Kamala Harris fordert Trump heraus – und die katholischen Bischöfe
Beim ersten Aufritt Kamala Harris als designierte Präsidentschaftskandidatin schallt das Lied "Freedom" von der schwarzen R&B-Legende Beyoncé aus den Lautsprechern. Erkennungsmelodie und Programm der Demokratin, die nach Joe Bidens Verzicht auf eine erneute Kandidatur in Windeseile die Partei hinter sich versammelt hat. Binnen 36 Stunden war es ihr gelungen, die gesamte Parteiprominenz, die Mehrheit der 4.000 Delegierten zum Parteitag Mitte August in Chicago und die Spender hinter sich bringen. Die überschütteten sie mit über 100 Millionen Dollar, während sich fast 60.000 Freiwillige meldeten, Harris im Wahlkampf zu unterstützen.
Entsprechend groß war das Interesse an ihrer ersten Rede als Kandidatin in der "West Allis Central Highschool" vor den Toren Milwaukees. Wegen Überfüllung mussten Interessierte draußen vor der bis auf den letzten Platz gefüllten Sporthalle bleiben. Ohrenbetäubender Applaus brach aus, als sie auf ein Thema zu sprechen kommt, das ihr besonders am Herzen liegt. "Wir werden Donald Trumps extreme Abtreibungsverbote stoppen", erklärte Harris unter Anspielung auf die massiven Einschränkungen beim Zugang zu legalen Schwangerschaftsabbrüchen, die republikanisch geführte Bundesstaaten nach dem Grundsatzurteil des Supreme Court im Juni 2022 beschlossen hatten. Das von Trump geprägte Gericht hatte ein halbes Jahrhundert Rechtssprechung zur Abtreibung kassiert. Damit fiel die Zuständigkeit automatisch wieder den Staaten zu.
Wahlkampf ist die Zeit der Zuspitzung
Tatsächlich hat Trump keine Verbote erlassen, sondern den Weg dazu freigemacht. Aber Wahlkampf ist die Zeit der Zuspitzung. Und Harris tut es bei dem Thema, das die Amerikanerinnen umtreibt, sehr effektiv. "Wir trauen Frauen zu, ihre eigenen Entscheidungen über ihre eigenen Körper zu treffen und nicht der Regierung das Sagen zu geben, was sie tun dürfen". Die Freiheit, selbst zu entscheiden, gehörte schon zu ihren Kernbotschaften, als sie sich im Frühjahr im Auftrag Bidens auf eine "Reproduktive Freedoms Tour" durch die Swing States aufmachte. Als Kandidatin verspricht sie, die vom obersten Gericht kassierten Rechte bei ihrer Wahl ins Weiße Haus per Gesetz zu verankern. Dafür bräuchte sie demokratische Mehrheiten in beiden Häusern des US-Kongresses.
Keine einfache Aufgabe, aber machbar. Ein Viertel der Amerikaner sagt den Meinungsforschern von Ipsos, der Zugang zu legaler Abtreibung sei "das wichtigste aller Themen". Bei den Demokraten sagen das mit 45 Prozent fast die Hälfte. Während der Katholik Biden sich schwer damit tat, sich den konservativen US-Bischöfen seiner Kirche zu widersetzen, die den Kampf gegen die Abtreibung zur höchsten Priorität erklärt haben, geht die Baptistin Harris unbefangen damit um.
Marjorie Dannenfelser, die eine große Organisation von Abtreibungsgegnern anführt, verweist darauf, dass die Präsidentschaftskandidatin im Frühjahr mit dem Besuch einer "Planned Parenthood"-Klinik ein deutliches Zeichen gesetzt habe, "Während Joe Biden Mühe hat, das Wort Abtreibung auszusprechen, schreit es Kamala Harris laut heraus." Trumps Wahlkampfsprecherin Karoline Leavitt spitzt nicht minder zu, wenn sie behauptet, dass die Demokratin "für Abtreibungen bis zur Geburt und selbst nach der Geburt ist". Damit sei sie "radikal außer Tuchfühlung mit der Mehrheit der Amerikaner". Tatsächlich ist das Gegenteil richtig, wie der Ausgang aller Referenden seit dem Ende von "Roe v. Wade" im Juni 2022 sowie der anschließenden Midterm-Kongresswahlen suggerieren.
Sehr viel kritischer sehen die Amerikaner Harris Positionen beim Thema Migration. Die Republikaner versuchen sie zur "Grenz-Zarin" des Präsidenten zu stilisieren, weil sie unter Biden mit der Suche nach Lösungen für die Ursachen der Flüchtlingsströme über die Südgrenze zu Mexiko beauftragt worden war. Eine undankbare Aufgabe, die sie mit unglücklichen Erklärungen garniert hatte. "Kamala hatte einen Job", ätzte etwa Nikki Haley beim Parteitag der Republikaner in Milwaukee. "Sie sollte die Grenze reparieren. Stellt Euch mal vor, sie wäre für das ganze Land verantwortlich". Auch das eine Übertreibung im Wahlkampf. Zuständig war Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas, in dessen Verantwortung auf dem Höhepunkt der Krise im Dezember 2023 allein 250.000 Menschen ohne Papiere über die Grenze kamen.
Harris machte sich bei Migrantenverbänden eher unbeliebt, weil sie auf Besuch in Mittelamerika an die Menschen appellierte: "Kommt nicht". Und später Bidens Verschärfung der Asylstandards und restriktiven Maßnahmen der Grenze vertrat. Im Unterschied zu Trump, der beim Parteitag der Republikaner versprach, die "größten Massendeportationen in der Geschichte zu organisieren", mehr auf Linie der katholischen Bischöfe in den USA. Wie die USCCB erinnert Harris immer wieder an die humanitäre Herausforderung. "Wir können das nicht auf ein politisches Thema reduzieren", sagte sie etwa bei einem Besuch der Grenzstadt El Paso in Texas. "Wir sprechen über Kinder, Familien und über Leiden."
Größeren Einklang gibt es auch beim Kampf gegen den Klimawandel, den sich Harris schon als Justizministerin Kaliforniens auf die Fahne geschrieben hatte. Als US-Senatorin gehörte sie zu den Sponsoren des "Green New Deal", der im 370 Milliarden Dollar schweren "Inflation Reduction Act" aufging. Für diesen gab die Vizepräsidentin 2022 in ihrer Rolle als Präsidentin des Senats die entscheidende Stimme, um ein Patt zu brechen. Im vergangenen Jahr führte Harris die amerikanische Delegation beim Weltklimagipfel in Dubai an. "Die Dringlichkeit des Augenblicks ist klar", redete sie den Teilnehmern ins Gewissen. "Die Uhr tickt nicht nur, sie schlägt laut. Und wir müssen die verlorene Zeit aufholen." Während Trump verspricht, die grüne Kehrtwende rückgängig zu machen und massiv neue Öl- und Gasreserven zu erschließen, will Harris das Erreichte schützen und ausbauen.
Schnittmengen zwischen Harris und katholischer Soziallehre
Erhebliche Schnittmengen mit der katholischen Soziallehre gibt es auch bei ihren Positionen im Bereich der Gesundheitspolitik, Armutsbekämpfung, Alterssicherung und soziale Gerechtigkeit. Ebenso wie in ihrer Haltung zum Gaza-Krieg, wo Harris zu einem "Waffenstillstand" aufgerufen hat. Während sie Israel das Recht zuspricht, die Bedrohung durch die Hamas zu begegnen, stört sie, "dass zu viele unschuldige Palästinenser ums Leben gekommen sind." Vor allem die konservativen Bischöfe in der USCCB fremdeln mit Harris. Die steht mit 59 Jahren nicht nur für eine neue Generation an Politikern, sondern reflektiert auch die zunehmende religiöse Vielfalt der USA. Harris wurde von ihrer indischen Mutter im hinduistischen Glauben erzogen, bevor sie eine Nachbarin in Oakland zur "Church of God" brachte.
Als Erwachsene schloss sie sich dann der schwarzen "Third Baptist Church" von San Francisco an, wo Reverend Amos Brown predigt. Später heiratete sie mit Doug Emhoff einen Reformjuden aus New Jersey. Harris versteht es, sich fließend zwischen diesen Welten zu bewegen, bleibt aber wie alle anderen US-Präsidenten vor ihr dem christlichen Glauben verbunden. Am Tag des historischen Verzichts Bidens rief sie Pastor Brown an und bat ihn, wie damals bei der Amtseinführung als Vizepräsidentin mit ihr zu beten. Der Baptist rief den Segen Gottes herbei, damit sie "Gerechtigkeit tun, die Gnade lieben und bescheiden mit Gott gehen kann". Sie wäre bei ihrer Wahl auf dem Parteitag der Demokraten die erste schwarze Präsidentschaftskandidatin in der Geschichte.