Der Jesuit Felix Polten engagiert sich im Kongo

Ein wirkliches Elend

Veröffentlicht am 01.08.2015 um 00:01 Uhr – Von Julia-Maria Lauer – Lesedauer: 
Kongo

Bonn ‐ Rivalisierende Rebellengruppen, zwei Millionen Menschen auf der Flucht, über fünf Millionen Tote in den vergangenen Jahrzehnten - katholisch.de hat mit dem Jesuiten Felix Polten über die Konflikte im Kongo gesprochen.

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Sie leben in großen Camps in einfachsten Behausungen. "Das sind Hütten aus Stöcken, Lehm und Bananenblättern. Manche haben eine Plastikplane als Dach. Es gibt einen kleinen überdachten Vorplatz mit drei Steinen, wo gekocht wird. Eine Strom- und Wasserversorgung gibt es nicht. Ganze Familien leben hier auf engstem Raum zusammen, oft für Jahre", schildert Felix Polten , "ich empfinde es nicht nur als Leid, sondern wirklich als Elend. Wenn ich es an mich heranlasse, kann ich es kaum fassen."

Der 32-Jährige hat bei den Jesuiten in Frankfurt Philosophie und Theologie studiert. Vor knapp fünf Jahren trat er schließlich selbst in den Orden ein. Über die Jesuitenflüchtlingsmission kam er in den Kongo. Seine Mission ist auf drei Jahre angelegt, seit acht Monaten ist Felix Polten bereits in der krisengeschüttelten Region Nord-Kivu. "Wir versuchen so eng und so viel wie möglich mit den Leuten zu leben, um wirklich zu erfahren, wie es ihnen geht und was sie brauchen", erklärt er, "wir kommen nicht mit einem fertigen Programm."

Hauptaufgabe der Jesuiten ist die Bildung

Mit einem Mitbruder wohnt er in einer kleinen Kommunität in Mweso, einem größeren Dorf in der Region. "Von hier aus arbeiten wir in acht Flüchtlingslagern, die um Mweso herum verteilt sind und in denen insgesamt etwa 30.000 Menschen wohnen. Mit dem Auto sind es jeweils etwa zwei Stunden in den Norden und in den Süden", erzählt er. Hauptaufgabe der Jesuiten ist die Bildung. So versuchen sie vor allem, das Schulsystem mit dem Bau und der Instandhaltung von Schulen, der Fortbildung von Lehrern und dem Bereitstellen von Schulmaterial zu unterstützen. "Mathematiklehrer bekommen von uns Geodreiecke, Lineale und Winkelmesser, Schüler dagegen Hefte und Stifte - was man eben braucht und was es nicht gibt, weil es zu teuer ist", erklärt Felix Polten. Die Jesuiten kooperieren eng mit den staatlichen Lehrern und bilden diese in Zusammenarbeit mit lokalen Politikern auch aus. "Manche Schüler beenden die Schule und fangen dann im nächsten Jahr zu unterrichten an. Ihnen wenigstens ein Grundgerüst an Pädagogik nahe zu bringen, bedeutet viel", betont der Geistliche.

Felix Polten im Portrait
Bild: ©Felix Polten SJ

Felix Polten lebt seit acht Monaten in Nord-Kivu. Seine Mission gilt vor allem den Flüchtlingen, denn diese sind am meisten von Armut betroffen.

Außerdem organsiert er mit seinem Mitbruder Alphabetisierungskurse, die an Ausbildungen für handwerkliche Berufe wie Schneider, Bäcker oder Friseur gekoppelt sind. Vor allem Frauen nehmen daran teil. "Am Ende bekommen sie ein kleines Paket wie zum Beispiel eine Nähmaschine, damit sie ein eigenes Geschäft aufbauen können, um sich ihren Lebensunterhalt zu sichern", beschreibt Polten. Die handwerklichen Ausbildungen finden direkt in den Flüchtlingslagern statt. "Die Leute aus den Flüchtlingslagern geben ihre praktischen Fähigkeiten selbst an andere weiter. Auf diese Weise haben sie im monotonen Alltag eine sinnvolle Aufgabe und verdienen etwas Geld. Das ist ein doppelter Effekt: Die einen bekommen Arbeit und Geld, die anderen eine Ausbildung", führt er aus.

"Die Menschen bleiben gastfreundlich und fröhlich"

Die meisten Flüchtlinge sind sehr jung, viele sind Frauen. Manche haben die Hoffnung aufgegeben, jemals in ihre Heimatdörfer zurückzukehren, andere halten daran fest. "Mich hat sehr beeindruckt, dass ich in der ganzen Zeit nur zwei Menschen getroffen habe, die wirklich gebrochen waren. Unter ihnen war ein ehemals wohlhabender Landwirt, der alles verloren hat und deshalb seine Familie nicht mehr ernähren konnte", erwähnt der Geistliche. Obwohl Kinder und Frauen am verletzlichsten sind und leicht Opfer von Vergewaltigungen werden, leiden gerade die Männer besonders, wenn sie dem traditionellen Rollenbild als Familienoberhaupt und Ernährer nicht mehr gerecht werden können. "Generell ist es aber eine große Stärke der Menschen hier, ihr Schicksal anzunehmen und gastfreundlich, großzügig und fröhlich zu bleiben. Es klingt ein bisschen klischeehaft, aber sie gehen unglaublich stark, kreativ und mutig mit diesem Leben um, um das Beste daraus zu machen", fährt Polten fort.

Zwei Kongolesen in einem schmutzigen Flüchtlingscamp
Bild: ©Felix Polten SJ

Der Alltag in den Flüchtlingscamps ist sehr monoton. Für viele ist es daher eine willkommene Ablenkung, ihre handwerklichen Fähigkeiten an andere weiterzugeben.

Die Religion ist bei vielen für diese Einstellung sehr wichtig. Die Mehrheit ist christlich, von den Christen sind die meisten katholisch. Die Messen schätzt der Jesuit besonders:  "Die Gottesdienste sind voll, die Kirchen sind jung", schwärmt er. "Traditionelle Musik, ausdrucksstarker Tanz und sehr bewegender Gesang sind ganz wichtige Elemente zum Lobpreis Gottes. Das ist tatsächlich hohe Liturgie, und nicht einfach nur 'Herumgetrommel'." Der Glaube ist es auch, der Felix Polten die Kraft gegeben hat, die Herausforderungen seines neuen Lebens in Afrika anzunehmen. Denn die Region ist nicht nur bitterarm und das tägliche Leben durch viele Entbehrungen geprägt, sondern es kommt auch immer wieder zu gewalttätigen Überfällen auf Dörfer. "Manchmal geht es nur darum, dass die Rebellen sich mit Lebensmitteln versorgen wollen. Aber es geschieht sehr häufig, dass Menschen zwangsrekrutiert werden - zum Kochen, Lasten tragen oder Kämpfen. Oft werden ganze Dörfer vernichtet, es gibt Verletzte und Tote." Die Kämpfe rückten manchmal so nah an die Jesuitenkommunität heran, dass man den Gefechtslärm hören könne.

"Ich kann sagen: 'Dein Wille geschehe'''

Einmal wurde in der Nähe der Jesuitenkommunität einer der drei Priester der lokalen Pfarrei erschossen. "Wir haben die Schüsse gehört und wussten zuerst nicht, woher sie kommen. Erst später haben wir erfahren, was passiert ist", berichtet der Geistliche. Angst hat er nicht, jedenfalls nicht mehr. "In der Zeit nach dem Mord hatte ich große Angst. Ich habe mich dann gefragt, wie ich damit umgehe. Schließlich kam ich an den Punkt, sie zu akzeptieren", erzählt Felix Polten. Angst sei wichtig, denn sie schütze vor Gefahren. Wenn sie aber zu sehr gepflegt werde, nehme sie zu viel Kraft. "Ich habe gelernt, sie im Gebet abzugeben. Letzten Endes ist es ein Ruf des Herrn, hier zu sein, mit den Menschen zu leben und zu arbeiten.  Ich habe Gott die Angst übergeben und kann jetzt sagen: 'Dein Wille geschehe'", erklärt Felix Polten.

Kongolesische Flüchtlingsfrauen in bunten Gewändern
Bild: ©Felix Polten SJ

Die Flüchtlingsfrauen im Lager Kashuga sind Teilnehmer des Alphabetisierungskurses. Sie lernen lesen und schreiben, daneben erhalten sie eine handwerkliche Ausbildung.

Hauptkonfliktfaktor im Kongo ist das Mineral Coltan. Denn der Kongo gehört zwar zu den ärmsten Ländern der Erde, verfügt aber über äußerst reichhaltige Bodenschätze - neben Coltan im Nordosten, über große Diamantenvorkommen im Süden, Kupfer, Gold und Uran. Auf das Coltan in Nord-Kivu haben es nicht nur Kongolesen abgesehen, sondern auch andere Staaten. "Man geht davon aus, dass Nachbarländer wie Ruanda und Uganda im Kampf um die Rohstoffe ihre Finger im Spiel haben", sagt der Jesuit. Die Bevölkerung in der Region profitiert dagegen nicht von dem natürlichen Reichtum.

Jeder Europäer ist am Krieg beteiligt

Von Europa scheint der Konflikt im Kongo weit entfernt zu sein. In den Medien spielt er fast keine Rolle. So nehmen die wenigsten zur Kenntnis, dass in den vergangenen Jahrzehnten über fünf Millionen Menschen im Kongo an den Folgen von Hunger, aufgrund mangelnder Hygiene, auf der Flucht vor Rebellen und durch Mord ums Leben gekommen sind. Doch tatsächlich ist der Konflikt viel näher, als viele Menschen in Europa glauben. Man könnte sogar sagen, dass jeder Europäer am Krieg im Kongo beteiligt ist. Denn Coltan wird in den modernen Kommunikationstechnologien wie Handys, Smartphones, Tablet und PCs verwendet, die fast jeder besitzt.

"Es sind zwei Dinge, die wir tun können: Erstens den Konflikt ins Bewusstsein holen, um dann zweitens reflektierter und gerechter zu handeln", hebt Felix Polten hervor. Er erhofft sich von der Europäischen Union eine Verordnung, damit fair gehandelte Technologien ein Label bekommen. Ähnlich wie Blutdiamanten könnten dann von den Konsumenten solche Technologien boykottiert werden, für die Menschen sterben mussten. "Die Leute im Kongo sind müde vom Konflikt. Sie sind jung, gut informiert, vernetzt. Ich erhoffe mir, dass ihre Sehnsucht nach Demokratie gestützt werden kann", sagt der Geistliche. In drei Bereiche müsse deshalb vor allem investiert werden, damit sich im Kongo etwas ändert: Infrastruktur, Sicherheit und Bildung. "Als Jesuiten versuchen wir es mit Bildung. Damit die Menschen hier ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und den Kongo lebenswürdiger machen können", erhofft sich Felix Polten.

Alte kongolesische Frau und Jesuitenfrater Felix Polten umarmen sich
Bild: ©Felix Polten SJ

Täglich besucht Felix Polten die Flüchtlingslager im Umkreis von Mweso. Hier leben etwa 30.000 Menschen, die vor den Rebellen fliehen mussten.

Stichwort: Jesuitenflüchtlingsdienst

Der Jesuitenflüchtlingsdienst (Jesuit Refugee Service, JRS) wurde 1980 vom Jesuiten Pedro Arrupe SJ gegründet. Anlass war das Leid der vietnamesischen "Boatpeople", die nach dem Ende des Vietnamkrieges vor dem kommunistischen Regime flohen. Heute ist der Flüchtlingsdienst in mehr als 50 Ländern der Welt mit 1.400 Mitarbeitern tätig. Schwerpunkte der Organisation sind Flüchtlings- und Asylhilfe sowie Gefängnisarbeit. Ende 2013 profitierten 900.000 Menschen direkt von JRS-Projekten. Im Kongo ist der Jesuitenflüchtlingsdienst in Goma, der Provinzhauptstadt von Nord-Kivu, sowie in den Orten Masifi und Mweso präsent.
Von Julia-Maria Lauer