Papst Franziskus – die Unruhe im Auge des Sturms
Die Absetzung des extrem konservativen texanischen Bischofs Joseph Strickland und der Entzug vatikanischer Privilegien für US-Kardinal Raymond Burke sind die jüngsten Maßnahmen des Papstes gegen seine konservativen Kritiker jenseits des Atlantiks. Im August 2022 hatte er einen der wenigen progressiven US-Bischöfe, Robert McElroy, zum Kardinal ernannt. Auch seinem Botschafter in USA, Nuntius Christophe Pierre, setzte er vor wenigen Monaten den Kardinalshut auf.
Franziskus musste die Position seines Mannes in Washington stärken. Hatten doch die US-Bischöfe umgekehrt vor gut einem Jahr einen Franziskus-Kritiker, Militärbischof Timothy P. Broglio, zu ihrem Konferenzvorsitzenden gewählt. Nuntius Pierre müht sich dagegen fast vergeblich, die US-Bischöfe auf päpstlichen Kurs zu bringen. Ähnlich wie sein Kollege Nikola Eterovic in Deutschland, der nicht müde wird, den Reformeifer deutscher Bischöfe abzubremsen.
Kampf an zwei Fronten
Während Franziskus in den USA an der konservativ-traditionalistischen Front kämpft, tut er dies in Deutschland an der progressiv-liberalen. Sein Brief vom Juni 2019 an Deutschlands Katholiken, Bemerkungen in diversen Interviews, sein jüngster Brief an vier ehemalige Mitglieder und Kritikerinnen des Synodalen Wegs sowie je eine Note des Staatssekretariats und von Kardinal Pietro Parolin an die Bischöfe sind beredtes Zeugnis seiner Mühen.
In Deutschland und USA, den beiden Ländern, in denen die katholische Kirche reich und weltkirchlich einflussreich ist, hat sich jeweils das führende Lager konservativer und liberaler Katholiken entwickelt. Entsprechend zeichnete unlängst der US-Journalist und Kirchenexperte Ross Douthatt in der "New York Times" für die Zukunft ein ebenfalls gegensätzliches Bild.
Studien zufolge bezeichnet sich die große Mehrheit junger Priester in den USA als "konservativ" oder "sehr konservativ". Einige nennen sich moderat; progressive Geistliche scheint es kaum noch zu geben. Eine ähnliche, nicht ganz so extreme Entwicklung gibt es etwa in Italien. Zwar sinken die Priesterzahlen überall, aber in Deutschland gibt es kaum noch Kandidaten für das Priesteramt – weder konservative noch progressive.
Ist dies die katholische Alternative der Zukunft: einerseits eine traditionalistische Klerikerkirche, andererseits eine protestantisierte Laienkirche? Darauf deuten die Ergebnisse der jüngsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung in Deutschland hin. Sie liefen, so der Religionssoziologe Detlef Pollack, auf eine konfessionelle Angleichung der Einstellungen von Katholiken und Protestanten hinaus. "Es ist zu einer Protestantisierung des Katholischen gekommen", stellte er fest und fügte hinzu: "Als überzeugter Protestant irritiert mich das sehr." Womit er die gleiche Beobachtung machte wie Franziskus, der verschiedentlich meinte, es gebe in Deutschland "schon eine sehr gute evangelische Kirche".
Wichtigste Aufgabe eines römischen Papstes ist es, die Einheit der katholischen Weltkirche zu wahren. Mehr und mehr Beobachter aber befürchten, dass Franziskus dabei versagt. (Wobei viele auch hinzufügen, dass dies nicht allein an ihm liege. Die diversifizierenden und identitären Folgen von Globalisierung und Medien tun ihren Teil.)
Kann Franziskus den Laden zusammenhalten?
Jugendliche hat Franziskus immer wieder aufgefordert, sie sollten Unruhe stiften. Für die notwendige Dynamik und Lebendigkeit, anstehende Veränderungen einzuleiten. Wie es scheint, beherzt der Papst dies selbst ebenfalls. Seit Jahren scheine die Art und Weise, wie Franziskus die Kirche leite, "darauf ausgerichtet zu sein, den konservativen und den liberalen Flügel der Kirche immer weiter auseinanderzutreiben", konstatierte Douthatt. Die Frage sei, ob der Papst den Laden zusammenhalten könne. Mit dieser Frage als Überschrift übernahm auch die Zeitung "La Nacion" in Buenos Aires den Gastkommentar aus New York.
In der Tat: Einerseits eröffnet Franziskus Debatten über eine breite Palette brisanter Themen, ohne tatsächliche offizielle Änderungen zu liefern. Worüber sich dieser Tage der aus Österreich stammende Ex-Amazonas-Bischof Erwin Kräutler erneut lauthals beklagte. Allerdings hat der Papst damit die Progressiven in der Kirche ermutigt, die Grenzen der Diskussion so weit wie möglich zu verschieben. Bis hin zu umwälzenden Veränderungen der Lehre, in der Hoffnung, das Kirchenoberhaupt mitzureißen. Paradebeispiel: der Synodale Weg in Deutschland.
Gleichzeitig treibt der Argentinier konservative Katholiken in eine Krise ihre Autoritätsglaubens, ja in Paranoia und Revolte: Bei Personalentscheidungen bevorzugte er Progressive; das institutionelle Erbe Johannes Pauls II. und Benedikts XVI. krempelte er um oder stutzte es ordentlich zurück – etwa mit der Reform der Päpstlichen Akademie für das Leben oder Einschränkungen für die sogenannte Alte Messe. Seit dem Lehrschreiben "Amoris laetitia" von 2016 zu Ehe und Familie bis zur jüngsten Reform der Bischofssynode mit Stimmrecht für Frauen und andere Laien formulieren Konservative ihre Dubia und fragen sich: Ist dieser Papst noch katholisch?
An beiden Fronten – konservativ wie liberal – ist unklar, ob die schwächelnde Autorität des Papstes eine der beiden rebellierenden Gruppen zurückholen kann. Die Maßnahmen der letzten Wochen gegen US-Traditionalisten und deutsche Reformatoren können als veschärfter Versuch gesehen werden, die Kirche zusammenzuhalten. Weswegen in der vatikanischen Post nach Deutschland auch immer eine "Kopie zur Kenntnisnahme" in Richtung USA – und Osteuropa – mitzulesen ist: Der Heilige Vater kümmert sich auch um mögliche Schismatiker.
Allerdings geht Franziskus mit Abweichlern unterschiedlich um: Extrem konservative Kritiker entlässt er, Progressive, die Morallehre und Ämter der Kirche ändern wollen, erhalten nur lehrmäßige Zurechtweisungen. Auf konservativer Seite entsteht so der Eindruck: für Kritik am Papst wird man gefeuert – wie Müller, Strickland oder Burke, für Ungehorsam in der Lehre gibt's nur einen bösen Brief.
Solange solch mahnende Briefe nicht auch durch personelle Konsequenzen verstärkt werden, befürchten Kritiker wie US-Journalist Douthatt, "werden Progressive wahrscheinlich auf der gleichen Linie beharren, wie sie die deutsche Kirche verfolgt, wo kirchliche Praktiken einfach geändert werden – etwa durch Segnungen für homosexuelle Paare –, ohne dass Rom eine formelle Genehmigung erteilt". Je mehr sich die in Deutschland mehrfach geäußerte Annahme verfestige, dass kirchliche Gesetze irgendwann einer de-facto-Liberalisierung in der Praxis folgen, "desto schwieriger wird es für Rom, einen sich abzeichnenden Bruch zu vermeiden".
Gefährlicher Papst-Hype?
Dabei erschwert Franziskus sich seine Aufgabe, Wahrer der Einheit zu sein, durch die Tatsache, dass er stärker auf sein zweifellos vorhandenes persönliches Charisma setzt als auf die institutionellen Instrumente des Heiligen Stuhls. Diese Art von Papst-Hype führt nach Ansicht des Kirchenhistorikers Massimo Faggioli dazu, "dass die Stimme der Kirche in öffentlichen Fragen auf die Verbreitung oder Interpretation dessen reduziert wird, was der Papst sagt oder nicht sagt und was er tut oder nicht tut, und auch darauf, wie die breitere Öffentlichkeit seine Worte und Taten begrüßt oder kritisiert".
Dies ist nicht nur ein wesentlicher Grund für Irritationen, die Franziskus' Worte und Gesten zu internationalen Konflikten auslösen. Auch innerkirchlich werden Stimmen lauter, dieser Papst halte sich oft nicht an selbst gesetzte Regeln, werde überdies mit dem Alter immer launischer. Die jünste Debatte um die Dienstwohung von Kardinal Burke könnte mehr werden als eine vatikanische Prälaten-Posse.
Nicht nur katholische Traditionalisten-Blogs wie "Silere non possum" meinen, dies sei "ein gewaltiges Eigentor, das Franziskus geschossen hat, ohne es vielleicht zu merken". Auch Kommentatoren gemäßigt konservativer Medien wie "Il Foglio" befürchten einen Bumerang. Erst wurde Kardinal Burke von Franziskus als Mitglied der Bischofskongregation entlassen, dann als Chef der Apostolischen Signatur, schließlich vom kaum mehr als ehrenvolle Amt des Patrons des Malteserordens – und nun noch die Wohnung ... Zur Befriedung des inzwischen äußerst papstkritischen US-Katholizismus wird das eher nicht beitragen. Er bleibt wie Kardinal Müller ein wichtiger Bezugspunkt für konservative und traditionalistische Katholiken.