Längerer Kampf um das Fach steht bevor

Schulfach Religion wird in Polen immer unbeliebter

Veröffentlicht am 13.10.2024 um 12:00 Uhr – Von Oliver Hinz (KNA) – Lesedauer: 

Warschau ‐ Besonders in polnischen Großstädten sinkt die Beteiligung am Religionsunterricht rapide. Das kommt Bildungsministerin Barbara Nowack zupass: Sie will die Zahl der Religionsstunden sogar halbieren. Doch die Kirche hält dagegen.

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Der Jesuit und Religionslehrer Grzegorz Kramer konnte sich jüngst über zwei Erfolgserlebnisse freuen. In einer Schule im westpolnischen Breslau (Wroclaw) kam ein Junge, der bisher nicht am Religionsunterricht teilnahm, zu ihm und sagte: "Ich will mich für Reli anmelden. Ich habe meine Eltern überzeugt, und sie haben es mir erlaubt." Ein anderer Schüler erzählte dem Pater nach dem Unterricht: "Ich wusste nicht, dass Religion so viel Spaß machen kann."

Doch so positiv sehen das Wahlfach Reli in Polens drittgrößter Stadt immer weniger. An den Grundschulen, die in Polen acht Jahre dauert, besuchen in Breslau in diesem Schuljahr nur noch knapp 60 Prozent der Kinder den katholischen Religionsunterricht – ein Minus von drei Prozentpunkten gegenüber 2023/24.

"In den ersten drei Klassen nehmen deutlich mehr Schülerinnen und Schüler teil als in den höheren Jahrgangsstufen", erklärt die Stadtverwaltung auf Anfrage. Richtig out ist Reli an den dortigen Oberschulen. An ihnen entschieden sich laut Statistik lediglich 11,3 Prozent der Jugendlichen für das Fach. Ein Jahr zuvor waren es noch 15,2 Prozent.

Gerade unter Jugendlichen unbeliebt

Das Wahlfach Ethik spielt an den Oberschulen der 670.000-Einwohner-Stadt fast keine Rolle. Nur 1,3 Prozent der Jugendlichen belegen es. Es wird allerdings auch nicht überall angeboten. Ähnlich unbeliebt wie in Breslau ist der Religionsunterricht auch unter den Jugendlichen in Polens viertgrößter Stadt Lodz. "86 Prozent der Oberschüler haben im laufenden Schuljahr auf das Fach Religion verzichtet", antwortet die Stadtverwaltung. Bei den Grundschülern in der zentralpolnischen Großstadt seien es 37 Prozent.

Für Warschau soll die neue Statistik erst Ende des Monats vorliegen. Im vergangenen Schuljahr hatten sich in der Hauptstadt drei von vier Jugendlichen gegen Reli entschieden. Krakau erhebt die Zahlen nicht.

Gericht stoppt vorerst Änderung am Religionsunterricht in Polen

Die Regierung in Warschau will das Schulfach Religion jahrgangsübergreifend organisieren, wenn es in einer Klasse zu wenige wählen. Auf Druck der Kirchen hat das polnische Verfassungsgericht dies vorläufig untersagt.

Auf dem Land steht es besser um den Religionsunterricht. In Dörfern und kleinen Städten wird das Fach häufiger als wichtig und unverzichtbar angesehen. Die Bischofskonferenz ermittelte, dass im Schuljahr 2022/23 landesweit bei 80,3 Prozent aller Schülerinnen und Schüler das Fach Reli auf dem Stundenplan stand. Eine neuere kirchliche Statistik liegt bisher nicht vor.

Das Interesse am Reigionsunterricht habe in den Schulen keineswegs so stark abgenommen, wie vielfach behauptet werde, sagt der Direktor des Statistikinstituts der katholischen Kirche, Marcin Jewdokimow. In ostpolnischen Diözesen wie Przemysl würden weiter mehr als 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen am Religionsunterricht teilnehmen.

"Der gute Alltag wird nicht wahrgenommen, nur die Skandale"

Und wie erklärt sich das Erzbistum Breslau den Rückgang der Schülerzahl in Reli? Presseprecher Maciej Rajfur verweist auf mehrere Faktoren. Der Grad der Religiosität in Polen sinke, sagte er der örtlichen Zeitung "Gazeta Wroclawska". Es gebe in den Klassen jetzt mehr ukrainische Schülerinnen und Schüler und die besuchten seltener den katholischen Religionsunterricht. "Hinzu kommt das negative Bild der Kirche bei den Jugendlichen und auch bei ihren Eltern, die in den Medien in einem eher negativen Kontext von der Kirche hören oder lesen. Der gute Alltag wird nicht wahrgenommen, nur die Skandale", so der Sprecher.

Diese Woche erhielt die Kirche einen Dämpfer. Obwohl sie seit Wochen intensiv für das Schulfach wirbt, befürworteten 58 Prozent der Erwachsenen in einer landesweiten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CBOS, nur noch eine Stunde pro Woche Religionslehre zu erteilen – statt wie bisher zwei Stunden. Genau diese Reduzierung plant Bildungsministerin Barbara Nowack. 35 Prozent waren damit nicht einverstanden. Die Umfrage ergab auch, dass 51 Prozent der Polinnen und Polen für Religionsunterricht an den Schulen sind.

Bild: ©KNA

Eine Stunde Religionsunterricht sollte aus Sicht des Warschauer Kardinal Kazimierz Nycz obligatorisch sein. Ohne Kenntnis des Christentums sei es unmöglich, die europäische Kunst, Musik und Architektur zu verstehen.

Alle Religionsgemeinschaften erhielten Nowack zufolge ihren Entwurf einer Verordnung. Demnach soll es ab dem nächsten Schuljahr nur noch eine Stunde Reli in der Woche geben. "Ich setze auf Einigkeit und Dialog mit der Bischofskonferenz", so die Ministerin. "Hier geht es nicht um einen Streit, sondern um eine vernünftige Unterrichtsplanung."

Kinder sollten nicht mehr Stunden in Religion unterrichtet werden als in Biologie, Chemie oder Physik. Nowack plädiert zudem dafür, das von ihr geschmähte Fach nur noch in der ersten oder letzten Stunde am Tag anzubieten. Dann nämlich könnten jene Kinder und Jugendlichen, die kein Reli haben, später in die Schule kommen oder früher nach Hause gehen.

Längerer Kampf um Fach Religion steht bevor

Katholische Bischöfe warnten, die Hälfte der Religionslehrer würden dadurch ihren Job verlieren. Die Ministerin konterte, man werde Schulungen für betroffene Lehrkräfte anbieten, damit sie andere Fächer unterrichten könnten. Wie Ministerpräsident Donald Tusk hat sie sich eine strikte Trennung von Staat und Kirche auf die Fahnen geschrieben. Die im Herbst 2023 abgewählten Konservativen hatten sich dagegen besonders kirchennah gegeben.

Polen steht jedenfalls ein längerer Kampf um das Fach Religion bevor. Für Warschaus Kardinal Kazimierz Nycz ist klar, "eine Stunde Religionsunterricht pro Woche sollte für alle Schüler absolut obligatorisch sein, da wir in einer europäischen Zivilisation leben, die aus dem Christentum hervorgegangen ist". Ohne Kenntnis des Christentums sei es unmöglich, die europäische Kunst, Musik und Architektur zu verstehen. 27 andere europäische Länder hätten begriffen, dass dieses Schulfach notwendig sei.

Von Oliver Hinz (KNA)