Frau fordert 850.000 Euro Entschädigung

Zeitung: Erzbistum Köln weist Schmerzensgeldanspruch zurück

Veröffentlicht am 09.04.2024 um 12:44 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Im vorigen Jahr hat ein Missbrauchsbetroffener ein hohes Schmerzensgeld vom Erzbistum Köln erstritten. Die Forderung eines weiteren Opfers weist die Erzdiözese nun zurück – mit einer Begründung, die Kritik hervorruft.

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Das Erzbistum Köln weist laut einem Zeitungsbericht den Schmerzensgeldanspruch einer Missbrauchsbetroffenen zurück und lehnt eine Amtshaftung der Kirche für das Handeln des Täters ab. Die heute 57-jährige war die Pflegetochter des Priesters U., der 2022 wegen mehrfachen Missbrauchs zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. In ihrer Klage-Erwiderung führen die Bistumsanwälte laut "Kölner Stadt-Anzeiger" (Dienstag) aus, dass die Missbrauchstaten in U.s Wohnung begangen worden seien und ein Zusammenhang mit Dienstpflichten als Priester nicht ersichtlich sei. Zudem hätten U.s Vorgesetzte auch ihre Kontrollpflichten nicht verletzt, weil sie keine konkreten Anhaltspunkte für Missbrauchstaten des Priesters gehabt hätten, zitiert die Zeitung aus dem Schriftsatz der Bistumsanwälte. Überdies wäre eine Kontrolle des Geistlichen Sache des Bonner Jugendamts gewesen, das U. das Sorgerecht für das Missbrauchsopfer übertragen hatte.

Das Erzbistum erklärte auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), es sei wichtig, dass ein staatliches Gericht den Fall rechtlich kläre. Die Erzdiözese habe daher auf die Einrede der Verjährung verzichtet. Darüber hinaus könne man sich zum laufenden Verfahren nicht äußern.

Die Frau fordert von der Erzdiözese 850.000 Euro Entschädigung. Im System der kirchlichen Zahlungen in Anerkennung des Leids hatte sie 70.000 Euro erhalten. Damals sei eine ihr nicht bewusste Schwangerschaft durch einen gynäkologischen Eingriff beendet worden, berichtete die Frau. Bei einer zweiten Schwangerschaft habe sie sich selbst für eine Abtreibung entschieden. Der Schmerzensgeld-Prozess sollte bereits am Dienstag dieser Woche stattfinden. Doch das Landgericht verschob die Verhandlung auf den 4. Juni. Grund ist der Hinweis der zuständigen fünften Zivilkammer an die Klägerseite, dass nach vorläufiger Prüfung der Vorwurf der Amtspflichtverletzung noch nicht hinreichend dargelegt worden sei. Es stelle sich die Frage, inwieweit der Missbrauch im privaten Bereich des Priesters oder in Ausübung seines Amtes erfolgt sei, so ein Gerichtssprecher.

Unverständnis

Der Anwalt der Frau, Eberhard Luetjohann, bekundete Unverständnis für den Hinweis des Gerichts. Es gebe den Priester nicht als Privatperson, sagte er dem "Stadt-Anzeiger". Das gehöre zum Wesensverständnis des geistlichen Amts in der katholischen Kirche. Ähnlich äußerte sich der Kölner Staatsrechtler Stephan Rixen, der der Aufarbeitungskommission der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung angehört. Zudem verwies Rixen darauf, dass der damalige Kölner Kardinal Joseph Höffner dem Sorgerecht für die Pflegetochter und einem Pflegesohn ausdrücklich zugestimmt habe: "Warum hätte der Erzbischof sich überhaupt einmischen sollen, wenn es rein um U.s Privatangelegenheiten gegangen wäre?"

Auch Lothar Jaeger, ehemaliger Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Köln, sagte, das Jugendamt habe die Kinder der Organisation des Bistums anvertraut. Damit habe für das Erzbistum auch eine allgemeine Kontrollpflicht bestanden. Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sagte dem Bonner "General-Anzeiger" und dem WDR, ein Priester sei 24 Stunden im Dienst. Es sei "ein erschreckendes Armutszeugnis für das Gericht", wenn es zwischen dem Handeln im Amt und im Privaten unterscheide. Auch der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke zeigte sich befremdet, dass ein staatliches Gericht zwischen Dienst- und Privathandeln eines Kirchenrepräsentanten unterscheide: "Das bestimmt nicht der Staat, sondern richtet sich aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Kirche nach dem kirchlichen Selbstverständnis."

In einer ersten Schmerzensgeldklage hatte das Kölner Landgericht im vergangenen Jahr entschieden, dass das Erzbistum einem Betroffenen 300.000 Euro zahlen musste. Nach dem richtungsweisenden Urteil haben bundesweit mehrere weitere Betroffene ähnliche Klagen eingereicht. (KNA)

9.4., 15:50 Uhr: Ergänzt um Stellungnahme des Erzbistums.