"Ein bisschen am Lack kratzen"
Frage: Herr Plaßmann, wie sind Sie als tagespolitischer Karikaturist auf die Idee gekommen, über die Kirche zu zeichnen?
Plaßmann: Ich habe die ganz normale katholische Sozialisation durchlebt, bin also zur Kommunion gegangen, war Messdiener, hab Jugendarbeit gemacht und so weiter. Und wenn man diesen Bereich als den Seinen betrachtet, liegt es als Karikaturist nahe, mal drüber nachzudenken, ob diese Themen etwas für die eigene Arbeit seien. Dann habe ich mich erst einmal in die einzelnen Themen vertieft, die einen da so anspringen. Das erste ist das Gemeindeleben, und dann wird es auch schnell ein bisschen theologisch. Es geht aber auch um Kirche und Gesellschaft oder die aktuellen Entwicklungen in der Kirche.
Frage: Was inspiriert Sie für Karikaturen zu diesen Themen?
Plaßmann: Das ist ganz unterschiedlich. Denken Sie mal über Glauben nach, dann fallen Ihnen gleich verschiedene Stichpunkte ein. Manchmal ist es auch der ganz normale Gemeindealltag, da sprudeln dann die Ideen. Erst habe ich nur für mich gezeichnet, aber dann beschlossen, das zu veröffentlichen. Das Ruhrwort, das damals noch das Essener Bistumsblatt war, hat es gedruckt. Es gab Widerstand, aber ich habe doch gemerkt, dass man über die Karikaturen sehr gut über Kirche und Glauben ins Gespräch kommen kann.
Frage: Das Zeichnen ist also nicht nur eine Einbahnstraße, sondern Sie bekommen offensichtlich auch etwas zurück.
Plaßmann: Ja, eine ganze Menge sogar. Erstmal ist das Zeichnen von Karikaturen und Cartoons eine ganz persönliche Auseinandersetzung mit den Dingen. Ich versuche, sie mir selbst mit diesem Stilmittel klar zu machen. Aber fruchtbar wird es erst, wenn man seine Karikaturen öffentlich präsentiert. Dass das wunderbar funktioniert, habe ich damals schnell an den vielen Rückmeldungen gemerkt. Das sehe ich auch daran, dass diese Zeichnungen verhältnismäßig oft gedruckt werden, und nicht nur in katholischen Medien. Es ist ja so, dass man viel leichter in ein Thema finden kann, wenn man eine schöne Karikatur dazu hat. Dann macht es sofort klick im Kopf und man beginnt, darüber nachzudenken und – am allerbesten – auch darüber in den Dialog zu treten.
Frage: Viele Leute treten aus der Kirche aus, haben nichts mehr mit ihr zu tun. Die Bedeutung der Kirche in der Gesellschaft schwindet. Warum ist das Thema Kirche die Aufmerksamkeit noch Wert?
Plaßmann: Erstmal, weil das für mich ein nicht unwesentlicher Bereich ist und es mittlerweile zu meinem Arbeitsalltag gehört, mir darüber ein paar Gedanken zu machen. Und dann, weil ich glaube, dass Karikatur da auf zwei Ebenen funktioniert: Einmal in der Innensicht, das heißt, dass ich damit die Leute bedienen kann, die der Kirche nahestehen oder zumindest noch ein bisschen was mit ihr zu tun haben. Das andere ist die Außenwirkung. Wenn jemand, der sich nicht für Religion interessiert, eine gute Karikatur über das Thema sieht, dann löst das möglicherweise etwas bei ihm aus und er beschäftigt sich doch wieder damit. Das bekommt man nicht dadurch, dass man Kirchenfernen sagt, sie müssten mal in die Kirche kommen und die nächste Predigt anhören, sondern man muss es über andere Wege tun. Die Karikaturen bieten zumindest eine Chance dazu.
Frage: Also ist das Zeichnen von Karikaturen über den Glauben auch eine Form der Verkündigung?
Plaßmann: Das ist jetzt ein bisschen viel. Ich betrachte mich nicht als Missionar mit Zeichenstift, das möchte ich nicht für mich in Anspruch nehmen. Aber obwohl das Interesse an Kirche und Glauben schwindet, ist es ein Thema, das viele Menschen bewegt, weil es so viele Bereiche des Alltags berührt. Da geht es nicht nur um den Sonntagsgottesdienst, sondern auch um den Umgang mit Krankheit und Tod. Da wird es zur existenziellen Frage. Karikatur bietet alle Möglichkeiten, darüber neu nachzudenken.
Frage: Sie sagten in einem Interview mit katholisch.de nach dem Anschlag auf das französische Magazin "Charlie Hebdo", dass Sie als Karikaturist niemanden persönlich verletzen wollen. Wie schaffen Sie die Gratwanderung zwischen Humor und Rücksichtnahme? Und gelingt das überhaupt immer?
Plaßmann: Manches verbietet sich aufgrund meiner eigenen Weltanschauung. Ich möchte niemandes Würde verletzen mit dem, was ich tue. Darauf nehme ich beim Zeichnen Rücksicht. Ich will fragen: Moment, läuft da nicht irgendwas schief? Ich will das, was es wert wäre, dass man mal darüber nachdenkt, in den Fokus meiner Arbeit rücken. Aufgabe des Karikaturisten ist es ja auch, ein bisschen am Lack zu kratzen oder dem ein oder anderen vors Schienbein zu treten. Dass sich da mal jemand auf den Schlips getreten fühlt, ist okay und muss auch so sein. Es wäre falsch, wenn ich hoffen würde, dass alle Leute sagen: "Herr Plaßmann, da haben Sie wieder ein nettes Bildchen gemalt." Dann könnte ich den Stift auch zur Seite legen. Wenn sich doch mal jemand verletzt fühlt, dann liegt es möglicherweise an den Befindlichkeiten der Person und nicht so sehr an meiner Absicht. Manche Leute fühlen sich schon beleidigt, wenn man einfach nur ein religiöses Thema aufgreift, da sind die Empfindlichkeiten verhältnismäßig hoch.
Frage: Wo ziehen Sie denn da die Grenze? Wo sagen Sie, das mache ich auf keinen Fall?
Plaßmann: Ich folge dem berühmten Ausspruch von Kurt Tucholsky, dass Satire alles darf, das heißt, ich spare erstmal grundsätzlich kein Thema aus. Die allererste Frage für mich ist immer: Wo soll es hingehen und was bezweckst du bei dem Thema? Wenn das nur geht über eine etwas deftigere Zeichnung, dann mache ich das auch. Ich würde mich nicht von Vornherein einschränken - wenn man so anfängt, dann wird es eng, dann kann man nur noch Blumenwiesen und röhrende Hirsche zeichnen. Im einzelnen Fall muss man sich dann eben fragen, wie es umzusetzen ist.
Frage: Gibt es dabei einen Unterschied zwischen den politischen und den religiösen oder kirchlichen Themen?
Plaßmann: Das liegt immer an dem Einzelfall, den man zu bearbeiten hat. Bei kirchlichen Themen trifft man allerdings schneller auf Empfindlichkeiten. Das Religiöse ist doch noch vielen Menschen heilig. Es gibt da dieses große Missverständnis, dem ich gerade am Anfang häufig begegnet bin: Manche Leute denken, dass eine Karikatur eine Witzzeichnung ist, und meinen, da mache sich jemand über etwas lustig. Diese Leute machen dann gleich die Schotten dicht. Sie denken gar nicht darüber nach, ob etwas dahinter steckt, vielleicht sogar etwas Positives. Und das wird der Sache nicht gerecht. Mir geht es ja nicht darum, mit dem Hammer draufzuhauen, sondern mir geht es um die Sache. Ich versuche zu schauen, was schief läuft, spüre dem satirisch mit der Karikatur nach und stelle es dann zur Diskussion.
„Manche Leute denken, dass eine Karikatur eine Witzzeichnung ist, und meinen, da mache sich jemand über etwas lustig.“
Frage: Sie zeichnen eher selten Persönlichkeiten. Haben Sie Lieblingsthemen oder Lieblingsfiguren?
Plaßmann: Politiker und andere Figuren treten bei mir nicht so häufig auf. Wenn ich mich mit einem Thema beschäftige, versuche ich herauszuarbeiten, was das, was da auf politischer oder gesellschaftlicher Ebene passiert, für Auswirkungen auf uns hat. Ich will deutlich machen, dass da unsere Lebensverhältnisse mitbestimmt werden. Ich finde das viel interessanter.
Frage: Also gar keine Lieblingsfiguren?
Plaßmann: Ich zeichne schon ganz gerne Frau Merkel und Papst Franziskus. Das hängt natürlich auch davon ab, wie schön sie sich zeichnen lassen. Wenn die so ein Allerweltsgesicht haben, ist es nicht ganz so prickelnd, aber bei Angela Merkel und Papst Franziskus funktioniert das ganz gut.