe ist. Auch dieses mehr als verdienstvolle Engagement hat keine unendlichen Ressourcen.
Frage: Was entgegnen Sie der AfD, wenn diese sagt, Flüchtlinge und Migranten erhalten hohe Sozialleistungen, aber hier arbeitende Familien kommen kaum über die Runden?
Burger: Ein Verweis auf unser Grundgesetz reicht: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Für die Kirche liegt diese Würde gemäß der Bibel in der Gottebenbildlichkeit des Menschen begründet. Wer dies in Frage stellt oder wer Abstufungen bei der Menschenwürde nach Herkunft oder Flüchtlingsstatus machen will, mit dem ist so kein Dialog möglich. Niemand soll sich täuschen lassen, auch wenn da und dort aus extremistischen Kreisen etwa beim Schutz des ungeborenen Lebens vermeintlich christliche Positionen vertreten werden. Die christliche Überzeugung, wonach jeder Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist, macht eine Zusammenarbeit mit rechtsradikalen und populistischen Gruppen mit einem demokratie- und menschenverachtenden Programm unmöglich.
Frage: Krieg und Migration scheinen den Kampf gegen den Klimawandel in den Hintergrund zu drängen. Nach dem jüngsten Urteil des Verfassungsgerichts kommen erhebliche finanzielle Einschränkungen dazu. Wie fällt hier Ihre Jahresbilanz aus?
Burger: Politik muss Prioritäten setzen. Aber das heißt nicht, dass wir den sich beschleunigenden Klimawandel, diese immer weiter schwelende Katastrophe, vernachlässigen dürfen. Es geht um die Zukunft der Menschheit.
Frage: Sie sind für die katholischen Hilfsorganisationen Misereor und Caritas international viel im globalen Süden unterwegs. Engagieren sich Deutschland und die anderen Industriestaaten genug, um denen zu helfen, die besonders unter den Klimafolgen leiden?
Burger: Da ist noch viel Luft nach oben! Und hier wird noch mehr getan werden müssen, zumal die Klimakatastrophe in ihrer Ausdehnung ja erst richtig Fahrt aufnimmt. Wichtig ist dabei, dass es keineswegs darum gehen kann, großmütig auf die Wünsche von Bittstellern einzugehen. Die Menschen aus den vom Klimawandel besonders betroffenen Staaten haben vielmehr das Recht, genauso gut leben zu können wie wir. Und sie fordern dieses Recht auch mehr denn je ein!
Frage: Viele fordern auch von der Kirche schnellere Reformen. Wie sehen Sie die Entscheidung ihres Nachbarbistums Rottenburg-Stuttgart, wo nun auch Theologen und Theologinnen ohne Priester- oder Diakonenweihe die Taufe spenden dürfen?
Burger: Das sehe ich derzeit kritisch. Denn dazu sind längst nicht alle theologischen Fragen geklärt. Bislang konnte die Taufe nur im Notfall von Nicht-Amtsträgern gespendet werden. Auch hinsichtlich der Ökumene, sei es für den evangelischen wie orthodoxen Bereich, werden Fragen nach dem Amts- und Sakramentenverständnis gestellt. Vor allem wäre ja der Begriff des Notfalls neu zu definieren. Hier sehe ich noch Klärungsbedarf.
Frage: Weihnachten und die Zeit zwischen den Jahren bieten Zeit für Bilanz und Ausblick. Was beschäftigt Sie zum Jahreswechsel?
Burger: Die erschütternden Ergebnisse der Kirchenmitgliedschaftsstudie der EKD, an der sich auch die katholische Kirche beteiligt hat, zu Religiosität in Deutschland. Demnach stellen sich immer weniger Menschen überhaupt noch die Frage nach Gott. Sie fragen nicht mehr danach, was über das Leben hinausweist. Das macht mir Sorge. Denn ich befürchte, dass dies dramatische Folgen haben wird für Solidarität, Menschenwürde und Lebensschutz.
Frage: Worauf freuen Sie sich in 2024?
Burger: Auf Begegnungen mit verschiedensten Menschen und Gespräche über Sorgen und Nöte wie über Hoffnungen und Zuversicht. Vielleicht darf ich ab und an erfahren, dass die Botschaft Jesu Mut und Zuversicht vermittelt.