Wen lädt Papst Leo XIV. zu einer Audienz ein und warum?
Die "Tabella", also die tägliche Liste mit den offiziellen Papstaudienzen, ist derzeit die spannendste Lektüre für Vatikan-Beobachter. Da der Papst bislang keine weitreichenden Personalentscheidungen verkündet und auch noch keine Enzyklika veröffentlicht hat, konzentrieren sich die Auguren auf die Predigten des Papstes – und eben auf die Audienzlisten.
Während es selten gelingt, in den Predigten oder Ansprachen potenzielle Aufreger zu entdecken, findet sich unter den Namen derer, die offiziell zum Papst vorgelassen werden, immer wieder mal ein Anhaltspunkt für kirchenpolitische Deutungen. Und das, obwohl – anders als bei Staatsbesuchen – nach innerkirchlichen Treffen mit dem Papst so gut wie nie anschließende Kommuniqués veröffentlicht werden.
In den ersten beiden Monaten des Pontifikats fiel auf, dass er sich häufig mit Menschen traf, die etwas mit Finanzen und Vermögenswerten des Vatikans zu tun hatten. Darunter waren der Chef der vatikanischen Vermögensverwaltung APSA, der Präsident der Vatikanbank IOR, der Leiter des Sekretariats für Wirtschaftsfragen – und außerdem auch amerikanische Großspender des Heiligen Stuhls wie die "Kolumbusritter" (Knights of Columbus) oder die "Papal Foundation".
Kardinäle fordern Sanierung der Vatikanfinanzen
Vatikan-Experten folgern daraus, dass der Papst aus den USA sich darum bemüht, die seit Jahren klaffende Finanzlücke im vatikanischen Haushalt zu schließen – und das nicht zuletzt mit Spenden aus seinem Heimatland. Denn die flossen unter dem wenig USA-freundlichen und mitunter sehr Kapitalismus-kritischen Papst Franziskus aus Südamerika deutlich spärlicher als in den Vorgänger-Pontifikaten.
Die Sanierung der Vatikanfinanzen stand weit oben auf der Wunschliste der Kardinäle, die Ende April nach dem Tod von Franziskus zu ihren Generalkongregationen in Rom zusammenkamen. Dass der neue Papst diese Aufgabe erfüllen will, hat er selbst zwar noch nicht öffentlich verkündet. Und über die Treffen mit seinen Finanzbuchhaltern und Vermögensverwaltern verlautete nur wenig – mit Ausnahme der Mitteilung der Vatikanbank, die für das abgeschlossene Geschäftsjahr steigende Gewinne und höhere Überweisungen an den Heiligen Stuhl meldete.
In den vergangenen Wochen ließen dann vor allem Audienzen des Papstes für zwei Persönlichkeiten aufhorchen, die für bestimmte Positionen an den Rändern des katholischen Spektrums stehen. Zwei davon sind Landsleute des Papstes – weshalb der Dialog vermutlich nuancenreich und in flüssigem amerikanischen Englisch ablief.
Kurienkardinal Raymond Leo Burke war das letzte Mal 2023 bei einer Papstaudienz und zwar wegen Streitigkeiten.
Am 22. August kam Kurienkardinal Raymond Leo Burke zum Papst. Der hatte zuletzt im Dezember 2023 eine Audienz bei Papst Franziskus gehabt, der ihm nach unbestätigten Berichten kurz zuvor sein Kardinalsgehalt und seine Dienstwohnung streichen wollte – als Strafe für die scharfe Kritik Burkes an mehreren Reforminitiativen des Papstes aus Argentinien.
Seine Kardinalswohnung in Rom bewohnt Burke noch immer. Und im Vorfeld der Wahl seines Kardinalskollegen Prevost zum Papst sollen dort auch wichtige Gespräche geführt worden zu sein, die zur lagerübergreifenden Wahl des ersten Papstes aus den USA beitrugen. Bestätigt wurde auch dies nie.
Umso mehr sorgte es für Aufsehen, dass der neue Papst nun Burke empfing – und dass Menschen, die ihm nahe stehen, im Netz wenige Tage später verkündeten, dass Burke am 25. Oktober wieder eine der seit Jahren aus dem Petersdom verbannten alten lateinischen Messen in der wichtigsten Kirche Roms feiern werde. Sie soll ein Höhepunkt der Wallfahrt der Traditionalisten-Vereinigung "Coetus internationalis Summorum Pontificum" sein.
Kehrtwende in Sachen "Alte Messe" oder doch nur symbolische Geste?
Die bläst seit Jahren zum Sturm gegen das Papstschreiben "Traditionis custodis", mit dem Papst Franziskus 2021 die Feier der "Alten Messe" weitgehend untersagt hatte. Stattdessen verlangen sie, dass die Alte Messe wieder allgemein zugelassen werden solle, wie es Papst Benedikt XVI. mit seinem Schreiben "Summorum Pontificum" von 2007 verfügt hatte. In konservativen und ultrakonservativen Foren wurden daher die Nachrichten von der Audienz für Burke und die Ankündigung der ersten Alten Messe im Petersdom nach mehrjährigem Verbot als Indizien für eine in diesen Kreisen erhoffte Kehrtwende gefeiert.
Ob dem wirklich so ist, oder ob es sich lediglich um eine friedensbildende, eher symbolische Geste an die Adresse der Traditionalisten handelt, blieb offen. Erklärungen dazu gab es weder vom Vatikan noch von Burke selbst.
Der Jesuit James Martin besuchte den Papst ein paar Tage vor einer umstrittenen LGBTQ-Pilgerfahrt.
Ähnlich im Ungefähren blieben die Dinge auch im Umfeld der Papstaudienz für den amerikanischen Jesuitenpater James Martin am 1. September. Er ist über die USA hinaus der bekannteste Seelsorger für Menschen, die sich durch ihre sexuellen Neigungen oder ihre geschlechtlichen Identitäten von der heterosexuellen Mehrheit der Männer und Frauen unterscheiden und häufig in Verhältnissen leben, die nach katholischer Lehre als "ungeordnet" gelten.
Papst Franziskus hat Martin öfter empfangen und sein Eintreten für eine "offene Seelsorge" gelobt. Dass der Nachfolger Leo ihn nun empfing, wurde unter seinen Anhängern als Zeichen der Kontinuität mit der von Franziskus gepredigten Inklusivität der Kirche für "alle, alle, alle" gedeutet.
Offizielle Mitteilungen über den Besuch gab es wiederum keine. Lediglich einige zuversichtliche, aber vergleichsweise zurückhaltende Äußerungen von Pater Martin. Dieser postete im Nachrichtendienst X die Worte: "Liebe Freunde, ich war zutiefst dankbar für meine Audienz beim Heiligen Vater (...) Die Botschaft, die ich empfing, war die, dass Papst Leo mit derselben Offenheit fortfahren wird, die Franziskus gegenüber lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen und queeren Katholiken zeigte." Ähnlich wie bei Burkes angekündigter Alter Messe nach der Papstaudienz gab es auch nach Martins Papst-Termin eine sichtbare Fortsetzung im Petersdom – allerdings noch in derselben Woche. Bereits am 6. September zogen etwa tausend Pilger durch die Heilige Pforte des Petersdoms, die sich durch ihre äußere Erscheinung, ihre Kleidung oder durch das Tragen von Regenbogenfarben als Homosexuelle oder Transidente zu erkennen gaben.
Viele Fragen bleiben dennoch offen
In Sozialen Medien nahmen konservative Exponenten Anstoß daran, doch hielt sich das Auftreten der queeren Pilger im Petersdom trotz einiger kniefreier Shorts und aufreizend lackierter Fingernägel weitgehend innerhalb der dort vorgeschriebenen Anstandsgrenzen. Von offizieller Seite gab es keine Kommentare, und auch ein Einschreiten vatikanischer Ordner unterblieb.
Die LGBTQ-Pilgerfahrt war schon seit langem angekündigt. Ob Martins Besuch beim Papst wenige Tage zuvor eine Art "Rückversicherung" für die Veranstaltung war, blieb ebenso offen wie die Frage, was der Papst selbst darüber dachte.
In den vergangenen beiden Wochen empfing der Papst zudem den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing aus Limburg, sowie den Passauer Bischof Stefan Oster. Zu diesen Begegnungen wurden bislang keine weiter reichenden Erwartungen veröffentlicht, aber es ist anzunehmen, dass es auch um den Synodalen Weg in Deutschland ging, zu dessen Fortgang beide Bischöfe bislang eine unterschiedliche Haltung einnehmen. Beide, Oster wie Bätzing, lobten anschließend Leos Fähigkeit, gründlich und einfühlsam zuzuhören.
