Benedikt Grünger ist ein Jahr lang Missionar auf Zeit in Bolivien

"Der Glaube steckt tief in den Menschen drin"

Veröffentlicht am 14.06.2015 um 14:00 Uhr – Von Markus Frädrich – Lesedauer: 
Engagement

San Ignacio ‐ Nach seinem Abitur beschloss Benedikt Grüger aus Bingen, ein Jahr lang in einem Projekt der Steyler Missionare mitzuleben, mitzubeten und mitzuarbeiten. Als Missionar auf Zeit brach er zu einem Einsatz in die bolivianische Chiquitania auf.

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"Rühre Löffel, rühr herum" steht über der Partitur. Aber so ganz rund rührt der Löffel noch nicht: Nardy müht sich zaghaft durch die Dreiklang-Übung, dem Bogenstrich ihres Lehrers folgend.

Ihr Lehrer, das ist Benedikt, ein Freiwilliger aus Deutschland. Ein ganzes Jahr lebt und arbeitet der 20 Jährige aus Bingen hier in San Ignacio, mitten in der bolivianischen Chiquitania. "Im Prinzip hat mich meine Geige hergebracht", erzählt der Missionar auf Zeit und deutet auf sein Instrument. "Eigentlich wollte ich in der Musikschule der Nachbarstadt San Miguel unterrichten. Am Ende bin ich hier in San Ignacio gelandet, aber auch hier musikalisch unterwegs."

Benedikt unterrichtet, spielt aber auch in einem Orchester gemeinsam mit behinderten und nicht-behinderten Jugendlichen. "Zu meinen schönsten Erlebnissen hier gehörte ein Adventskonzert in der Kathedrale, bei dem ich mitgespielt habe", erzählt Benedikt. "Neben klassischer Musik haben wir da auch ein typisches Stück aus der Gegend hier gespielt, unterstützt von Musikern mit traditionellen Instrumenten."

Missionsdörfer, die zum Weltkulturerbe gehören

Im Sommer 2014 kam Benedikt zum ersten Mal über staubige Buckelpisten in den Osten Boliviens - durch unendlich weite, üppig grüne Dschungelgebiete und Savannen, vorbei an brandgerodeten Weiden und langgestreckten Ackerstreifen. Hier, in einem Gebiet so groß wie die alte Bundesrepublik, reihen sich auf einer Streckenlänge von 450 Kilometern historische Jesuitenreduktionen aneinander - Missionsdörfer, die aufwändig restauriert wurden und zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören.

Auch sein Zielort San Ignacio geht auf eine alte Jesuiten-Mission zurück. "Ich lebe hier in einem Internat der Steyler Missionare, in dem 16 Jungs untergebracht sind", erklärt Benedikt. "Wir kochen, essen und beten gemeinsam. Manchmal helfe ich den Jungs bei den Hausaufgaben, manchmal spielen wir Fußball miteinander." Benedikt ist für die Jungs im 'Casa San José' zu einer Art großem Bruder geworden. "Er ist eine große Hilfe und Bereicherung für uns", sagt die Internatsleiterin Trifonia Rojas Andia. "Er ist fest in unseren Alltag eingebunden, auch wenn er anfangs ein wenig schüchtern war."

"Ist das mein Ort?"

Die kleinen Starthemmungen: Vielleicht entstanden sie auch, weil Benedikt sich bei seiner Ankunft alles andere als sicher war, am rechten Platz zu sein. "Ich konnte mir erst mal partout nicht vorstellen, hier ein Jahr lang zu bleiben - als Gringo unter den Bolivianos", erinnert er sich. "Ich musste mich daran gewöhnen, so weit weg von zu Hause zu sein. Ich war mir unsicher, ob das hier 'mein' Ort ist, ob es ein gutes Jahr wird."

Benedikt muss lächeln, wenn er an den Kulturschock von damals denkt, denn heute schaut er auf eindrucksvolle, prägende Monate zurück. Auf einen Ausflug ins bolivianische Hochland und auf ein Weihnachtsfest mit sommerlichen Temperaturen, auf ein landesweites Schachturnier und ein Karnevalsfest mit ausgelassenen Farbschlachten. "Ich habe damals extra ein weißes T-Shirt angezogen, um ein Mitbringsel für Deutschland zu haben", sagt er. "Jetzt ist es total bunt, völlig zugesaut."

Noch immer ist der bolivianische Alltag eine Herausforderung für den Deutschen. Benedikt liebt Strukturen, führt Kalender, mags gern ordentlich. Die "tranquilidad boliviana", die bolivianische Gelassenheit, fasziniert ihn, ohne dass er sie sich so ganz zu Eigen machen kann. "Bolivien hilft mir dabei, lässiger zu werden - und die Siesta ist eine sinnvolle Erfindung", findet er. Der Typ für "Kommst du heut nicht, kommst du morgen" wird er dennoch nie sein.

Physikunterricht
Bild: ©Achim Hehn/SVD

In der Schule gibt Benedikt Grüger Physikunterricht

Das Jahr als Missionar auf Zeit: Ein Jahr der Selbsterkenntnis für den Freiwilligen, eine Konfrontation mit den eigenen Schwächen und Stärken. Zu Benedikts Stärken gehört eindeutig: Er kann gut Wissen weitergeben, nicht nur an der Geige. In der "Granja", der örtlichen Schule, gibt der junge Deutsche Physikunterricht, vermittelt Newtonsche Gesetze und zeigt, wie man mit Vektoren rechnet. In der Steyler Pfarrgemeinde "Maria Asunta" macht er die lokale Messdienertruppe fit fürs Weihrauchfass.

Glaube und Alltag gehören zusammen in Bolivien

Umgekehrt versucht er, möglichst viel von der Mentalität und Lebensweise seiner Gastgeber aufzusaugen, von der Offenheit, Menschlichkeit und Spontaneität der Tiefland-Bewohner. "Ich finde sehr bereichernd, wie selbstverständlich hier christliche Traditionen gelebt werden", sagt er. "Wenn man hier an einer Kirche vorbeigeht oder -fährt, ist es Brauch, sich zu bekreuzigen. Ich finde diese kleine Geste sehr schön, weil sie viel darüber aussagt, wie stark der Glaube zum Alltag dazugehört. Hier muss man in den Kar- und Ostertagen niemandem erklären, was gefeiert wird. Das steckt tief in den Menschen drin."

Seinen Einsatz als Missionar auf Zeit ist Benedikt angetreten, um - wie er sagt - die Erdung nicht zu verlieren. "Man verrennt sich so schnell in Luxusproblemen", ist er überzeugt. "Ich glaube, mein Jahr in Bolivien wird mir in Deutschland helfen, die Dinge dankbarer und wertschätzender anzunehmen." Wenn Benedikt im Sommer in die Heimat zurückkehrt, um sein Physikstudium anzutreten, dann mit bolivianischen Geigen-Noten im Gepäck - und einer gewachsenen Gottesbeziehung. "Wenn man in einer fremden Umgebung alles verloren zu haben scheint, was einem Zuhause Halt gibt, ist es schön, sich auf Gott besinnen zu können", sagt er. "Dieses Gefühlt verleiht Trost und Tiefe - und hat mein Jahr geprägt."

Von Markus Frädrich