Käßmann: Das Leben nicht für nationale Grenzen geben
Die evangelische Theologin Margot Käßmann fordert mit Blick auf die hohe Opferzahl in dem seit fast zwei Jahren andauernden Ukraine-Krieg ein Umdenken. "Wir müssen von diesem Denken wegkommen, dass es um nationale Grenzen geht, für die wir unser Leben geben", sagte Käßmann der "Frankfurter Rundschau" (Dienstag). "Elsass-Lothringen wurde lange hin und her geschoben in Europa. Heute ist es eine Region in Europa", sagte Käßmann. Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sagte, in einem Europa der Regionen "wäre die Nationalität weniger wichtig".
Käßmann fragte: "Ist es tatsächlich Zehntausende Tote wert, dass die Krim zur Ukraine oder zu Russland gehört? Ich weiß, dass allein diese Frage als unangemessen angesehen wird. Aber ist es diese Toten wert?" Es werde zwar immer gesagt, dass Russlands Präsident Wladimir Putin nicht verhandeln wolle. "Russland hat aber Verbündete. Da muss über Bande gespielt werden, damit der diplomatische Druck massiv wird", so die Theologin. "Man verhandelt ja auch mit Katar, um Einfluss auf die Hamas zu nehmen. Genau so kann ich mir vorstellen, dass diejenigen, die noch Kontakt zu Russland haben, von den anderen massiv gedrängt werden, Russland zu Verhandlungen zu bringen."
Mit Blick auf den zweiten Jahrestag des Kriegsbeginns am 24. Februar sagte Käßmann, die "Deutsche Friedensgesellschaft" – deren Mitglied sie ist – bleibe dabei, "dass die Waffen schweigen müssen, so schnell wie möglich". Die pazifistische Organisation trete zudem für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein. Dieses Recht könne "noch brisant werden, weil Hunderttausende ukrainische Männer im Moment in Europa Zuflucht gefunden haben und gleichzeitig klar ist, dass die Ukraine mehr Soldaten braucht". – Käßmann (65) gehörte vor einem Jahr zu den Erstunterzeichnerinnen des von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht formulierten "Manifest für den Frieden", das sich für eine sofortige Aufnahme von Friedensverhandlungen aussprach. Kritiker werfen den Unterzeichnern unter anderem eine naive Sicht auf Putin vor. (KNA)