Wutbürger, Geizhälse, Neidhammel und Lustmolche
Auf drei Etagen sind rund 300 Objekte aus 1.700 Jahren zusammengetragen, die historische und aktuelle Variationen zum Thema Todsünde vereinen. Unter Todsünde versteht die katholische Kirche besonders schwerwiegende Sünden wie Mord und Ehebruch. Sie entstehen nach der klassischen Theologie aus den sieben schlechten Charaktereigenschaften und "Wurzelsünden" Trägheit, Habgier, Wollust, Zorn, Neid, Völlerei und Hochmut. Entwickelt wurde dieses moralische Konzept von Wüstenmönchen des 4. und 5. Jahrhunderts. "Genau deshalb bot sich die Umsetzung im Kloster Dalheim an", sagt Museumsdirektor Ingo Grabowsky. "Hier verbindet sich klösterliche Tradition mit reicher Kulturgeschichte." Um eine moralische Bewertung gehe es den Machern der Schau freilich nicht.
Gleich zu Anfang zeigt die Ausstellung mit programmatischen Werbesprüchen wie "Geiz ist geil" (Habsucht) und "Wer wird denn gleich in die Luft gehen?" (Zorn) die gesellschaftliche Relevanz des Themas. Integriert in die mittelalterliche Kulisse des einstigen Klosters, sind die Exponate so vielfältig wie die Ausprägungen menschlicher Laster. Ältestes Objekt ist eine Keramikscherbe aus dem 6./7. Jahrhundert mit der "Lasterlehre" des Wüstenmönchs Evagrius. Um die Ecke steht der überraschte Besucher vor einem gläsernen "Dildo" aus dem 16. Jahrhundert, den man im früheren Damenstift Herford fand - wobei ungeklärt ist, ob die Äbtissin das Objekt als Trinkgefäß, Scherzartikel oder zur eigenen Lustbefriedigung nutzte.
Eine ganz eigene Position nimmt in der Schau der Nationalsozialismus ein. Dass dieser das altbekannte Sündenverständnis auf den Kopf stellte, illustriert ein "Wochenspruch" der NSDAP von 1944: "Es gibt nur eine Sünde: Feigheit." Der Hochmut der Nazis gegenüber den Juden galt keineswegs als Schwäche, sondern war zentrales Programm. Als Anschauungsobjekt dieser gefährlichen Selbstüberschätzung haben die Ausstellungsmacher Hitlers riesigen Globus heranschaffen lassen. Das Loch, das an der Stelle Deutschlands in der mannshohen Weltkugel klafft, hat vermutlich ein alliierter Soldat mit seinem Bajonett gestochen.
Die vielen Kunstwerke, die früher als Raubkunst beschlagnahmt worden war, illustrieren Neid, Habgier und auch Zorn, mit dem sich die Nazis den Besitz etwa von Juden einverleibten. Eine merkwürdige Variante der Wollust offenbart der "Heiratsbefehl", den Reichsführer SS Heinrich Himmler Ende 1931 ausgab: Im Sinne einer verqueren Rassenideologie sollten sich die "erbgesundheitlich wertvollen" Arier vermehren.
Gierige Ökonomen, zornige Studenten
Die "Todsünden" der Gegenwart nimmt die Schau etwa in der "Habsucht" des westlichen Wirtschaftssystem in den Blick, die in der Bankenkrise kulminierte. Den "Zorn" gegen die Gesellschaft verkörpern die "68er"-Studentenbewegung - hier mit Rudi Dutschkes Lederjacke - bis hin zum "Wutbürger", der gegen irrwitzige Projekte wie Stuttgart 21 protestiert. Illustriert wird auch die neue Wollust, die dank "Pille" in die sexuelle Revolution der 60er/70er-Jahre mündete. Die vermeintlich tabulose Gesellschaft von heute, wo Partnerbörsen und Sexspielzeug Konjunktur haben, belächelt das nur.
Während die Völlerei des Wirtschaftswunders mit "guter Butter" und Krustenbraten fast legendär ist, schlägt die Nadel auf der Personenwaage mit "Du darfst" und "Trimm Dich" schon lange ins andere Extrem aus. Auch die Lebensmittelverschwendung der Postmoderne hat ihre Antipoden gefunden: Immer mehr Menschen verzichten auf Fleisch, setzen auf fair gehandelte, regional und nachhaltig erzeugte Nahrung.
Die Ausstellung "Die 7 Todsünden" zeigt, wie stark der Lasterkanon dem Geist der jeweiligen Zeit unterworfen ist, aber eben doch nie ganz aus der Mode kommt.