Im Vatikan gibt es nur drei Gefängniszellen

Was mit den Verurteilten im Finanzprozess passieren könnte

Veröffentlicht am 21.12.2023 um 00:01 Uhr – Von Anita Hirschbeck (KNA) – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ Im Vatikan sind sieben Angeklagte wegen krimineller Finanzdeals zu Haftstrafen verurteilt worden – mit Angelo Becciu darunter auch erstmals ein Kardinal. Doch: Im kleinsten Staat der Welt gibt es gar kein richtiges Gefängnis.

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Insgesamt 37 Jahre Haft wegen krimineller Millionendeals: Das Urteil im größten Finanzprozess in der Geschichte der katholischen Kirche hat im Vatikan eingeschlagen wie eine Bombe. Mit derart strengen Strafen hatten nur wenige Prozessbeobachter gerechnet. Zu den Verurteilten zählt erstmals auch ein Kardinal.  Angelo Becciu (75) soll fünf Jahre und sechs Monate hinter Vatikan-Gitter. Ob das tatsächlich passieren wird, ist allerdings fraglich.

Zum einen haben Beccius Anwälte bereits angekündigt, dass sie Einspruch gegen die Entscheidung des Vatikangerichts unter Vorsitz von Richter Giuseppe Pignatone einlegen werden. Bis es zu einer rechtskräftigen Verurteilung kommt, könnten viele Jahre vergehen. Zum anderen sprechen ganz praktische Gründe gegen eine tatsächliche Inhaftierung aller sieben Verurteilten auf Vatikan-Gebiet: Im kleinsten Staat der Welt gibt es gar kein richtiges Gefängnis. Zur Verfügung stehen lediglich drei kleine Zellen, die in den vergangenen Jahren zwar häufiger, aber immer nur für recht kurze Zeiträume genutzt wurden.

Langzeitinhaftierung im Vatikan scheint kaum möglich

Prominentester Fall war der frühere Kammerdiener von Papst Benedikt XVI., Paolo Gabriele. Im sogenannten "Vatileaks"-Fall hatte er vertrauliche Unterlagen vom päpstlichen Schreibtisch weitergegeben. Das Vatikan-Gericht verurteilte ihn im Oktober 2012 zu 18 Monaten Haft, die er in einer Vatikan-Zelle verbringen sollte. Benedikt begnadigte Gabriele allerdings kurz vor Weihnachten, so dass sein früherer Vertrauter tatsächlich nur 59 Tage einsaß.

Die drei Zellen befinden sich im Gebäude des Gendarmeriekorps der Vatikanstadt. Zu Ausstattung und Bequemlichkeit gibt es unterschiedliche Aussagen. Es fehlen so selbstverständliche Dinge wie eine Gefängniskantine. Eine Langzeitinhaftierung scheint auch aus solchen Gründen kaum möglich.

Kardinal Giovanni Angelo Becciu
Bild: ©KNA/Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani

Auch ohne rechtskräftiges Urteil hatte der Finanzskandal schon einschneidende Folgen für Kardinal Giovanni Angelo Becciu: Er darf bei einem Konklave nicht mitwählen und auch kein Kurienamt mehr bekleiden. Ob und wo er auch ins Gefängnis gehen werden muss, wird sich noch zeigen.

Zu den Vatikan-Zellen gibt es aber eine Alternative: Der Heilige Stuhl kann seine Verurteilten auch in italienischen Gefängnissen einsperren lassen – allerdings auf eigene Kosten. Das ist in einem völkerrechtlichen Vertrag von 1929 geregelt, dem Lateranvertrag.

Darin steht auch, dass Kriminelle, die im Vatikan eine Straftat begangen haben und dann auf italienisches Territorium fliehen, vor ein italienisches Gericht müssen. Der Vatikanstaat verpflichtet sich zudem, Verbrecher an Italien auszuliefern, die dort straffällig geworden sind und sich dann hinter die Vatikanmauern retten wollen.

Haftstrafe könnte zur Bewährung ausgesetzt werden

Ein bekanntes Beispiel für diese Zusammenarbeit ist der Fall des türkischen Rechtsextremisten Mehmet Ali Agca. 1981 schoss er auf dem Petersplatz Papst Johannes Paul II. nieder. Verantworten musste er sich vor einem italienischen Gericht, das ihn zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte. Johannes Paul II. besuchte ihn zwei Jahre später in seiner Zelle im römischen Gefängnis Rebibbia. Im Jahr 2000 begnadigte ihn Italiens damaliger Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi – auf Bitten des Papstes.

Im Finanzprozess werden wohl mehrere Verurteilte Einspruch einlegen. Die einzelnen Strafen könnten sich also in einer höheren Instanz verringern. Sinkt ein Urteil am Ende auf maximal zwei Jahre Haft, kann der Vatikan-Richter die Strafe zur Bewährung auf fünf Jahre aussetzen. Das sehen das vatikanische Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung vor. Auch so könnte eine Überbelegung der Haftzellen vermieden werden.

Für Becciu hatte der Finanzskandal, der zu den Urteilen führte, ohnehin bereits einschneidende Folgen. Papst Franziskus entzog ihm 2020 die wesentlichen Kardinalsrechte. Auch wenn er den Titel weiter führen darf – der Sarde wird kein Kurienamt mehr bekleiden und auch bei einer Papstwahl keine Stimme abgeben können. Ob er nach einer rechtskräftigen Strafrechtsverurteilung in einer Vatikan-Zelle oder in einem italienischen Gefängnis landet, wird sich vermutlich erst in einigen Jahren zeigen.

Von Anita Hirschbeck (KNA)