Vor der Papstrede bei G7: Wie steht Kirche zu Künstlicher Intelligenz?
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Papst Franziskus spricht Ende der Woche beim G7-Gipfel in Italien über Ethik und Künstliche Intelligenz (KI). Anna Puzio von der Universität Twente ist Expertin bei diesem Thema. Die Theologin forscht seit Jahren zu künstlicher Intelligenz und ist Initiatorin des Netzwerks "Theologie und KI". Den Standpunkt des Papstes zu KI sieht sie kritisch, da er ihrer Ansicht nach mehr die negativen als die positiven Aspekte in den Fokus nimmt. Von seiner G7-Rede wünscht sie sich im Interview, dass er mehr Wert auf gesellschaftliche Randgruppen legt.
Frage: Frau Puzio, das Thema Künstliche Intelligenz (KI) entwickelt sich im Moment rasant. Papst Franziskus wurde von den G7 zur Konferenz nach Apulien vom 13. bis 15. Juni eingeladen, um über die ethische Dimension von KI zu sprechen. Gibt es denn einen offiziellen Standpunkt vom Heiligen Stuhl, wie man als Katholiken mit KI umzugehen hat?
Puzio: Es gibt erste Statements vom Papst, auch schon in den Enzykliken und anderen Schriften, wo bereits eine Positionierung stattfindet. Bei Papst Franziskus ist natürlich die Verbindung zur Umwelt sehr dominant, also inwiefern die Technologien auch eine Gefahr für die Umwelt darstellen. Es fällt auf, dass er eine sehr anthropozentrische Perspektive vertritt, also stark auf den Menschen fokussiert. Das christliche Menschenbild ist ein sehr wichtiger Anschlusspunkt für die Kirchen und Theologien an die KI-Debatte. Das Problem mit dem Anthropozentrismus ist aber, dass der Mensch im Zentrum steht und alles aus der Perspektive des Menschen gedacht wird, wodurch die vielen nichtmenschlichen Entitäten (zum Beispiel Tiere oder Technologien), zu denen wir auch eine Beziehung haben, aus dem Fokus geraten. Außerdem verändert sich mit Technologien unser Menschenverständnis und damit muss man sich beschäftigen. Es bleibt zum Beispiel völlig unklar, was der Papst mit einigen Aussagen zum Menschen wie "in der Menschlichkeit wachsen" meint.
Frage: Wie geht der Vatikan mit dem Thema KI um?
Puzio: Der Papst hat gesagt, dass es eine Orientierungslosigkeit in der Gesellschaft gibt und wir daher Antworten brauchen. Dem stimme ich zu. Es ist gut, dass sich mit diesen Fragen auch aus kirchlicher und theologischer Perspektive auseinandergesetzt wird. Der Papst schreibt auch, dass wir eine Doppelperspektive von Chancen und Gefahren brauchen und kritisiert zu pessimistische Narrative im KI-Diskurs. Tatsächlich ist es aber so, dass auch er diese Narrative verwendet, die Technik als Gegner, als Feind oder mit kriegerischen Worten darstellen. Diese Narrative sind nicht förderlich und stehen uns in einer verantwortungsvollen Auseinandersetzung mit KI im Weg.
„Im westlichen Raum gibt es eine starke Angst vor der Technik, eine Skepsis gegenüber technologischem Fortschritt.“
Frage: Papst Franziskus hat Künstliche Intelligenz als eine von drei überlebensbedrohenden Faktoren für die Menschheit bezeichnet, neben Atomwaffen und Umweltzerstörung. Sie würden bei der Argumentation also nicht unbedingt mitgehen?
Puzio: Ich beobachte schon länger, dass sich die Theologien oder Kirchen sehr skeptisch gegenüber den neuen Technologien zeigen. Es ist natürlich wichtig, dass wir kritisch bleiben. Es gibt viele ethische Herausforderungen, die wir meistern und angehen müssen. Dennoch ist es aber wichtig, diese Doppelperspektive zu haben. Es ist zum Beispiel nicht berechtigt, dass der Papst oftmals nur von Waffen spricht, wo doch Smartphones und Internet gerade das Wichtigste in unserem Alltagsleben sind. Oder warum werden nur die Technologien erwähnt, die Menschen töten, aber nicht die medizinischen Technologien, die Leben retten? Das sorgt aus theologischer oder kirchlicher Perspektive für eine sehr abwehrende Haltung gegenüber Technologien, statt konkret nach Chancen und Lösungen zu suchen.
Frage: Ist das nur die Perspektive des Papstes oder zieht sich dieser Ansatz durch die ganze kirchliche Szene?
Puzio: Ich würde schon sagen, dass sich das durch große Teile der kirchlichen Szene zieht. Es gibt aber gerade in den Theologien schon viele Ansätze, die weitaus positiver, innovativer und zukunftsorientierter sind, als der Papst es formuliert. Diese technikskeptische Perspektive gibt es aber nicht nur in Kirche oder Religion, sondern allgemein ist in den westlichen Ländern und Kulturen eine solche Technikangst verbreitet, die man wissenschaftlich auch den "Frankensteinkomplex" nennt. Im westlichen Raum gibt es eine starke Angst vor der Technik, eine Skepsis gegenüber technologischem Fortschritt. Dagegen gibt es zum Beispiel in Japan ein sehr viel positiveres Bild von Technik, wo schon Erzählungen in der Kindheit Technik als Freund oder Freundin darstellen oder zumindest als etwas, das uns hilft und nicht das Feindbild ist.
Frage: Die G7 haben den Papst eingeladen, um über eine ethische beziehungsweise menschliche Dimension für Künstliche Intelligenz zu sprechen. Ist das nicht auch eine Stimme, die in diesem Diskurs bis jetzt fehlt? Das ist ja auch ein Vorwurf, der immer kommt. Man geht technisch immer weiter voran, hat nicht so wirklich im Blick, welches Gefahrenpotenzial dahinterstehen könnte. Braucht es nicht auch eine Stimme, die in diesem Dialog sagt "vergesst den Menschen nicht"?
Puzio: Ja, es ist durchaus so, dass der Mensch, vor allem in den Diskursen in Silicon Valley und Big Tech in Vergessenheit gerät. Es ist aber nicht unbedingt nur "der Mensch", sondern bestimmte Menschengruppen, die vergessen werden. Ich fände es wichtig, wenn der Papst darauf aufmerksam machen würde, dass bestimmte Gruppen wie Frauen und queere Personen, Menschen mit Behinderungen, ärmere Menschen und Menschen aus verschiedenen kulturellen Kontexten im KI-Diskurs am stärksten in Vergessenheit geraten. Wenn man den Diskurs zu KI aus philosophischer Perspektive betrachtet, sind diese sehr menschenzentrierten Ansätze eigentlich nicht sehr neu. Damit bringt der Papst philosophisch gesehen nichts Neues in die Debatte, sondern wir haben uns eigentlich in der Philosophie und der Ethik schon lange davon wegbewegt, nur den Menschen zu fokussieren, sondern zu einer Anthropozentrismuskritik zu kommen, also die Beziehungen, die wir zur Mitwelt haben, anzuschauen. Dazu gehören zum Beispiel Tiere oder Technik, zu denen wir schon lange Beziehungen haben und die uns und unser Leben mitbestimmen. Ich glaube, dass wir sehr viele philosophische, ethische Probleme nicht angehen können, wenn wir diese Beziehung, die wir zur Technik aufbauen, nicht ernst nehmen. Außerdem müssen wir reflektieren, wie sich das Menschenbild im Kontext von KI verändert. Wir können nicht nur bei unseren Erkenntnissen von vor der Zeit von KI stehen bleiben.
Frage: Wenn der Papst jetzt vor den Staatschefs spricht, was würden Sie sich wünschen? Würden Sie sich wünschen, dass er vielleicht sagt: Habt nicht so viel Angst davor? Soll er zum Beispiel auch auf das Potenzial von KI für den Menschen schauen?
Puzio: Der Papst wird eine sehr kritische Perspektive haben und diese einbringen. Das ist auch gut. Wichtige theologische Perspektiven wären Gerechtigkeit, Diversität und Machtkritik. Auch die Konsequenzen aufzuzeigen, die die Technologien für die Umwelt haben, ist sehr wichtig. Zusätzlich würde ich aber auch die Chancen in den Vordergrund stellen und die problematischen KI-Narrative vermeiden, die Technik zu unserem Feindbild machen und den Menschen Angst machen.
„Roboter können andere Dinge ganz gut, die wir Menschen nicht können. Auf diese Art und Weise können wir unsere heutigen Möglichkeiten erweitern.“
Frage: Jetzt gibt es natürlich in der katholischen Welt nicht nur den Papst. Sie haben selber das Netzwerk "Theologie und KI" initiiert. Was gibt es denn für andere Entwicklungen, die uns in dem Bereich weiterbringen können?
Puzio: Gegenwärtig wird viel über generative KI diskutiert – durch ChatGPT. Generative KI bringt verschiedene Möglichkeiten für die Theologien und Religionen mit sich, was Textanalyse, Textproduktion, Musikproduktion und verschiedene Assistenzsysteme angeht. Da kann man sehr viel machen. Ein weiteres innovatives Thema in der Forschung sind zum Beispiel religiöse Roboter. Das sind Roboter, die religiöse Praktiken ausführen. Ich habe neulich auf dem Katholikentag in Erfurt eine Studie mit dem NAO-Roboter durchgeführt. NAO ist ein sogenannter Sozialer Roboter, der für soziale Interaktionen eingesetzt wird. Mit den Workshop-Teilnehmenden habe ich untersucht, ob wir religiöse Roboter einsetzen sollten und wenn ja, wie wir sie einsetzen sollten. Religiöse Roboter können religiöse Gespräche führen, sie können Führungen durch religiöse Gebäude geben oder religiöse Texte vorlesen oder Musik abspielen. Da wir Soziale Roboter im Krankenhaus einsetzen, stellt sich die Frage, ob sie auch religiöse Themen besprechen sollten. Genauso stellt sich bei den Robotern im Bildungsbereich die Frage, ob sie nicht auch Themen der religiösen Bildung aufgreifen sollten.
Frage: Wobei bei mir dann sofort die Skepsis hochkommt, Sie haben religiöse Gespräche genannt. Gerade bei der Seelsorge ist der menschliche Faktor etwas ganz Wichtiges. Den wird man ja eigentlich nie ersetzen können.
Puzio: Genau das ist eine spannende Frage, die wir auch diskutiert haben. Es geht gar nicht darum, dass wir die Mensch-Mensch-Beziehung ersetzen, sondern es geht darum, sie zu erweitern. Roboter können andere Dinge ganz gut, die wir Menschen nicht können. Auf diese Art und Weise können wir unsere heutigen Möglichkeiten erweitern. Es geht letztlich mehr um eine Erweiterung und Vielfalt von Beziehungen, anstatt um den Mensch-Mensch Ersatz, den viele fürchten. Wir sehen zum Beispiel, dass Roboter in der Therapie ganz große Erfolge erzielen, zum Beispiel bei Autismus und Demenz. Auch im kirchlichen Bereich haben die Workshop-Teilnehmenden viele Situationen genannt, in denen sie die Interaktion mit einem Roboter bevorzugen, weil nicht die Beziehung zum Priester, sondern zu Gott für sie im Vordergrund steht. Wir sehen auch, dass Roboter in der Pflege viele körperliche Bewegungen gut ausführen können, die dem menschlichen Körper schaden. Es geht also gar nicht darum, dass wir die Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten ersetzen, sondern Roboter zum Beispiel einige körperliche Aufgaben übernehmen. Wir müssen herausfinden, für welche Aufgaben uns menschliche Interaktion wichtig ist und bei welchen Aufgaben uns Roboter helfen können.