Historische Begegnungen in Kuba und Mexiko
Zuvor besuchte er in der Grenzstadt Ciudad Juarez eine der berüchtigten Haftanstalten des Landes und kritisierte die Missstände im Strafvollzug. Bei einem Treffen mit Arbeitern und Unternehmern forderte er ein Ende des Profitstrebens um jeden Preis, von dem die heutige Wirtschaft beherrscht werde. Die Auftritte des Papstes wurden auch nördlich der Grenze von Einwanderern und Einheimischen aufmerksam verfolgt. Die illegale Einwanderung aus Lateinamerika spielt derzeit im US-Wahlkampf eine wichtige Rolle.
Begonnen hatte die spektakuläre Reise mit einem historischen Akt in Havanna. Dort traf Franziskus als erster Papst der Geschichte mit dem Moskauer Patriarchen zusammen. Unter den Augen des kubanischen Staatspräsidenten Raul Castro unterzeichneten die Oberhäupter der beiden größten christlichen Kirchen eine in strikter Geheimhaltung vorbereitete Erklärung. In dem Text ging es um den Schutz der vom Islamismus bedrohten Minderheiten im Nahen Osten und in Teilen Afrikas sowie um die Beilegung alter Streitigkeiten zwischen den Kirchen in Osteuropa und Russland.
Anstrengende Reise quer durch Mexiko
Nach dem Zwischenstopp auf Kuba absolvierte der Papst von Samstag bis Mittwoch eine anstrengende Reise quer durch Mexiko. Die ersten politischen und religiösen Höhepunkte standen in Mexiko-Stadt an, wo er als erster Papst im Nationalpalast empfangen wurde und das in ganz Amerika von Katholiken verehrte Marienheiligtum von Guadalupe besuchte. In einer Ansprache forderte er die 170 mexikanischen Bischöfe auf, sich von ihrer Rolle als Kirchenfürsten zu verabschieden und durch glaubwürdige und transparente Arbeit die Frohe Botschaft zu verkünden.
Am Sonntag feierte Franziskus in der riesigen, ärmlichen Vorstadt Ecatepec eine Messe mit rund 300.000 Menschen. In einer politischen Predigt bezeichnete er die Teilung und Entzweiung der Gesellschaft als einen teuflischen Plan. Die Mexikaner forderte er auf, ihr Land so umzugestalten, dass "niemand mehr auswandern muss, um träumen zu können". Ein bewegender Besuch in einer Kinderklinik war der zweite Höhepunkt dieses Tages. Ein Treffen mit Künstlern und Intellektuellen war ohne Angabe von Gründen abgesagt worden.
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Am Montag reiste Franziskus in die Unruheprovinz Chiapas, wo seit Jahrhunderten Nachfahren der Maya-Völker immer wieder bewaffnet für ihre Rechte kämpfen - zuletzt 1994 im Zapatisten-Aufstand. In San Cristobal de las Casas, dem Wirkungsort des 2011 gestorbenen Befreiungstheologen Bischof Samuel Ruiz, feierte er eine Messe mit Tausenden Vertretern indigener Völker aus ganz Mexiko und aus mittelamerikanischen Nachbarstaaten. In einer viel beachteten Predigt rief er zu einer Vergebungsbitte angesichts des millionenfachen Unrechts auf, das die ersten Völker Amerikas erlitten und erleiden. Später betete er in Ruiz' Kathedrale.
Emotionaler Höhepunkt war der Besuch in Morelia. In der Hauptstadt des vom Drogenkrieg geplagten Bundesstaates Michoacan wurde der Papst von Hunderttausenden begeistert gefeiert. In einer Messe forderte er Geistliche, Ordensleute und Seminaristen aus dem ganzen Land auf, der Versuchung der Resignation zu widerstehen und sich nicht als kirchliche Beamte in ihre Sakristeien zurückzuziehen.
"Jesus würde uns nie auffordern, Auftragsmörder zu sein!"
Bei einem Treffen mit Zehntausenden Jugendlichen mahnte er mit scharfen Worten, nicht den materiellen Verlockungen des Drogenhandels und des Verbrechens nachzugeben und stattdessen das eigene Potenzial zu entdecken und ihre Hoffnung auf Jesus zu setzen. "Ihr seid der Reichtum Mexikos!", rief er ihnen zu und betonte: "Jesus würde uns nie auffordern, Auftragsmörder zu sein! ... Alles an ihm ist eine Einladung zum Leben."
Die vierte Reise des argentinischen Papstes nach Lateinamerika hat abermals gezeigt, dass Franziskus auf seinem Heimatkontinent die Massen und die Medien in einer Weise bewegen kann, wie dies zuletzt Johannes Paul II. (1978-2005) in Osteuropa vermochte. Nach Vatikan-Schätzungen haben allein bei dieser Reise rund fünf Millionen Menschen den Papst am Straßenrand oder bei Veranstaltungen erlebt. Ob Franziskus mit seinem Mobilisierungspotenzial ähnlich viel bewirken kann wie der polnische Papst zu seiner Zeit, hängt nicht zuletzt davon ab, welchen Effekt seine Worte und Gesten auf die politische, wirtschaftliche und kirchliche Führungsschicht in Lateinamerika haben.