Menschenwürde, Abtreibung und Richterwahl – worum es heute geht
Das Thema Abtreibung sorgt immer wieder für hitzige Diskussionen. Wegen der am Freitag geplanten Wahl einer neuen Richterin am Bundesverfassungsgericht kocht es jetzt wieder hoch. Denn die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf sieht gute Gründe dafür, dass die volle Garantie der Menschenwürde erst ab der Geburt gelte. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) beantwortet Fragen zur aktuellen Regelung und zu Reformvorstößen.
Wie ist der Schwangerschaftsabbruch derzeit geregelt?
Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland laut Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs rechtswidrig. In den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft bleibt eine Abtreibung aber straffrei, wenn die Frau sich zuvor beraten lässt. Nicht rechtswidrig ist ein Eingriff aus medizinischen Gründen sowie nach einer Vergewaltigung. Um den in den 1990er Jahren erzielten Kompromiss wurde lange gerungen.
Was beinhaltete der Vorstoß von Bundestagsabgeordneten in der vergangenen Legislaturperiode?
Kern eines Reformentwurfs vor allem von Abgeordneten der SPD und der Grünen war es, Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetz herauszunehmen. Abbrüche bis zur zwölften Woche sollten stattdessen "rechtmäßig und straffrei" sein und im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt werden. Eine Beratungspflicht sollte demnach bleiben, allerdings ohne die derzeit geltende Wartezeit von drei Tagen bis zur Abtreibung. Die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs sollten von der Krankenkasse übernommen werden. In der vergangenen Legislaturperiode kam es nicht mehr zur Abstimmung über den Gesetzentwurf.
Was hat eine Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht damit zu tun?
Die Initiatoren des Gesetzentwurfs beriefen sich auf Empfehlungen, die eine von der Regierung eingesetzte Kommission im vergangenen Jahr vorgelegte. Die stellvertretende Koordinatorin des Gremiums war die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf. Die SPD hat sie nun als Kandidatin für das Amt einer Richterin am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nominiert. Über ihre Wahl entscheidet am Freitag der Bundestag. Wenn der Bundestag in den kommenden Jahren die Abtreibungsregelung ändert, landet das Thema voraussichtlich in Karlsruhe.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe braucht drei neue Richter. Am Freitag wählt der Bundestag – der Ausgang ist offen wie selten.
Wie ist die Position von Brosius-Gersdorf in der Abtreibungsfrage?
Sie vertritt eine sehr liberale Position. Sie hat erklärt, es gebe gute Gründe dafür, dass die volle Garantie der Menschenwürde erst ab der Geburt gelte. Dagegen hatte das Bundesverfassungsgericht 1993 betont: "Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu."
Welche Position vertritt die katholische Kirche?
Die katholische Kirche plädiert dafür, am geltenden Gesetz festzuhalten, das einen mühsam errungenen Kompromiss darstellt. Sie pocht auf das vollgültige Lebensrecht des Menschen von Anfang an und auf die ihm auch als Fötus zukommende Menschenwürde. Die katholischen Bischöfe warnen davor, dass "ein abgestuftes Konzept der Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens in die Gesetzgebung Eingang fände". Demgegenüber kann sich die evangelische Kirche durchaus eine liberalere Regelung vorstellen.
Wie geht es nun weiter?
Union und SPD haben sich darauf verständigt, dass Brosius-Gersdorf bei einer Wahl weder Präsidentin noch Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts werden kann. Für ihre Wahl sowie die von zwei anderen aufgestellten Kandidaten ist in einer geheimen Abstimmung eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Es ist fraglich, ob diese erreicht wird. Die Stimmen von Union, SPD und Grünen alleine reichen nicht aus, und Teile der Union haben Kritik an der Personalie Brosius-Gersdorf geübt. Falls die Mehrheit im Bundestag nicht erreicht wird, könnte der Bundesrat darüber entscheiden.
Bischöfe fürchten um Schutz der Menschenwürde
Mehrere Diözesanbischöfe haben sich gegen die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf ausgesprochen. Am Mittwoch veröffentlichten der Passauer Bischof Stephan Oster und der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer eine Stellungnahme, ohne den Namen der Kandidatin zu nennen: "Wer die Ansicht vertritt, dass der Embryo oder der Fötus im Mutterleib noch keine Würde und nur ein geringeres Lebensrecht habe als der Mensch nach der Geburt, vollzieht einen radikalen Angriff auf die Fundamente unserer Verfassung." Wer derartige Positionen vertrete, dem dürfe nicht die verbindliche Auslegung des Grundgesetzes anvertraut werden, kritisierten die Bischöfe. Jedem Menschen werde unabhängig von seiner Lebenssituation Menschenwürde und das Recht auf Leben zugesprochen. Ausschlüsse davon dürfe es nicht geben, das müsse der Staat garantieren. "Es darf in Deutschland nie wieder Menschen zweiter Klasse geben", mahnten Voderholzer und Oster.
Am Donnerstag äußerten sich auch die Bischöfe von Aachen und Köln, Helmut Dieser und Kardinal Rainer Maria Woelki. Am höchsten Gericht des Staates dürften keine Positionen wirkmächtig werden, die dem menschlichen Leben vor der Geburt keine Menschenwürde zuerkennen, erklärte Dieser. "Die Würde, die das Grundgesetz zuspricht, ist ganz und unteilbar."
Auch Woelki verwies auf die Menschenwürde. Sie sei in Artikel 1 des Grundgesetzes festgeschrieben und müsse "ohne Einschränkungen für alle Menschen zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens gelten", erklärte der Kölner Erzbischof. Und weiter: "Würde dieses grundlegende Menschenrecht nicht mehr anerkannt, wäre es nur folgerichtig, dass auch die übrigen Menschenrechte außer Kraft träten." Woelki warnte: "Wo der Staat das Lebensrecht als Grundrecht des Menschen nicht mehr schützt, sondern es der privaten Verfügung überlässt, hat er sich selbst als Rechtsstaat aufgegeben." Am Freitag steht die Wahl von drei Richtern durch den Bundestag an. Der Kardinal schließt sich mit seinen Äußerungen wie weitere Kirchenvertreter der Kritik an der SPD-Richterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf an. (fxn/KNA)
