Gedanken eines Obdachlosenseelsorgers zum ersten Advent

Ein Dach für die Nacht – und Worte, die ein Licht anzünden

Veröffentlicht am 30.11.2025 um 00:01 Uhr – Von Wolfgang Willsch – Lesedauer: 
#gemeinsamleuchten

Berlin ‐ Wolfgang Willsch ist Obdachlosenseelsorger in Berlin. Mit seiner Gemeinschaft kümmert er sich um Menschen wie Robert, die kein Dach über dem Kopf haben und Hilfe brauchen. Wie in der Notunterkunft beginnt auch das Evangelium mit einem guten Gespräch. Mit Worten, die Vertrauen schaffen.

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Mit Robert sitze ich in der Notübernachtung St. Pius/St. Nikolaus in Friedrichshain im Zentrum Berlins. Mit vielen engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern organisiert die Gemeinschaft Brot des Lebens im Rahmen der Berliner Kältehilfe hier eine Notunterkunft für Obdachlose.

Wenn Robert und ich uns unterhalten, ist das nicht so einfach. Robert ist im Gegensatz zu mir in Berlin geboren. In diesem multikulturellen und schnelllebigen Stadtteil ist er fast so etwas wie ein echter Berliner. Ich hingegen bin Zugezogener, wenngleich schon vor mehr als 35 Jahren. Wir sind beide ungefähr im selben Alter, aber Robert spricht gut Slowenisch, ich Deutsch und etwas Englisch. Robert ist als Kind mit seinen Eltern, die in West-Berlin als Gastarbeiter lebten, nach Jugoslawien gezogen. Die Gegend um Istrien, in der er aufgewachsen ist, kenne ich aus Familienurlauben. Wir fühlten uns dort immer willkommen.

Weltordnung aus dem Gleichgewicht

Das Jugoslawien von damals gibt es nicht mehr. Europa, auch Deutschland haben sich verändert. Im Kontext der Globalisierung sind wir gefühlt ein kleiner Teil der Welt, deren Ordnung aus dem Gleichgewicht zu fallen scheint. Kriege, Umweltveränderungen und der demografische Wandel bedroht vor allem die jüngeren Generationen. Das kann Angst machen. Änderungen ergeben aber auch neue Möglichkeiten, die es zu ergreifen gilt.

In all diesen politischen und persönlichen Umbrüchen ist Robert zurück nach Berlin gekommen. Obwohl er schnell Arbeit gefunden hat, ist der neue Start nicht so einfach – und ohne eigene Wohnung fast unmöglich. Neben der sprichwörtlichen "deutschen Bürokratie" ist da vor allem die Sprache. Robert braucht Zeit und Hilfe, um in seiner Geburtsstadt wieder ankommen zu können.

Berlin lebt von seiner kulturellen Vielfalt, von seinen Besuchern aus vielen Ländern, von seinen kreativen und engagierten Bewohnerinnen und Bewohnern. Ob hier geboren oder neu zugezogen: Alle sind hier irgendwann und irgendwie einmal angekommen. Auch die Ur-Berliner sind nicht vom Himmel gefallen.

Wolfgang Willsch
Bild: ©KNA/Jannis Chavakis (Archivbild)

Diakon Wolfgang Willsch erzählt von seinem Einsatz in der Notunterkunft für Obdachlose.

Wir sehen aber auch die Grenzen im Miteinander. Nicht nur Alteingesessene ringen um ihre Identität, junge Mitbürgerinnen und Mitbürger suchen ihren Platz, Finanzschwächere sind von der Gentrifizierung bedroht. Der Druck wächst. Menschen zerbrechen und fallen aus den Sozialsystemen. Auf den Straßen sehen wir immer mehr Obdachlose, häufig mit gebrochenen Biografien, seelisch verwundet, krank. Menschen, die oft mit vielen Hoffnungen kamen, um zu arbeiten; manche, um zu bleiben. Menschen wie Robert und ich.   

Wenn die Betreuerinnen und Betreuer der Notübernachtung die Türen des ehemaligen Gemeindehauses von Oktober bis April für bis zu 30 obdachlose Männer öffnen, um sie vor dem Erfrieren zu schützen, aber auch weitere Hilfe anzubieten, leitet sie eher der Gedanke der Willkommenskultur statt der der Stadtbilddebatte. Natürlich müssen auch wir Grenzen setzen, ordnen und manchmal auch Hilfesuchende wegschicken. Aber wir bieten ein offenes Ohr, ein Gespräch auf Augenhöhe, eine warme Suppe, ein sicheres Bett.

Mich erinnert die Notübernachtung ein bisschen an die Herberge in Betlehem. Für Maria und Josef war sie ein kurzer Moment der Rast, ein sicherer Hafen, ehe sie mit dem Kind weiter mussten, auf der Flucht vor dem Gewaltherrscher, vor dem, der um seine Macht bangte. Damals war das Herodes.

Keine schrillen Worte

Im Kleinen wie im Großen braucht es Regeln. Der Kitt des Miteinanders aber hat zuallererst etwas mit Haltung zu tun. Im Advent bereiten wir uns darauf vor, dass Gott Mensch wird. Er lädt auch uns ein, immer menschlicher, mitmenschlicher zu werden.

Alles begann mit einem guten Gespräch. "Der Engel brachte Maria die Botschaft…". Keine schrillen Worte. Worte, die Vertrauen schaffen. Worte die aufrichten. Bedeutungsvolle Worte, kein "Geschwätz". Worte, die Himmel und Erde verbinden. Worte, die Grenzen überwinden.

In diesem Advent wünsche ich Ihnen und uns viele solcher Worte. Worte, die ein Licht anzünden, Worte die Herzen zum Brennen und Augen zum Leuchten bringen.

Von Wolfgang Willsch

Der Autor

Wolfgang Willsch ist Diakon und Obdachlosenseesorger im Erzbistum Berlin. Er ist Vorsitzender der Gemeinschaft "Brot des Lebens" in Berlin.

Weihnachtsaktion 2025 #gemeinsamleuchten

Wir sind umgeben von erschütternden Nachrichten.  Krieg, Naturkatastrophen, Flucht und Armut sind nur einige der Themen, die uns tagtäglich bewegen. Menschen und Medien erzählen uns vom Schicksal Einzelner und Vieler. Und alle sind berührend. Da kann man sich schon einmal Gedanken machen, ob es überhaupt in Ordnung ist, noch Weihnachten zu feiern. Ob man sich schuldig fühlen muss, wenn man in Frieden und Freude feiert, während andere leiden. Wir möchten darauf eine Antwort geben: Ja, ist es. Feiert Weihnachten, tragt das Licht dieses besonderen Festes in die Welt! Lasst uns gemeinsam leuchten und andere zum Strahlen bringen. Lasst uns #gemeinsamleuchten – gerade an Weihnachten.