Ramelow: Mehr Gründe, in die Kirche einzutreten als auszutreten
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Vom Kirchenaustritt zum Wiedereintritt: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat eine besondere Geschichte mit der Kirche. Kurz vor Beginn des Erfurter Katholikentags erzählt er im Podcast, warum er sich selbst als Exot bezeichnet, welche Rolle den Religionen in Thüringen zukommt und von einer besonderen Begegnung mit Papst Franziskus.
Frage: Sie sind überzeugter Christ in der Partei Die Linke und in Ostdeutschland. Beides Ausnahmesituationen. Das war aber auch schon mal anders. Sie waren aus der Kirche ausgetreten und haben dann erst in Thüringen den Draht zur Kirche wiedergefunden. Was hat er den Ausschlag gegeben?
Bodo Ramelow (Ministerpräsident des Freistaats Thüringen): Um es präziser zu sagen, meinen Glauben habe ich nie verloren, ich habe den Glauben an die Amtskirche verloren. Ich habe damals gesagt: Ich bin mit Gottes Bodenpersonal über Kreuz. Es gab Anlässe in Marburg mit meiner evangelischen Kirche, die Entscheidungen getroffen hat, die mir wehgetan haben. Mein Jugendclub im Dorf, der mit der Kirchgemeinde zusammen organisiert war, ist uns zugemacht worden. Vorher gab es einen Diakon in Marburg, der entlassen worden ist, weil er in Scheidung lebte. Den Kirchenaustritt musste man im Amtsgericht erklären. Ich hatte die Hoffnung, dass ich damit meinen Pfarrer provoziere, dass er mit mir redet. Aber es passierte gar nichts. Ich hörte von meiner Amtskirche nichts mehr. Später war ich weggezogen, dann war das aus meinem Blick. Ich bin aber weiterhin in den Gottesdienst gegangen. Ich war weiterhin mit meinem Glauben unterwegs und ich habe mich im Glauben nicht beirren lassen. Als ich dann nach Thüringen kam, habe ich im Arbeitskampf in der Kaligrube Bischofferode die ökumenischen Gottesdienste erlebt. Das ist im katholischen Eichsfeld. Die Bergleute sind über die heilige Barbara sehr mit dem Glauben verbunden und im katholischen Eichsfeld noch umso mehr. Dann als Gewerkschafter auf einmal zu erleben, dass die Kraft dieses Arbeitskampfes, durch die Ökumene, durch diese Möglichkeit, angesprochen zu sein über den Glauben, auf einmal so viel Ausstrahlungskraft hatte in einer Situation, die zur Niederlage geführt hat. Diese ökumenischen Gottesdienste am Sonntag haben mich fasziniert.
Frage: Das heißt, Sie hätten auch katholisch werden können?
Ramelow: Das hätte sein können, aber ich komme ja aus einer uralten protestantischen Familie. Insoweit ist das noch mal eine andere Geschichte. Ich habe mich einfach zum Glauben bekannt. Das war für mich selbstverständlich. Da habe ich es gespürt. Und dann hatte ich in Erfurt aus gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen auf einmal Zugang zu den Kirchgemeinden. Die waren wie die Kirche meiner Kindheit. Ich hatte auf einmal das Gefühl, wieder in einer Kirchgemeinde zu sein, die ich glaubte, verloren zu haben. Das war der Rückweg in die Amtskirche, warum ich auch mit Überzeugung eingetreten bin und auch darüber immer laut geredet habe.
Frage: Auch heute noch mit Überzeugung? Sowohl katholisch wie evangelisch gibt es ja eigentlich im Moment mehr Gründe auszutreten als einzutreten.
Ramelow: Ich glaube, es gibt mehr Gründe einzutreten als auszutreten, aber es gibt mehr Gründe, Gottes Bodenpersonal immer wieder auf die Füße oder vielleicht auch mal in den Hintern zu treten. Ich finde da unseren katholischen Bischof Neymeyr hier in Erfurt wirklich sehr gut, der auch die unangenehmen und die schwierigen Sachen immer wieder deutlich anspricht – in öffentlichen Veranstaltungen oder in Empfängen der katholischen Kirche oder beim Bischofsgespräch. Dasselbe gilt auch für meine evangelische Kirche. Wir erleben hier in Erfurt ja eine andere Form von Diaspora. Wir als Christen oder als gläubige Menschen sind ja die absolute Minderheit. Selbst wenn wir alle Jüdinnen und Juden dazuzählen, katholische und evangelische Christen, die Freikirchen und selbst wenn wir aus den abrahamitischen Religionen die Muslime noch dazuzählen würden, wären wir trotzdem nicht einmal bei 30 Prozent der Bevölkerung, die in irgendeiner Form was mit Glauben zu tun hat.
Frage: Sie sind einerseits seit knapp 35 Jahren in Thüringen politisch aktiv. Auf der anderen Seite sind sie ja auch im Kontext der Linken auf Bundes- und Europaebene aktiv. Wo hat man mehr Erklärungsnot als Christ? In der Diaspora in Thüringen oder bei den Linken?
Ramelow: Ehrlicherweise beides gleich viel. Interessant war, als ich in Thüringen als Gewerkschafter in die Kirche eingetreten bin, da hat das keinen Menschen interessiert. Aber als ich als gebundener Christ für die PDS kandidiert habe, hat es meine Kirchgemeinde interessiert. An diesem Sonntag saß ich allein in meiner Kirchenbank, als das bekannt wurde. Das ist spannend. Dasselbe ist bei der Partei auf Bundesebene. Es gab immer schon in der PDS eine starke Gruppe, die Bundesarbeitsgemeinschaft Christinnen und Christen in und bei der PDS. Mit denen habe ich seit Jahren schon zusammengearbeitet. Insoweit war in der PDS selber die Besonderheit gar nicht so besonders. In der ersten Fraktion im Deutschen Bundestag von Gregor Gysi war auch ein Missionspfarrer, der für die PDS kandidiert hatte. Der saß auch da wie selbstverständlich mit drin. Ich kann mich an Gottesdienste erinnern, wo wir unterschiedlich unterwegs waren, wo auf einmal Lothar Bisky dabei war. Ich weiß noch, bei einem Wahlkampftermin auf Helgoland wollte ich selber morgens in den Gottesdienst gehen. Ich hatte mir das alles schon genau überlegt und dachte: Na ja, die anderen Wahlkämpfer wird das nicht interessieren. Als ich in der Kirche saß, war die Kirche voll – und das waren alles PDSler. Das habe ich auch noch nicht erlebt.
„Mit der Kirche darf es keine Sonderrechte geben, weder im Arbeitsrechtsbereich im Wettbewerb, noch wenn es um Übergriffe gegen Kinder und Schutzbefohlene geht.“
Frage: Das sind aber alles Leute, die sich spontan dazu entschieden haben?
Ramelow: Nein, das habe ich dann festgestellt. Die kamen aus Niedersachsen, aus dem Großraum Hannover und waren alle engagierte Christen. Insoweit war das in der PDS sogar eher eine Rückbindung. So sind wir auch mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu jedem Evangelischen Kirchentag immer mit großen Ständen unterwegs gewesen. Ich habe ganz viele Leute kennengelernt. Kompliziert wurde es, als die WASG, die westdeutsche Verstärkung kam. Da kam so eine Alt-68er-Mentalität dazu. Die war antireligiös und antiklerikal. Auf einmal wurde es dann auch religionsfeindlich. Ich erinnere mich auch ein einen Parteitag in Dresden, wo wir ein neues Wahlprogramm verabschiedet hatten. Beim Thema Religionsunterricht hat dieser Parteitag etwas entschieden, was für mich ein Grund war, am Ende die einzige Nein-Stimme zu sein. Ich kämpfe trotzdem für die Linke, aber ich werde für so eine Position nicht eintreten. Ich werde immer dagegenhalten und sagen: Die Fragen, was in einer Kirche zu geschehen hat, hat die Kirche zu klären. Das müssen die Kirchenmitglieder klären. Der Staat hat sich dort nicht einzumischen. Umgekehrt sage ich – und das gehört auch zur Ehrlichkeit – ich finde, dass die Fragen der Finanzströme verändert werden müssen. Ich finde, dass das kirchliche Arbeitsrecht nicht auf Krankenhäuser oder Kindergärten angewendet werden darf. Für mich ist das Privileg des kirchlichen Arbeitsrechtes nur in der Verkündigung anzusiedeln und hat dort nichts zu suchen, wo man eigentlich ganz normaler Wettbewerber ist. Das ist kein normaler Wettbewerber, das weiß ich auch. Diakonie und Caritas sind mir viel wert, aber ich finde, die sollten einfach dem ganz normalen deutschen Mitbestimmungsrecht und dem normalen Tarifrecht unterliegen, weil diese Sonderregelung der Kirche nicht hilft und am Ende auch Caritas und Diakonie schadet. Dieser sogenannte dritte Weg ist ein Holzweg. Es ist kein tauglicher Weg, jedenfalls aus meiner Perspektive. Das sage ich aber seit 20 Jahren, ohne dass ich damit antikirchlich bin, ohne dass ich damit antiklerikal bin und schon gar nicht gegen Religion ausgerichtet bin, sondern ich sage das zur Institution. Deswegen kennen meine Bischöfe in Thüringen diese Position. Manchmal debattieren wir es, wir erörtern es. Wir streiten uns darum nicht im Sinne von, wir können uns nicht leiden, sondern wir reden über die inhaltliche Grundpositionierung. Das, finde ich, ist das Respektable, dass man auch in der Kirche und als gebundener Christ auch sagen kann, mit der Kirche darf es keine Sonderrechte geben, weder im Arbeitsrechtsbereich im Wettbewerb, noch wenn es um Übergriffe gegen Kinder und Schutzbefohlene geht. Auch da gibt es keine Straffreiheit und keinen Raum, der geschützt wäre. Die Einzigen, die zu schützen sind, sind die Schutzbefohlenen. Wenn dagegen verstoßen wird, dann bedarf es wirklich einer klaren, eindeutigen Handlung und eines Aufstehens aller Beteiligten, um zu sagen: Das darf nicht passieren. Keiner darf innerhalb des kirchlichen Raumes und innerhalb seines Glaubens verletzt werden oder ausgebeutet werden.
Frage: Als Ministerpräsident haben Sie dank der deutschen Konkordate auch das Recht, dem Papst zu begegnen. Wie war das für Sie?
Ramelow: Das ist eine lustige Geschichte, weil ich kurz nach meiner Wahl zum Ministerpräsidenten von einem Journalisten gefragt wurde, was ich mir wünschen würde. Dann habe ich spontan gesagt: Ich möchte diesen Papst treffen. Dann sagte hinter mir eine Stimme: Das steht Ihnen auch zu. Das war ein Mitarbeiter aus der Staatskanzlei. Ich wusste das gar nicht. Ich bin gar nicht davon ausgegangen, dass ich ein Konkordatsrecht in Anspruch nehme. Es war aber so lustig, weil der Journalist mich fragte, was ich mir wirklich von Herzen wünschen würde. Franziskus war zu dieser Zeit gerade zu den Geflüchteten nach Lampedusa gefahren und hat dort auch die Fußwaschung vorgenommen. Das hat mich so berührt, dass ich gesagt habe: Diese Persönlichkeit ist hochinteressant. Ich habe sogar den Luxus, dass ich sagen darf, ich habe zwei Päpste getroffen. Einmal war ich noch Opposition und religionspolitischer Sprecher aus dem Bundestag. Das nächste Mal war ich dann als Ministerpräsident im Vatikan. Das eine Mal war die große Begegnung und das andere war die persönliche Begegnung.
Frage: Ist das für Sie noch mal was anderes als Spitzenpolitiker oder hohe Gesellschaftsvertreter zu treffen?
Ramelow: Zu dieser Zeit war es so, dass in Erfurt ja die Höcke-Demonstrationen immer Richtung Domplatz gingen. Die katholische Kirche und die Domgemeinde haben gesagt: Wenn finstere Reden gehalten werden, wird der Dom die nicht in den Glanz setzen. Das heißt, sie haben schlicht das Licht ausgemacht, als diese seltsamen Reden vor dem Dom gehalten wurden. Dafür habe ich mich beim Papst bedankt. Umgekehrt war ich sehr überrascht, wie gut er vorbereitet war, auf mich als Person und auf das, was in Thüringen los ist. Wir haben darüber gesprochen, dass es eine größere Anzahl von Menschen gibt, die offenkundig zurück in eine Zeit zwischen 1933 und 1945 zurückwollen. Das fand ich spannend, dass er das aus seiner lateinamerikanischen Perspektive angesprochen hat.
Frage: Der Katholikentag steht jetzt an. Sie werben relativ prominent dafür. Sie haben sich dafür eingesetzt, dass Quartiere gefunden werden. Trotzdem ist es ja, man könnte sagen, eine Randgruppen-Veranstaltung, die nicht wirklich die Massen zieht. Was erwarten Sie, wie die Thüringer auf diese Veranstaltung blicken werden?
Ramelow: Ich habe mich dafür entschieden zu sagen, wir wollen gute Gastgeber sein. Und gute Gastgeber heißt: Wir wissen, dass das ein sehr spezieller Teil unserer Gesellschaft ist, der in Thüringen nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehört, aber zu einem sehr gewichtigen. Denn immerhin prägt der Dom diese ganze Stadt. Das Wappen dieser Stadt ist gekennzeichnet vom Dom. In diesem Dom ist Martin Luther zum katholischen Priester geweiht worden. Im Augustinerkloster hat der Mönch Martin Luther studiert, bevor er dann seinen Weg gegangen ist. Denn tatsächlich, wenn man sich mit Martin Luther beschäftigt – und da ich aus einer protestantischen Familie komme, kann ich das so sagen – Martin Luther wollte keine Kirchenspaltung, er wollte kein Schisma. Er wollte nicht eine neue Kirche schaffen. Er wollte die bestehende Kirche reformieren, er wollte seine Kirche reformieren. Aus dieser Perspektive gucke ich immer auf die Ökumene. Und da halte ich es dann wieder mit Franziskus. Franziskus hat in der evangelischen Kirche in Rom die Abendmahlsinstrumente übergeben, was er sonst immer nur als ein Zeichen der katholischen Würde macht. Dort hat er etwas gesagt, das mich beeindruckt hat: Ihr steht vor der Tür, durchgehen müsst ihr selber. Das hat er in Richtung der deutschen Ökumene gesagt. Das fand ich großartig. Es ist einfach ein Zeichen, dass er nicht kraft seines Amtes etwas anordnet, sondern er ermöglicht. Diese Haltung hat er an verschiedenen Stellen entwickelt. Das zeigt mir, dass er wirklich einen Blick auf Weltkirche hat, die unterschiedlicher nicht sein kann. Deswegen freue ich mich auf den Katholikentag, weil es ein starkes Zeichen ist – eingebettet in diesen Dom zwischen Augustinerkirche, dem alten Universitätsgebäude, in dem heute die evangelische Landeskirche (EKM) ihren Sitz hat. Das ist ja das alte Studiengebäude von Martin Luther. Diese Perspektive, in der wir uns bewegen, ist eine Perspektive einer Zeit, in der immer mehr Menschen aus der Kirche austreten. Und wir müssen uns überlegen: Was bedeutet das eigentlich für eine moderne Gesellschaft, wenn wir gottlos werden? Selbst Gregor Gysi, der bekennend sagt, dass er an keinen Gott glaubt, sagt, er habe aber Angst vor einer "gottlosen Gesellschaft". Deswegen ist es für mich auch eine emotionale Freude, dass der Katholikentag kommt.