Er wäre erster Lutheraner: Tim Walz ist "Running Mate" im US-Wahlkampf
Football-Trainer, Highschool-Lehrer, Nationalgardist und Kirchgänger – all das macht den "Running Mate" von Kamala Harris, Tim Walz (60), zum Prototypen eines "lutherischen Dads" aus Minnesota. Ein Bundesstaat im Mittleren Westen, der wie kein zweiter in den USA im 19. Jahrhundert durch Einwanderer aus Skandinavien geprägt wurde. Laut einer Studie des Pew Research Center hat einer von fünf Bewohnern des Bundesstaates diese Wurzeln.
Die Skandinavier brachten das Lutheranertum mit in die Neue Welt. Und Walz sieht sich – trotz katholischer Eltern – als Teil dieser Tradition. Zwar geht er vergleichsweise privat mit seinem Glauben um, doch gelegentlich postet der 2018 zum Gouverneur von Minnesota gewählte Politiker Bilder aus Gottesdiensten in verschiedenen lutherischen Kirchen.
Er selbst gehört der Evangelical Lutheran Church in America an, die, anders als der Name vermuten lassen könnte, nichts mit der evangelikalen Bewegung zu tun hat. Während Evangelikale oft missionarische Freikirchler mit fundamentalistischen Ansichten sind, wird diese protestantische Gemeinschaft zu den traditionellen Volkskirchen gezählt. Das trifft auch auf die Pilgrim Lutheran Church in Saint Paul zu, die Walz als "meine Pfarrgemeinde" bezeichnet.
Nächstenliebe, Bescheidenheit und Zurückhaltung
Tätige Nächstenliebe, Bescheidenheit und Zurückhaltung gehören zu den Kennzeichen dessen, wofür Lutheraner aus Minnesota bekannt sind. Walz spielt in seinen Auftritten gelegentlich mit dem Begriff. Wie bei einer Rede vor Bau-Gewerkschaftern im vergangenen April: "Weil wir gute Lutheraner aus Minnesota sind, haben wir eine Regel: Wenn Du etwas Gutes getan hast und darüber sprichst, zählt es nicht länger", so Walz. "Du musst also jemand anderes finden, der über Dich spricht."
Auf jeden Fall wäre Walz der erste Lutheraner, der bei einem möglichen Wahlsieg im November das Amt des Vizepräsidenten ausüben würde. Der Demokrat Hubert Humphrey, der Lyndon B. Johnsons Vizepräsident war, kam zwar als Lutheraner zur Welt, schloss sich aber einer methodistischen Gemeinde an.
In der Politik hält es Walz mit der Religion eher wie der Katholik Joe Biden, der seinen Glauben praktiziert, ihn aber selten öffentlich zur Schau stellt. Und wie dieser versucht Walz, seine persönlichen Überzeugungen nicht anderen überzustülpen. Das trifft vorrangig auf seine Haltung zum straffreien Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu.
Recht auf eigenständige Entscheidungen
Walz unterzeichnete im vergangenen Jahr ein Gesetz in Minnesota, das Betroffenen "ein fundamentales Recht auf eigenständige Entscheidungen" in Sachen Abtreibung, Verhütung und künstliche Befruchtung zuspricht. Das bringt ihn in Konflikt mit der Mehrheit der katholischen Bischofskonferenz in den USA, die das Thema Abtreibung zu ihrer obersten Priorität erklärt hat. Aneinandergeraten war Walz während der Covid-Pandemie auch mit dem Erzbischof von Saint Paul-Minneapolis, Bernard Hebda, der Restriktionen bei Gottesdienstbesuchen für zu harsch hielt.
Walz hörte zu und gab nach. Er sagte, dass die Richtlinien der zuständigen Gesundheitsbehörde auch für ihn keinen rechten Sinn ergäben. Dagegen stößt die von ihm vorangetriebene Ausweitung von bezahltem Urlaub wegen Krankheit oder Notfällen in der Familie auf Zustimmung der Kirche. Wie auch die Einschränkungen, die der passionierte Jäger beim Waffenrecht durchsetzte.
„Weil wir gute Lutheraner aus Minnesota sind, haben wir eine Regel: Wenn Du etwas Gutes getan hast und darüber sprichst, zählt es nicht länger.“
Bis auf ein Bußgeld für Fahren mit erhöhtem Alkoholspiegel im Alter von 31 Jahren wird dem Lutheraner ein tugendhaftes Leben nachgesagt. Er ist bis heute mit seiner Ehefrau Gwen verheiratet, eine Lehrerin wie er, die er nach Abschluss seines Studiums in Nebraska kennenlernte. Die beiden haben zwei erwachsene Kinder. Vor seinem Einstieg in die Politik engagierte er sich als Football-Trainer an der Highschool, an der er Sozialkunde und Geografie unterrichtete.
Mit einfachen Worten und Humor
Seine größte Stärke ist die Fähigkeit, in einfachen Worten und mit Humor komplizierte Dinge auszudrücken. So in einem MSNBC-Interview, in dem Walz Donald Trump aufs Korn nahm. "Wer möchte diese verrückten Sachen machen? Wer will die Preise für Insulin erhöhen? Wer versucht, Geburtenkontrolle abzuschaffen? ... Wer will das Buch 'Animal Farm' verbieten?" Um dann mit einer einfachen Antwort aufzuwarten: "Ja, die sind schräg. Und sie beweisen es jeden Tag."
Seitdem ist der englische Begriff "weird" (schräg) in aller Munde. Und Walz katapultierte das ganz vorn auf die Liste der Bewerber um die Vizepräsidentschaftskandidatur. Jetzt hat er die Chance, dieses Talent im Wahlkampf an der Seite von Kamala Harris einzusetzen. Walz selbst reklamiert übrigens nicht die Urheberschaft für die neue "Weird"-Strategie der Demokraten. Getreu den Regeln der Lutheraner aus Minnesota lässt er anderen den Vortritt.