Jugendverbände bei der COP30: "Jedes Zehntelgrad rettet Leben"

Zehn Jahre nach der Pariser Klimakonferenz schaut die Weltgemeinschaft im brasilianischen Belém auf das Erreichte und die Zukunft: Das Ziel, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, scheint in weite Ferne gerückt. Bei der 30. Weltklimakonferenz verhandeln nicht nur Staaten über neue Vereinbarungen, um die Klimakrise einzudämmen. Auch die Zivilgesellschaft ist vor Ort – darunter auch Vertreterinnen und Vertreter katholischer Jugendverbände. Die Fimcap, der internationale Dachverband von katholischen Jugendverbänden, zu denen in Deutschland die Katholische junge Gemeinde (KjG) gehört, ist mit jungen Menschen aus Deutschland, Belgien, den Philippinen und Ghana vor Ort. Im Interview mit katholisch.de berichten Fidelis Stehle (KjG) und Amber Vanneck (Chirojeugd Vlaanderen, Belgien), was sie in die Verhandlungen einbringen – und wie sie versuchen die Klimapolitik des Heiligen Stuhls mitzugestalten.
Frage: In diesem Jahr schauen wir auf zehn Jahre Pariser Klimaabkommen zurück. Das dort vereinbarte 1,5-Grad-Ziel scheint die Weltgemeinschaft zu verfehlen. Aber die Projektionen sind heute besser, als sie es wären, wenn gar nichts für den Klimaschutz getan worden wäre. Daher, zehn Jahre nach Paris: Ist das Glas halb voll oder halb leer?
Stehle: Es ist nicht nur das zehnjährige Jubiläum des Pariser Abkommens, sondern auch der Enzyklika "Laudato si", also ein doppeltes Jubiläum. Das 1,5-Grad-Ziel ist immer noch relevant und zentral, weil wir darauf angewiesen sind. Wenn wir es nicht erreichen, werden langfristig viele Menschen sterben, Häuser und Heimat, ganze Länder zerstört. Es ist nicht sinnvoll, über halbvolle oder halbleere Gläser zu diskutieren. Das lenkt davon ab, was passiert, wenn wir das Ziel verfehlen. Es muss darum gehen: Wie kriegen wir das Glas ganz voll – also: Welche Schritte werden gegangen, damit wir doch noch das 1,5-Grad-Ziel erreichen? Eine der großen Herausforderungen hier in Belém ist, den "ambition gap", die Ambitionslücke, zu schließen und internationale Solidarität zu realisieren.
Frage: Eine Ambitionslücke setzt Ambitionen voraus. Die scheint es gerade weniger und weniger zu geben.
Vanneck: Ja. Aber nicht bei der Jugend. Auf der Konferenz treffen sich die jungen Teilnehmenden unter 35 jeden Morgen. Unser Ziel ist es, die Anliegen der jungen Generation einzubringen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir hier sind und für junge Menschen sprechen können.
Amber Vanneck (25, 2. v.l.) ist Teil der FIMCAP-Delegation sowie Mitglied von Chiro Flandern (Belgien). Fidelis Stehle (25, 3. v.l.) ist zum vierten Mal Teil der FIMCAP-Delegation sowie Mitglied der Katholischen jungen Gemeinde (KjG) in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Außerdem sind Ernne John Dolor (Chrio Philippines, l.), Prisca Kuworde (CYO Ghana, 2. v.r.) und Antonio Korkuvi (CYO Ghana, r.) Mitglied der Delegation.
Frage: Was ist wichtig mit Blick auf Kinder?
Stehle: Im ersten Schritt, dass sie überhaupt mitgedacht werden und ihre Rechte realisiert werden. Wenn wir die Perspektiven von Kindern einbeziehen bei der Gestaltung von Maßnahmen, wie z.B. Gesundheit, Bildung, Sicherheit und sie an den Tisch holen, kommen wir dem einen Schritt näher. Bei allen Maßnahmen zum Umgang mit der Klimakrise darf man nicht nur an die gegenwärtigen Generationen, und auch nicht nur an die Erwachsenen denken, sondern auch an zukünftige Generationen. Wir sollten nicht vergessen, dass Kinder und Jugendliche diese Krise nicht verursacht haben. Unsere Generation wurde in die Klimakrise hineingeboren. Wir sind nicht hier, um höflich zu bitten – Junge Menschen sind sehr motiviert, Teil der Lösung zu sein. Aber sie tragen nicht die Verantwortung für die gegenwärtige Situation.
Frage: Das politische Klima scheint momentan eher weg von wirksamen Maßnahmen zum Klimaschutz zu gehen. Weltweit gibt es einen Rechtsruck, die Klimakrise rückt aus dem politischen Fokus. Wie gehen Sie damit hier auf dieser Konferenz um?
Vanneck: Es kommt gerade etwas in Bewegung. Die Umsetzung des Programms "Action for Climate Empowerment" (ACE) scheint voranzugehen, also der Fokus auf Bildung, Ausbildung und die öffentliche Wahrnehmung. Wir, als die NCCEA (Network of Catholic Climate and Environment Actors), stehen in einem guten Kontakt zur Delegation des Heiligen Stuhls. Der Kirche ist das Thema Bildung sehr wichtig.
Stehle: Was die Politik angeht, ist nicht nur Präsident Trump nicht hier, die USA haben gar keine offizielle Delegation geschickt. Das eröffnet auch Möglichkeiten. Und dann gibt es auch noch Rückenwind durch den Internationalen Gerichtshof und seine Entscheidung, dass es eine Pflicht für Staaten gibt, das Klima zu schützen und für Verluste und Schäden durch die Klimakrise die Haftung zu übernehmen. Das Urteil anerkennt den Klimaschutz als fundamentales Menschenrecht und verpflichtet Staaten ihre Emissionen zu reduzieren. Klimagerechtigkeit ist keine Wohltätigkeitsveranstaltung, sondern eine Sache von historischer Verantwortung. Der weltweite Rechtsruck ist ein Problem, aber es gibt viele andere Akteur*innen, die sich für Klimagerechtigkeit stark machen.
Frage: Wie kann das positiv sein, wenn die USA sich herausziehen?
Stehle: In der Vergangenheit haben US-amerikanische Delegationen auf Klimakonferenzen Positionen abgeschwächt oder Entscheidungen gleich ganz blockiert. Wenn sie nicht da sind, können sie das eben nicht. Es bedeutet aber natürlich auch, dass die Nation mit den meisten schädlichen Emissionen nicht mit am Tisch sitzt. Es kommt also auf die Länder an, die mitziehen, sich für das 1,5-Grad-Ziel starkzumachen – und Trump bleibt hoffentlich nicht ewig im Amt. Nach ihm kommt hoffentlich eine US-Regierung, die wieder ihre internationale Verantwortung wahrnimmt.
Frage: Papst Franziskus hat sich für die Bewahrung der Schöpfung stark gemacht, seine Umweltenzyklika "Laudato si" haben Sie ja schon angesprochen. Wie nehmen Sie die Rolle der Kirche unter Papst Leo XIV. war?
Stehle: Zum Glück scheint es da eine sehr große Kontinuität zu geben. Schon ganz früh in seinem Pontifikat hat Papst Leo sich sehr deutlich zur Klimagerechtigkeit und zur Bewahrung der Schöpfung bekannt. Das zeigt, dass es nicht nur das Thema von Papst Franziskus persönlich war: Globale Solidarität, Menschenwürde und die Bewahrung der Schöpfung sind Themen, die zentral für die Kirche sind. Alle Christ*innen sollten sich für Klimagerechtigkeit stark machen.
Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin hat in seinem Statement vor der Weltklimakonferenz die reichen Länder an ihre Verantwortung erinnert.
Frage: Was haben Sie mit der Delegation des Heiligen Stuhls besprochen?
Vanneck: Wir haben verschiedene Themen besprochen, die wir in den Sitzungen vor dem Treffen mit dem Heiligen Stuhl festgehalten haben. Zu den Themen gehörten unter anderem Just Tranistion, der Fonds für Verluste und Schäden (FrLD) und das globale Anpassungsziel (GGA). Ein gutes Zeichen ist, dass die Delegation interessiert an der Position von uns (Jugend)vertreterinnen und -vertretern ist. Wir hatten ursprünglich nur ein Treffen vereinbart, aber jetzt treffen wir uns regelmäßig. Nicht nur wir von Fimcap, sondern auch viele andere Organisationen. Wir beraten uns jetzt mit dem Heiligen Stuhl in verschiedenen Arbeitsgruppen zu Themen wie Just Transition und ACE. Für uns ist das ein ermutigendes Zeichen, dass die Delegation des Heiligen Stuhls auf uns die NCCEA und Jugend hört und uns dabei hilft, unsere Positionen in die Verhandlungen einzubringen.
Stehle: Kardinalstaatssekretär Parolin hat bei seinem Eröffnungsstatement betont, dass es eine Architektur des internationalen Finanzsystems braucht, dass auf Menschlichkeit fußt. Das ist ein starkes Statement, dass wir vom Menschen her und nicht von den Profiten her denken müssen. Der Heilige Stuhl ist einer der wenigen internationalen Player, die den Blick auf die Schulden und Ungerechtigkeit richtet, die daraus entsteht, wie die reichen Länder mit ihrer Verantwortung für die Klimakrise umgehen, und wie das mit der Schuldenkrise im globalen Süden verknüpft ist.
Frage: Wie hängt das zusammen?
Stehle: Länder im globalen Süden sind von den Effekten der Klimakrise besonders betroffen und bekommen dann Mittel für den Wiederaufbau – aber oft in Form von Krediten. Die müssen natürlich irgendwann zurückgezahlt werden, mit Zinsen und Zinseszinsen. Das ist ein Teufelskreis: Sie zahlen zweimal für die Klimakrise, für die die reichen Länder verantwortlich sind: Einmal für die Zerstörungen in Folge der Klimakrise, und dann für die Schulden, die sie für den Wiederaufbau bei den "reichen" Ländern aufgenommen haben.
Frage: Als wir im vergangenen Jahr miteinander gesprochen haben, haben Sie beklagt, dass der Heilige Stuhl versucht hat, die Thematisierung von Geschlechtergerechtigkeit und Genderaspekten zu blockieren. Wie hat sich das entwickelt?
Stehle: Das ist dieses Jahr bisher kein großes Thema. In unseren Gesprächen wurde deutlich, dass Gerechtigkeit ein zentrales Thema für die Delegation des Heiligen Stuhls ist, und sie haben auch wahrgenommen, dass Frauen und Mädchen besonders von der Klimakrise betroffen sind. Die Klimakrise ist nicht genderneutral. Frauen, Mädchen und LGBTQ+-Personen sind von der Klimakrise überproportional betroffen, das ist etwas, wo der Heilige Stuhl immer noch eine unterschiedliche Position zu hat.
Vanneck: Wir selbst haben das Thema bei unseren Treffen mit der Delegation des Heiligen Stuhls nicht von uns aus angesprochen. Geschlechtergerechtigkeit ist immer noch sehr wichtig, aber spielt auf der Agenda dieser Klimakonferenz eine geringere Rolle.
Frage: Auf welches Ergebnis der Klimakonferenz hoffen Sie?
Vanneck: Ich hoffe darauf, dass die Positionen und Bedürfnisse von jungen Menschen vorkommen und nicht außen vor bleiben. Nicht nur in den Abschlussdokumenten, sondern schon bei den Verhandlungen selbst. Und natürlich hoffen wir auch, dass die größten Umweltverschmutzer Verantwortung übernehmen. Derzeit entziehen sich viele Umweltverschmutzer noch immer ihrer Verantwortung, und die LDCs (sogenannte am wenigsten entwickelten Länder) zahlen doppelt: erstens, indem sie die Folgen des Klimawandels wie Überschwemmungen und Hitzewellen zu spüren bekommen, und zweitens finanziell, weil sie die Mittel, die sie für den Wiederaufbau ihrer Gemeinden und Gemeinschaften erhalten haben, zu hohe Zinsen zurückzahlen müssen.
Stehle: Es kommt auf jedes Zehntelgrad an. Wir kämpfen mit unserer Delegation für Klimagerechtigkeit. Unsere Delegation besteht nicht nur aus jungen Menschen aus Deutschland und Belgien, sondern auch von den Philippinen und aus Ghana – das sind Länder, wo die Klimakrise jetzt schon eine existenzbedrohende Größe im Alltag aller ist: Dürren, Hochwasser, Extremwetter. Erst vor wenigen Tagen hat ein Taifun hunderte Menschen auf den Philippinen getötet. Jedes Zehntelgrad, auf das sich die Weltgemeinschaft einigen kann, rettet Leben. Es braucht Taten und Entscheidungen. Die Länder, die von Fossilen profitiert haben, müssen jetzt für einen gerechten Übergang (just transition) bezahlen, das Erreichen von 1,5 Grad ermöglichen und entstandenen Schaden begleichen.