Ex-Erzbischof Aupetit: Frankreich "ist ein totalitärer Staat geworden"
Garantierte "Freiheit zum Schwangerschaftsabbruch" ist demnächst Teil in Frankreichs Verfassung. Nachdem am Mittwochabend der Senat dem Projekt von Staatspräsident Emmanuel Macron zustimmte, haben nun beide Parlamentskammern Grünes Licht gegeben. Diese müssen nun noch einmal am Montag in einer gemeinsamen Sitzung mit einer Mehrheit von 60 Prozent zustimmen.
Macron hatte Ende Oktober versprochen, ein "Recht auf Abtreibung" in der Verfassung zu verankern. Die jetzige Formulierung einer "garantierten Freiheit zum Abbruch" bewerten Experten als rechtlich schwächer. Umfragen zufolge befürworten 86 Prozent der Franzosen eine völlige Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Abtreibungsgegner verurteilten die Neuregelung. Der frühere Pariser Erzbischof, Bioethiker und Arzt Michel Aupetit twitterte: "Das Gesetz drängt dem Gewissen auf zu töten." Frankreich habe einen Tiefpunkt erreicht. "Es ist ein totalitärer Staat geworden."
Abtreibung unter bestimmten Bedingungen ist in Frankreich seit den 1970er-Jahren legal. Mit den Gesetzen "Neuwirth" von 1967 und "Veil" 1975 wurde das totale Verbot ("Gesetz von 1920") abgeschafft. Seit 1967 durften französische Frauen die Pille nehmen; 1975 wurden Schwangerschaftsabbrüche bis zur 10., seit 2020 bis zur maximal 14. Woche straffrei gestellt.
"Abtreibung muss die Ausnahme bleiben"
Die damalige Familienministerin und Auschwitz-Überlebende Simone Veil (1927-2017) betonte in der Parlamentsdebatte im November 1974: "Ich sage mit all meiner Überzeugung: Abtreibung muss die Ausnahme bleiben, der letzte Ausweg für hoffnungslose Situationen. Aber wie können wir Abtreibung tolerieren, ohne dass sie ihren außergewöhnlichen Charakter verliert; ohne dass die Gesellschaft sie zu fördern scheint?"
Im Herbst 2020 verlängerte die Nationalversammlung nach hitzigen Debatten die Frist für Abtreibungen von 12 auf 14 Wochen. Seit 2001 werden in Frankreich im Jahresdurchschnitt rund 230.000 Abtreibungen vorgenommen, etwa ein Viertel davon außerhalb von Krankenhäusern. Etwa jede vierte Schwangerschaft wird dadurch beendet. Die Einnahme von Abtreibungspräparaten zu Hause ist bis zur siebten Woche gestattet.
Die Befürworter der Fristverlängerung argumentierten damals, derzeit gingen viele Schwangere nach Spanien, Großbritannien oder in die Niederlande, wo Abbrüche bis zur 22. Woche erlaubt seien. Auch führten nur rund drei Prozent der Gynäkologen und Hebammen im Land selbst derzeit Abtreibungen durch. Dadurch gebe es lange Wartezeiten, die Abbrüche letztlich nicht mehr legal möglich machten. (KNA)