Sterbende begleiten
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In den 1980er und 90er Jahren gab es in der Medizin große Erfolge, viele Krankheiten wurden erforscht und konnten geheilt werden; neue Medikamente standen zur Verfügung, die Apparatemedizin ermöglichte ganz neue Einblicke in den Körper und seine Funktionen. Gleichzeitig wurde das Sterben von Menschen immer mehr als Niederlage der Wissenschaft angesehen und von den Behandelnden an den Rand gedrängt. "Auf meiner Station stirbt keiner", "der Tod ist ein Unfall, das darf hier nicht sein" war oft zuhören - und so wurden die Menschen, deren Leben zu Ende ging, noch verlegt oder ins Bad verschoben, irgendwohin, wo sie nicht störten.
Diesem Zustand wollten die Barmherzigen Brüder, mein Orden, etwas entgegensetzen. Dem Vorbild des hl. Johannes von Gott verpflichtet, die Ärmsten zu suchen und ihnen zu dienen, begannen wir mit der Hospizarbeit in Bayern. Zu Beginn gegen sehr viele Widerstände von außen und in den eigenen Reihen, starteten wir das Wagnis, den sterbenden Menschen Raum, Aufmerksamkeit und besondere Hinwendung zu schenken. Was mit einer kleinen Station von 10 Betten begann, hat sich heute zu vielen unterschiedlichen Einrichtungen und Diensten entwickelt: Ein Hospiz, in dem Menschen bis zum Tod stationär betreut und gepflegt werden; mehrere Palliativstationen, die vor allem den unheilbar Kranken Lebensqualität zurückgeben und erhalten und einem Palliativteam (SAPV), welches für die Menschen die sterben werden eine Versorgung zu Hause ermöglicht, um ihnen Krankenhausaufenthalte zu ersparen. Hinzu kommen abgestimmte Palliativ-Care-Angebote in unseren Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und in der Altenhilfe.
Linktipp: Barmherzig und zupackend
Sie sind eine eher kleine Ordensgemeinschaft, die aber sehr viele Menschen beschäftigt. Das liegt an ihrem Auftrag, sich den Armen und Kranken zuzuwenden und sie zu pflegen. Die meisten ihrer Angestellten arbeiten deshalb in Krankenhäusern.Wenn Menschen mit dem Interesse zu uns kommen, einen der Dienste kennen zu lernen, liegt es mir am Herzen, den Blick auf das eigene Leben zu lenken. Mein ICH, meine Gefühle, meine Vorstellungen, meinen Lebensplan … Schüler oder Studenten lasse ich zum Beispiel dann anhand eines Meterstabes anschauen, wie viele Jahre sie schon gelebt haben und wie viele Jahre sie sich noch wünschen. Im Laufe der Begegnung komme ich darauf zurück. Jeder der hierher zu uns kommt, hat so einen Plan, egal ob er 75 oder 25 Jahre alt ist. Fast allen ist der Zeitpunkt, an dem sie erkranken oder die Prognose, bald zu sterben, mitgeteilt bekommen, zu früh, im Leben oder im eigenen Plan nicht vorgesehen. Das bedeutet Abschied zu nehmen von Dingen, die mir wichtig sind in meinem Leben, Dinge unerledigt lassen, meine Träume nicht mehr verwirklichen zu können usw. Es ist lohnenswert diesen wichtigen Aspekt zu verstehen. Denn dann kann ich auf das, was den anderen bewegt, so zugehen, wie er es sich selbst wünscht; dann baut sich Empathie auf, die mehr ist als Mitleid.
Dem Kranken und Sterbenden zum Bruder werden
In meinem Verständnis als Barmherziger Bruder werde ich dem Kranken und Sterbenden zum Bruder und er mir auch. Das ist das "Geheimnis" von dem Christus im Gleichnis vom barmherzigen Samariter spricht: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst." (Lk 10, 27).
Im Hospiz geht es um Pflege, Begleitung und Ankommen; und auch um Medizin. Die Pflege übernimmt all das, was der Mensch in seinem geschwächten Körper nicht mehr selbst erledigen kann. Sie entlastet die Angehörigen, die zu Hause in die Rolle der Pflegenden geschlüpft sind. Sie stellt sicher, dass der Mensch weitestgehend symptomfrei, also ohne Schmerzen, Atemnot, Übelkeit oder Juckreiz lebt. Aus all dem erwachsen neue Möglichkeiten, das Leben zu leben, das zu tun, was noch geht. Dem Kranken wird die Sorge genommen, wie er mit der verbliebenen Kraft durch diesen Tag kommt. Die Kräfte stehen ihm für Dinge zur Verfügung, die ihm wichtiger sind. Die Angehörigen können wieder sein, was sie sind: Ehefrau, Eltern, Freunde, Sohn oder Tochter. Sie sind befreit von der schweren, belastenden Situation, rund um die Uhr als Pflegende funktionieren zu müssen. Und die Pflege erkennt Situationen, die bedrohlich werden können, schon am Anfang. Symptome können gelindert werden, bevor sie bedrohlich werden. Der Tag hat somit wieder mehr Leben, mehr Unbeschwertheit.
Begleiten ist kein Tun, sondern ein Sein
Die Begleitung geschieht bewusst unbewusst. Oder anders gesagt: Begleiten ist kein Tun, sondern ein Sein – das Dasein. Begleitung brauchen alle: die bald sterben werden, die ihnen nahe stehen, und die sich distanziert haben. Begleitung hat viele Gesichter. Sie kann zuhören, kann still sein und aushalten, was mit keinem Wort auszusprechen ist, aber sie kann auch reden, das Gefühlte ins Wort bringen, dem Inneren etwas Äußeres geben. Sie macht sich mit allen Beteiligten auf den Weg, auf die Suche nach dem, was jetzt wichtig ist. Mir fällt oft auf, dass Besucher wie gelähmt im Zimmer des Kranken sitzen und nicht wissen, worüber sie sprechen sollen, besonders, wenn dieser nicht mehr die Kraft hat, selbst zu reden. Diese Situation ist für alle sehr bedrückend. Als hilfreich erlebe ich es, das Gespräch mit den Anwesenden zu beginnen und auf ein Thema zu lenken, das banal erscheint, z. B. Sport, das Auto oder etwas, wovon ich annehme, das es den Kranken in gesunden Tagen interessiert haben könnte. Das wirkt. Da bewegt sich etwas im Miteinander und Zwischeneinander, und diese Bewegung überträgt sich auf den Geschwächten und nimmt etwas von seiner Starre. Diese Veränderung dann zum Thema machen und die Angehörigen ermutigen, nicht die Krankheit oder das Unvermögen zu besuchen, sondern den ganzen Menschen und mit diesem die Zeit zu gestalten, die sie ihm schenken wolle, das ist ein Gesicht von Begleitung.
Mit dem Sterbenden den Frieden suchen
Das Ankommen ist das Urbedürfnis jeden Seins. Ankommen heißt zu wissen, wo ich geborgen bin, wo ich daheim bin. Oder wo ich letzte Sicherheit finde, meinen Frieden, wo brauche ich keine Sorgen und Ängste mehr haben. Das kann gelingen, wenn für den Leib gesorgt ist und das soziale Umfeld gegeben ist. Grundlegend ist über all dem auch die Fähigkeit, im eigenen Leben etwas Göttliches zu suchen, etwas Übernatürliches zu erahnen, das von Menschen nicht beeinflusst werden kann, das Spirituelle, wie unterschiedlich auch die Vorstellungen darüber sein mögen. Mit den Sterbenden, wenn es für sie zum Thema wird, diesen Frieden zu suchen, ist Hilfe auf dem Weg, den sie zu gehen haben. Und da, genau da werde ich selbst zum Beschenkten, bekomme ich Hilfe für meinen Weg, den ich noch zu gehen habe. Aber das kann ich nicht, das kann niemand herbeiführen, der Suchende selbst sucht sich den Zeitpunkt und den Partner aus, den er als geeignet sieht.
Auch die Medizin darf hier nicht fehlen. Sie hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr um den Menschen in seiner Ganzheit angenommen, sie weiß inzwischen, dass der Tod kein Missgeschick ist und wie die Geburt dazugehört. Sie hat Konzepte und Behandlungen eingeführt und etabliert, die an Universitäten gelehrt werden, um dem Menschen im Sterben das Leben bis zuletzt so erträglich wie möglich zu machen.
So will ich mit den Worten schließen, die ein Donimikanerpater zur Eröffnung einer Abteilung in unserem Regensburger Krankenhaus aussprach: "Es gibt keine geeignetere Zeit, mit Gedanken über das eigene Ende zu beginnen, als jetzt."