Kaum jemand in der CDU interessiere sich für christliche Werte

Theologenschelte für Merz-CDU: Menschenliebe und Versöhnung fehlen

Veröffentlicht am 20.12.2024 um 18:10 Uhr – Lesedauer: 

Berlin/Münster ‐ Aus Sicht von drei Theologen behandelt die Union christliche Werte stiefmütterlich. Eine richtige Debatte gebe es darüber gar nicht mehr, stattdessen gebe es eine Hinwendung zum Konservativen, und dafür sei Friedrich Merz besonders verantwortlich.

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Die Theologen Stephan Anpalagan und Georg Essen haben die Union und CDU-Chef Friedrich Merz im Hinblick auf ihr Wahlprogramm scharf kritisiert. Dass arbeitende Familien mit niedrigem Einkommen weniger entlastet werden sollten als reiche Alleinstehende, sei ebenso wie die geplante Migrationspolitik "nicht mit den christlichen Prinzipien von Nächstenliebe und Versöhnung vereinbar", sagte der evangelische Theologe Anpalagan Ippen.Media (Samstag).

Bei der CDU interessiere sich "aktuell kaum jemand ernsthaft für christliche Werte", sagte er. Man könne vieles kontrovers diskutieren, aber das passiere nicht. Auch Essen, Professor für katholische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin, vermisst diese Debatte. Er habe noch nie gesehen, dass die CDU damit ringe, was christliche Politik eigentlich bedeute. "Das finde ich wirklich problematisch."

Hinwendung zum Konservativen

Stattdessen sieht Essen "eine Achsenverschiebung, eine Hinwendung zum Konservativen, und dafür ist Friedrich Merz besonders verantwortlich". Die CDU stehe heute für Beibehaltung, also das Konservieren ein, sagte Anpalagan. "Das ist nicht das, was das Christentum verlangt", nämlich gesellschaftlichen Frieden durch Veränderungen herbeizuschaffen. "Im Vergleich könnte man beinahe sagen, das Christentum ist deutlich progressiver als die CDU."

Unterdessen kritisierte der Bochumer katholische Theologe Matthias Sellmann die Flüchtlingspolitik der Union scharf. Wer Syrer jetzt aus Deutschland loswerden wolle, handele unchristlich und habe aus der Weihnachtsgeschichte nichts gelernt, schreibt Sellmann in einem Gastbeitrag im kirchlichen Onlineportal "Kirche und Leben" (Freitag): "Auch Angehörige der Christdemokratischen Partei ließen sich so zitieren. Mich hat das beschämt."

Hüter eines moralischen Kompasses

Natürlich müsse Migrationspolitik gut geregelt sein. Aber er wolle nicht Bürger eines Landes sein, das den hohen Wert von Gastfreundschaft so mit Füßen trete, so Sellmann. Mit Blick auf die Weihnachtsgeschichte, in der Maria und Josef ihren Sohn Jesus auf der Flucht in einem Stall auf die Welt bringen müssen, ergänzte er: "Wer steht als Stallbesitzer vor einem Paar, das gerade unter erbärmlichen Bedingungen ihr Kind bekommen musste, und sagt ihm: So, das war's dann jetzt - es wird höchste Zeit, dass Ihr meinen Stall endlich wieder verlasst!?"

Sellmann erklärt, gerade von Menschen, die sich auf das Vorbild von Jesus von Nazareth bezögen, erwarte er, dass sie aufmerksame Hüterinnen und Hüter eines moralischen Kompasses seien. Doch das scheine nicht selbstverständlich zu sein. (KNA)