In Deutschland wurden von Palästinenserinnen vorbereitete Texte verändert

Weltgebetstag der Frauen: Auf Gratwanderung

Veröffentlicht am 14.01.2024 um 00:01 Uhr – Von Christoph Renzikowski (KNA) – Lesedauer: 

Stein ‐ Palästinenserinnen haben diesmal den Frauen-Weltgebetstag vorbereitet. In Deutschland sorgt das seit dem 7. Oktober für Turbulenzen: Die einen wittern Antisemitismus, andere Verrat an den Glaubensschwestern in Nahost. Über das Ringen um Änderungen.

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Den Heiligabend 2023 wird Ulrike Göken-Huismann so schnell nicht vergessen. Zuhause am Niederrhein, in Vorbereitung auf die Christmette, erreichte sie der Anruf einer guten Bekannten aus Bethlehem. Dort musste das Fest der Geburt Christi wegen des neu aufgeflammten Nahostkonflikts de facto ausfallen.

Eine gute halbe Stunde hätten sie miteinander über die Lage im Heiligen Land gesprochen, sagt Göken-Huismann; das Gespärch habe sie bis in die Christmette verfolgt. Da hatte die katholische Vorstandsfrau des deutschen Komitees der Weltgebetstagsfrauen schon aufreibende Wochen hinter sich.

Mit langem Vorlauf, wie es beim ökumenischen Weltgebetstag der Frauen (WGT) üblich ist, haben Christinnen aus Palästina von 2020 bis 2022 für den diesjährigen Gottesdienst am 1. März eine Vorlage und Begleitmaterialien erarbeitet. Am 21. September 2023 stellte Göken-Huismann das Programm mit ihrer evangelischen Vorstandskollegin Brunhilde Raiser und Gästen aus Palästina in Berlin vor. Ohne dass es zu nennenswerten Reaktionen kam.

"Total polarisierte" Debatte

Das änderte sich schlagartig mit dem 7. Oktober, als Hamas-Terroristen in Israel ein Blutbad anrichteten. Kurz darauf sah sich der Weltgebetstag scharfen Vorwürfen bis hin zu Antisemitismusverdacht ausgesetzt. Die Veranstalterinnen gerieten unter Druck, von außen, aber auch aus den eigenen Reihen. "Kann man für Palästina beten, ohne sich damit gegen Israel zu stellen?" Diese Frage stand auf einmal im Raum. Nicht nur in Deutschland.

"Total polarisiert" sei die Debatte gewesen, sagt Göken-Huismann im Rückblick. Und verhehlt nicht eine gewisse Enttäuschung darüber, dass manche Stellungnahme veröffentlicht wurde, bevor man miteinander geredet hatte.

Zu den schärfsten öffentlich wahrnehmbaren Kritikern zählten die Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit mit ihrer Zentrale, dem Deutschen Koordinierungsrat (DKR). In Teilen des WGT-Materials stecke "christlicher Antisemitismus schlimmster Art", lautete dessen Urteil.

Wie der Krieg in Nahost den Weltgebetstag der Frauen beutelt

Palästinenserinnen haben den Weltgebetstag der Frauen am 1. März 2024 vorbereitet. Lange vor dem Terrorangriff der Hamas auf Israel. Nun aber ist Krieg – und die Christinnen sehen sich Antisemitismusvorwürfen ausgesetzt.

Das beginne schon damit, dass Palästina als "Wiege des Christentums" beschrieben werde, ohne zu erwähnen, dass Jesus Jude gewesen sei. Zudem habe sich die Künstlerin des Titelplakats, Halima Aziz, mit dem Terror der Hamas solidarisiert. Das Material müsse zurückgezogen werden, der Weltgebetstag dürfe so nicht stattfinden.

Das deutsche WGT-Komitee reagierte umgehend und stoppte den Vertrieb des Plakats. Am 9. November wurde auch die schon in Umlauf gebrachte Gottesdienstvorlage einkassiert, um sie zu überarbeiten. Göken-Huismann spricht von "einer der schwersten Entscheidungen" ihres Lebens. Dazu muss man wissen, dass es dabei gewissermaßen um das Markenzeichen des Weltgebetstags der Frauen geht: Ein einmal geplanter Gottesdienst wird an einem Tag im März überall auf der Welt in derselben Form gefeiert. Und das seit bald 100 Jahren. "Treue zur Ordnung", nennen die WGT-Frauen das.

Es folgten Wochen mit etlichen Gesprächen innerhalb der internationalen WGT-Bewegung und auch mit externen Kritikern. Ziel war, so viel wie möglich von der geleisteten Vorarbeit zu retten. Dafür habe sich das deutsche Komitee auf eine "Gratwanderung" begeben, so die beiden Vorstandsfrauen.

Verrat an palästinensischen Geschwistern?

Auf der einen Seite wurden einige Einwände als berechtigt empfunden. Aus dieser Einsicht galt es nun Konsequenzen zu ziehen. Zugleich musste bei den "Glaubensschwestern in Palästina" Überzeugungsarbeit geleistet werden, dass ihr vorbereitetes Material in Deutschland einiger Ergänzungen und behutsamer Korrekturen bedürfe.

Am 13. Dezember räumte der deutsche WGT-Vorstand in einer Stellungnahme ein, dass diese Notwendigkeit "von manchen im In- und Ausland als Zensur oder gar Verrat an den palästinensischen Geschwistern gesehen" werde. Und das auch noch zu einem Zeitpunkt, wo sich die Lage seit dem 7. Oktober "nicht nur in Gaza, sondern auch im Westjordanland und in Ostjerusalem dramatisch verschlechtert" habe.

Die Videokonferenzen mit den Palästinenserinnen seien mit das Schwierigste gewesen, erzählt Göken-Huismann. Während in Deutschland um einzelne Formulierungen gerungen worden sei, hätten Gesprächspartnerinnen aus dem Westjordanland berichtet, dass ihre Kinder inzwischen Gewitterdonner nicht mehr vom Knall explodierender Bomben unterscheiden könnten.

Bild: ©picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Tsafrir Abayov (Archivbild)

Die Terrorangriffe der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und die Folgen werden in der überarbeiteten Fassung für Deutschland Thema in den Fürbitten sein.

Bei aller Wertschätzung sei da das Verständnis für Belange in Deutschland an Grenzen gestoßen, sagt sie. Raiser ergänzt: "Nicht nur in Gaza, auch in der Westbank leben die Christinnen unter Extrembedingungen." Da sei es schlicht eine Überforderung, von ihnen zu verlangen, dass sie den jüdisch-christlichen Dialog in Deutschland aufnehmen müssten.

Inzwischen liegt die Gottesdienstordnung auf Deutsch in ihrer aktualisierten Form vor. Mit einer Auflage von 550.000 Stück wird sie seit Anfang Januar verschickt, als Grundlage für tausende von ökumenischen Gottesdiensten am 1. März. Plakat, Postkarten und Einladungsflyer wurden neu entworfen. Zur Begründung heißt es, dass der Vorwurf der Hamas-Freundlichkeit gegen die palästinensische Gestalterin des ursprünglichen Motivs nicht habe ausgeräumt werden können. Zentrale Aussagen der Palästinenserinnen und auch von ihnen verwendete Reizwörter seien aber nicht geändert worden, betont Raiser.

Zwei Fürbitten hat das deutsche Komitee eingefügt, "für alle, die seit dem 7. Oktober 2023 in Israel und Palästina in unvorstellbarem Ausmaß unter Terror, Not und Krieg und sexualisierter Gewalt leiden", und "für Jüdinnen und Juden, die sich hier in Deutschland nicht sicher fühlen, die Drohungen und Anschlägen ausgesetzt sind". In Fußnoten, Vorworten und weiteren Erläuterungen zu Liedern und Texten werden Teile der laut gewordenen Kritik aufgenommen. Und in der Ansage zur Kollekte, bei der in Deutschland im Schnitt 2,5 Millionen Euro zusammenkommen, wird auf Beispiele der Zusammenarbeit von palästinensischen und israelischen Frauen verwiesen.

Nicht als Zensur verstehen

Als Zensur wollen die deutschen Weltgebetstagsfrauen ihre Nacharbeit an den Vorlagen keinesfalls verstanden wissen. Sie sprechen von "Kontextualisierung für die spezielle deutsche Situation". Dieses Vorgehen sei mit der internationalen Zentrale in New York und auch mit den Palästinenserinnen besprochen. Was nicht heißt, dass alle Differenzen untereinander ausgeräumt wurden.

"Angesichts von Gewalt, Hass und Krieg in Israel und Palästina ist der Weltgebetstag mit seinem diesjährigen biblischen Motto '... durch das Band des Friedens' so wichtig wie nie zuvor", sagt Raiser. "Der Terror der Hamas vom 7. Oktober jedoch und der Krieg in Gaza haben die Bereitschaft vieler Menschen in Deutschland weiter verringert, palästinensische Erfahrungen wahrzunehmen und gelten zu lassen. Die neuen Erläuterungen sollen jetzt dazu beitragen, die Worte der palästinensischen Christinnen trotz aller Spannungen hörbar zu machen." Es sei eine "wichtige demokratische Praxis, die andere Position auszuhalten", fügt sie hinzu. Werde doch damit der Boden für Verständigung und Aussöhnung bereitet.

Zu welchem Ergebnis die Debatten im benachbarten Ausland führen, ist noch nicht völlig absehbar. Aus der Schweiz ist zu hören, dass einige Gemeinden ihre Kirchen für den diesjährigen Weltgebetstag der Frauen gar nicht erst öffnen wollen. In Österreich haben die Weltgebetstagsfrauen die palästinensische Gottesdienstvorlage in einen neuen Umschlag gepackt.

Von Christoph Renzikowski (KNA)