Der "heilige Sohn"
Vor dem Konklave im März 2013 handelten ihn manche Beobachter als einen der Favoriten. Der Erzbischof von Manila sei "die große Hoffnung Asiens", schrieb ein renommierter US-amerikanischer Vatikan-Kenner. Doch gegen seine Wahl spreche das jugendliche Alter: Mit 55 Jahren sei er ja noch drei Jahre jünger als Johannes Paul II. (1978-2005) bei seinem Amtsantritt.
Am Donnerstagabend nun wählte die 20. Generalversammlung von Caritas Internationalis den mittlerweile zwei Jahre älteren Kardinal Luis Antonio Tagle zum neuen Präsidenten des Dachverbandes von 165 nationalen Caritasverbänden und anderen katholischen Wohlfahrtsverbänden.
Tagle, einer der prominentesten Kardinäle der Weltkirche, ging eindeutig als Favorit in die Wahl. Zusätzliche Bekanntheit verlieh im zuletzt der Besuch von Papst Franziskus auf den Philippinen, wo er in Manila als Gastgeber auftrat. Tagles Gegenkandidat, der maronitische Erzbischof von Zypern, war hingegen kaum bekannt.
Eine gewisse Prominenz ist für den Leitungsposten des Dachverbandes jedoch von großem Vorteil. Denn der Präsident ist internationales Sprachrohr der Caritasverbände in der Welt. Wohl nicht zufällig zählte Tagles Vorgänger Maradiaga ebenfalls zu den prominenteren Mitgliedern des Kardinalskollegiums. Maradiaga selbst konnte nach zwei Amtsperioden von je vier Jahren gemäß den Statuten nicht noch einmal für den Vorsitz kandidieren.
Ungeachtet seines nun schon fast papabilen Alters hat sich der fröhlich und bescheiden auftretende Tagle etwas Jungenhaftes bewahrt. Vielleicht führte das zu jener bemerkenswerten Begebenheit, die der Münchner Kardinal Reinhard Marx überlieferte: Kardinal Tagle trifft im Aufzug des vatikanischen Gästehauses Santa Marta im Schlabberpulli ganz unverhofft den Papst. Sagt Tagle: "Heiliger Vater". Antwortet Franziskus: "Na, Heiliger Sohn?"
Der Erzbischof von Manila gilt als Gesicht der jungen und dynamischen Kirche in Asien. Er ist ein unkonventioneller Hirte. Auf der Videoplattform YouTube ist Tagle als Sänger seiner selbstkomponierten christlichen Lieder zu sehen. Auf den Philippinen kommentiert er in einer eigenen Fernsehsendung mit dem Titel "Das Wort vorgestellt" jede Woche die Bibellesungen für den jeweiligen Sonntag. Auch Berührungsängste gegenüber neuen Medien kennt Tagle nicht. Bei Facebook zählt er zu den Kardinälen, deren Profil die meisten Besuche verzeichnet.
Stichwort: Caritas internationalis
Caritas Internationalis ist der weltweite Dachverband von Caritas-Hilfsorganisationen der katholischen Kirche. 1951 als Zusammenschluss von 13 Mitgliedern gegründet, gehören ihm inzwischen 165 nationale Organisationen an, darunter auch die namensähnliche, aber organisatorisch getrennte deutsche Caritas international. Sitz des Verbands ist die Vatikanstadt. Eine Aufgabe von Caritas Internationalis ist die Koordination humanitärer Arbeit. Dazu zählen Katastrophenhilfe, der Kampf gegen Seuchen wie Aids und Folgen des Klimawandels, aber auch langfristige Entwicklungsprojekte und Programme zur Konfliktlösung. Die Zahl der Mitarbeiter weltweit betrug 2012 laut Caritas 440.000 Festangestellte und 625.000 Ehrenamtliche. Mit einem Gesamtbudget von mehr als 4 Milliarden Euro erreichen die einzelnen Caritas-Organisationen nach Verbandsangaben jährlich 24 Millionen Menschen. Das eigene Budget von Caritas Internationalis ist vergleichsweise gering und liegt bei etwa 4 Millionen Euro. Die Leitungsspitze von Caritas Internationalis bilden ein Präsident im Bischofsrang, ein Generalsekretär und ein Schatzmeister gemeinsam mit sieben Regionalvertretern. (KNA)Tagle, in Imus nahe Manila auf der philippinischen Hauptinsel Luzon aufgewachsen, war nach dem Theologiestudium in Manila und Priesterweihe 1982 in Imus zunächst als Kaplan und geistlicher Leiter sowie später als Rektor des theologischen Seminars des Bistums tätig. Anschließend ging er mit einem Promotionsstipendium des katholischen Hilfswerks Missio in Aachen in die USA.
Dort schrieb er an der University of America in Washington eine Doktorarbeit, deren Thema unter Franziskus besondere Aktualität bekommen hat: Über die bischöfliche Kollegialität in der Lehre und Praxis von Paul VI. 1997 wurde Tagle dann Mitglied der internationalen Theologenkommission des Vatikan, der er bis 2003 angehörte. Dort wurde offenbar der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, auf ihn aufmerksam. 2001 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Bischof von Imus südlich der philippinischen Hauptstadt Manila.
Die Leitung von Caritas Internationalis ist nicht das erste zusätzliche Amt für den Erzbischof von Manila. Franziskus berief ihn in das Präsidium der Bischofssynode für die Familie, die im vergangenen Oktober im Vatikan tagte. Zudem ist er Präsident der Katholischen Bibelföderation. Im Vatikan ist Tagle Mitglied mehrerer einflussreicher Behörden, etwa jener "für die Evangelisierung der Völker", die für die ehemaligen Missionsgebiete in Afrika und Asien zuständig ist. Auch sein neuer Posten dürfte seine Chancen, dereinst vielleicht doch noch der erste Papst aus Asien zu werden, nicht schmälern.