Der Papst in dünner Luft
Unten an der Treppe umarmt ihn sofort Präsident Evo Morales. Und der frühere Kokabauer hängt ihm einen Beutel mit Kokablättern um, die sollen gegen Erschöpfung und Höhenkrankheit helfen - seit der Inka-Zeit wird das "heilige Blatt" angebaut und gekaut.
Bolivien wehrt sich gegen eine Gleichsetzung der Blätter mit Kokain und wirbt mit dem Slogan "Das Kokablatt ist keine Droge" für eine Legalisierung von Produkten wie Koka-Tee. Denn für die Herstellung von Kokain werden zum einen riesige Mengen an Blättern, vor allem aber diverse Chemikalien benötigt.
Ein schräger Empfang mit blecherner Kapelle
Doch Franziskus lässt die Blätter im Beutel. Während er mit dem Kokabeutel (Ch'uspa) um den Hals müde den militärischen Klängen lauscht, reckt Morales beim Abspielen der bolivianischen Hymne die linke Faust. Ein schräger Empfang. Noch dazu lässt die Militär-Kapelle blecherne, schiefe Klänge ertönen.
Später geht es dann runter in das auf 3.600 Meter gelegene La Paz, zunächst über eine Staubpiste, ein beeindruckendes Bild in der Dämmerung, das weiße Papamobil strahlt. In der Haut der nebenherlaufenden Sicherheitsleute möchte man auch nicht stecken, in der Höhe führt schon schnelleres Gehen schnell zu Schnappatmung.
Hunderttausende säumen die Straßen, singen - viele hatten in Zelten entlang der Strecke übernachtet. In einer Kurve der einzigen Autobahn Boliviens erinnert der Papst an einem Mahnmal an Luis Espinal, der die Verbrechen der Militärdiktatoren anprangerte und 1980 mit 17 Schüssen getötet wurde. Wie Franziskus ein Jesuit.
Wo er auftaucht, wird der 78-jährige Argentinier auf seinem Heimat-Kontinent frenetisch gefeiert. In La Paz war der Tag seines Besuchs zum Feiertag erklärt worden. Immer wieder betont er die Bedeutung der Familie, des Miteinanders, fordert ein Ende der Ausbeutung von Bodenschätzen und geißelt die Boshaftigkeiten der Welt. All die Konflikte seien Ausdruck eines Individualismus, "der uns trennt und uns gegeneinander stellt".
Die zwei Gesichter von Präsident Morales
Hoffnung, Ihr seid nicht vergessen - und das Signal an die linken Regierungen, niemanden auszuschließen oder zu unterdrücken, das sind seine Botschaften. Neben landestypischen "Produkten" wie Kokablättern und Lama-Föten gibt es in La Paz zum Besuch ein reiches Sortiment an Papa-Devotionalien. Für einen Boliviano (rund 13 Euro-Cent) war die "Biografia Completa" zu erstehen: Vier Seiten.
Linktipp: Das Programm der Papstreise nach Lateinamerika
Das vollständige Programm der Reise von Papst Franziskus nach Ecuador, Bolivien und Paraguay (5. bis 13. Juli) finden Sie auf der Internetseite des Vatikan.Für einen ist die Visite besonders wichtig: Evo Morales. Auf den riesigen Bannern, die Franziskus mit seinem Bild begrüßten, war auch Morales' Konterfei zu sehen. Mal klein. Mal ebenbürtig. Es gibt hier die zwei Gesichter des seit 2006 amtierenden ersten indigenen Präsidenten, der dank der Verstaatlichung etwa des Erdgassektors die Infrastruktur ausgebaut hat.
Morales umschmeichelt Franziskus als "Hermano" (Bruder), als "Papst der Armen" - kappte der Kirche aber Privilegien, Religionsunterricht in staatlichen Schulen wurde gestrichen. Das Verhältnis zu den Bischöfen ist konfliktreich, zumal er die Kirche 2009 verschwinden sehen wollte und wiederholt als Relikt des spanischen Kolonialismus geißelte.
Viele Geistliche wittert Morales in Opposition zu sich. "Die bolivianische Regierung versucht, einen Keil zwischen die Bischofskonferenz und den Papst zu treiben", meint Markus Zander, Bolivien-Länderreferent beim katholischen Hilfswerk Misereor. Schon bei der Organisation des Besuchs preschte die Regierung vor, im Papamobil durfte Morales aber nicht mitfahren. Viele Bolivianer vermuten bald einen Anlauf von Morales für eine Verfassungsänderung, um über das bis 2020 laufende Mandat hinaus im Amt zu bleiben.
Da kann die Nähe zu dem überaus beliebten Papst nicht schaden. Einig sind sich beide, dass die Industriestaaten mehr tun müssen im Kampf gegen die gerade die Ärmsten treffende Erderwärmung. Die bolivianische Bischofskonferenz war an der jüngsten, als Alarmruf zu verstehenden Umwelt-Enzyklika "Laudato si" des Papstes beteiligt.
Besuch in berüchtigter Gefangenensiedlung
Bewusst war der Aufenthalt wegen der Höhe auf wenige Stunden begrenzt worden, bevor es weitergeht in das Tiefland nach Santa Cruz. Morales dürfte es nicht gelegen kommen, dass Franziskus dort die berüchtigte Gefangenensiedlung Palmasola besuchen wird, wo rund 5.000 Gefangene - oft ohne rechtskräftiges Urteil - weitgehend sich selbst überlassen sind und kleine Kinder mit ihren Eltern in elenden Verhältnissen aufwachsen. Das wird ein Schlaglicht auch auf die Regierung werfen, das die Bilder aus La Paz trüben kann.