Papst Franziskus auf der Zielgerade seiner Südamerika-Reise

Erschöpfung, Ideologien und Revolutionen

Veröffentlicht am 12.07.2015 um 11:55 Uhr – Lesedauer: 
Paraguay

Asuncion ‐ Offenbar zehrt die Lateinamerika-Reise von Papst Franziskus an den Kräften des 78-Jährigen. Am Samstag unterbrach er eine Prozession. Nichtsdestotrotz thematisierte Franziskus in seinen Ansprachen wieder deutlich seine kirchlichen und politischen Herzensthemen.

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Die Tageszeitung "Ultima Hora" berichtet unter Berufung auf den Arzt des Papstes sowie das Gesundheitsministerium, dass die Reise offenbar an den Kräften des Papstes zehrt. Der Zustand des 78-Jährigen werde zur Sicherheit beobachtet, Franziskus sei aber in guter Verfassung, zitiert das Blatt Carlos Morinigo. Wegen des anstrengenden Reiseprogramms hätten sich allerdings Erschöpfungssymptome eingestellt. Zudem seien Magenprobleme aufgetreten.

Ermahnung zu Zusammenarbeit in Kirche

Beim Einzug zur Messe im Marienheiligtum von Caacupe am Samstagvormittag (Ortszeit) war aufgefallen, dass der Papst seine Teilnahme an der Prozession für eine knappe Viertelstunde unterbrach und in einen Nebenraum gebracht wurde. Danach setzte er die Feier des Gottesdienstes in gewohnter Weise fort. Nach der üblichen Mittagspause in der Vatikanbotschaft bestieg der Papst am späten Samstagnachmittag wieder frisch und gut gelaunt das Papamobil. "Die Zuneigung der Menschen sorgt dafür, dass er seine gute Laune behält", so Morinigo. Zur Sicherheit sei aber nach einer planmäßigen Pause von einer Stunde noch einmal ein medizinischer Check vorgesehen.

In der Nacht zum Sonntag deutscher Zeit rief Franziskus in Paraguay Priester, Ordensleute und geistliche Gemeinschaften zu Zusammenarbeit auf. Spaltungen verursachten eine Sterilität in der Kirche und schwächten ihre Überzeugungskraft, sagte er in der Kathedrale der Hauptstadt Asuncion. Zugleich wandte er sich gegen eine Verwischung der Unterschiede zwischen Priestern und Laien. Eine solche Zusammenarbeit müsse "stets entsprechend dem Wesen und der kirchlichen Aufgabe jeder Berufung und jedes Charismas" erfolgen, so Franziskus.

Linktipp: Gegen Terroristen vorgehen

Nach dem Anschlag in Kairo fordert Papst Franziskus ein entschiedeneres Vorgehen gegen Terroristen. Krieg und Leid in Lateinamerika waren auch das Thema bei der ersten Messe des Papstes in Paraguay. Hierbei betonte er die Rolle der Frau.

Der Papst ermahnte Priester und Laien erneut zu Demut und Bescheidenheit. "Wer von Gott berufen ist, brüstet sich nicht, sucht nicht nach Anerkennung und vorübergehendem Applaus, fühlt sich nicht in einen Rang aufgestiegen oder behandelt die anderen nicht, als würde er auf einer höheren Stufe stehen", so Franziskus. Weiter sagte er: "Wir alle haben Grenzen, und niemand kann Jesus Christus in seiner Ganzheit darstellen." Priester, Ordensleute und Laien müssten daher ein "Miteinander der Berufung" leben und in einer "harmonischen Vielfalt" zusammenwirken.

Papst lobt das Modell der Jesuiten

Vor Vertretern der Zivilgesellschaft machte sich Franziskus erneut für ein neues Wirtschaftsmodell in Lateinamerika und darüber hinaus stark. Für Paraguay forderte er einen Dialog zwischen der reichen Oberschicht und der benachteiligten indigenen Bevölkerung. Einteilungen in Personen und Kulturen "zweiter, dritter oder vierter Klasse" gehörten abgeschafft, sagte er.

Als historisches Beispiel verwies der Papst auf das Experiment der "Jesuiten-Reduktionen" des 17. und 18. Jahrhunderts, in denen eine Mischung aus privatem und gemeinschaftlichem Wirtschaften praktiziert wurde. Zuvor hatte er außerplanmäßig einen Zwischenstopp in einer Pflegeeinrichtung für Schwerstkranke eingelegt und dort Patienten gesegnet. In seiner von begeisterten Sprechchören begleiteten sozialpolitischen Rede betonte der Papst, es brauche eine "Kultur der Begegnung", die anerkenne, dass Verschiedenheit "nicht nur gut, sondern notwendig ist".

„Denken Sie an das letzte Jahrhundert! Wohin münden die Ideologien? In Diktaturen: immer!“

—  Zitat: Papst Franziskus

Als gelungenes Beispiel für einen Dialog der Kulturen und eine gerechte wirtschaftliche Entwicklung verwies Franziskus in seiner Ansprache auf die von Jesuiten errichteten Siedlungsbezirke für die indigene Bevölkerung in Paraguay, die sogenannten Jesuiten-Reduktionen. Missionare des Ordens, dem auch Franziskus angehört, lebten hier von Anfang des 17. bis zu ihrer Vertreibung durch die Spanier 1767 mit der Urbevölkerung des Landes. Franziskus betonte, in den Reduktionen habe es weder Hunger, noch Arbeitslosigkeit oder Unterdrückung gegeben.

Es handele sich um "eine der interessantesten Erfahrungen von Evangelisierung und Gesellschaftsstruktur in der Geschichte", so der Papst. Diese historische Erfahrung lehre, dass eine menschlichere Gesellschaft auch heute möglich sei. Die "wahren Kulturen" seien nicht "in sich selbst abgeschlossen", sondern dazu berufen, in der Begegnung auch anderen Kulturen neue Wirklichkeiten zu eröffnen.

Papst: Ideologien münden in Diktaturen

Zudem forderte der Papst erneut eine Abkehr vom reinen Profitdenken. Er prangerte ein "götzendienerisches Wirtschaftsmodell" an, das "auf dem Altar von Geld und Ertrag" Menschenleben opfere. In Anwesenheit von Staatspräsident Horacio Cartes, der zu den reichsten Unternehmern des Landes zählt, appellierte er an Politiker, Unternehmer und Wirtschaftswissenschaftler in Paraguay, dieser Versuchung nicht nachzugeben. Sie müssten dafür sorgen, dass alle das tägliche Brot nach Hause bringen und ihren Kindern Wohnung, medizinische Versorgung und Bildung bieten können.

Ausdrücklich wandte sich Franziskus gegen "Ideologien", die die Armen nur für politische oder persönliche Interessen instrumentalisierten. Wer wirklich das Wohl der Armen im Sinne habe, müsse sich zunächst ihre Lebenswirklichkeit anschauen und bereit sein, von ihnen zu lernen.

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Zu Beginn seines Besuchs in Paraguay hat Papst Franziskus eine Aufarbeitung der Militärdiktatur und eine sozialere Wirtschaft gefordert. Währenddessen sorgt eine Papst-Aussage an seiner vorherigen Station für Streit zwischen Bolivien und Chile.

Mit Blick auf die politischen Ideologien des 20. Jahrhunderts sagte der Papst, sie seien gescheitert und in Diktaturen gemündet, weil ihnen eine Verbindung zum Volk gefehlt habe. Den stärksten Beifall erhielt Franziskus, als er auf die Verlogenheit mancher Redner verwies, die hohe Ideale predigten, in Wahrheit aber etwas ganz anderes in Sinn hätten. Dies löse bei ihm "allergische Reaktionen" aus. Er denke dann für sich: "Was bist du doch für ein Lügner!"

Solche Aussagen greifen die Medien des Landes in ihrer ersten Bilanz auf: "Die ruhige Revolution des Franziskus" titelt die Tageszeitung "Ultima Hora" aus Paraguay. Der Papst habe Südamerika in Aufruhr versetzt und mit seinem Besuch Geschichte geschrieben, kommentiert das Blatt in seiner Sonntagsausgabe weiter. (luk/KNA)