Die "richtigen Glaubens" sind
Kritiker werfen der Orthodoxie hingegen eine Erstarrung ihres geistlichen und geistigen Lebens vor, also eine Unfähigkeit zur Erneuerung. Das Panorthodoxe Konzil auf Kreta vom 19. bis 26. Juni soll einen Schritt nach vorn bringen: Es ist das erste Treffen dieser Art seit Jahrhunderten. Anders als etwa bei den evangelischen Christen, für die die Reformation ausschlaggebend war, oder bei den Altkatholiken, die sich am Papstdogma des Ersten Vatikanischen Konzils von 1870 rieben, gab es bei der Orthodoxie gar keinen konkreten Anlass für eine Trennung.
Vielmehr lebten sich die Christen im griechischen und lateinischen Kulturraum langsam, zunächst fast unmerklich auseinander. Dieser Prozess begann zur Zeit Karls des Großen um das Jahr 800 und erreichte mit der gegenseitigen Exkommunikation von 1054 einen ersten Höhepunkt. Er fand aber erst Mitte des 18. Jahrhunderts seinen Abschluss, als sich Orthodoxe und Katholiken nicht mehr gegenseitig als "Schwesterkirchen" betrachteten. "Orthodox" (rechtgläubig) wurde ebenso wie "katholisch" (allumfassend) zur Konfessionsbezeichnung.
Linktipp: Scheitert das orthodoxe Konzil?
Nach jahrelanger Vorbereitung könnte das Panorthodoxe Konzil nun doch ausfallen: Die bulgarisch-orthodoxe Kirche droht, das Treffen platzen zu lassen, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden.Es gibt keine wesentlichen Glaubensunterschiede zwischen diesen beiden Konfessionen. Allerdings haben die Orthodoxen die Weiterentwicklung der abendländischen Kirchenordnung und Theologie seit der Völkerwanderung nicht mitvollzogen. Das betrifft vor allem die Herausbildung des päpstlichen Primats und ein Erlösungsverständnis, das im Westen mehr auf Rechtfertigung, im Osten stärker auf mystischer Vergöttlichung des Menschen beruht. In der Ökumene ist die Orthodoxie heute aufgerufen, den abendländischen Weg verstehen zu lernen. Es ist Aufgabe des Katholizismus, seine Fortentwicklung mit dem gemeinsamen Erbe des ersten christlichen Jahrtausends in Einklang zu bringen. Der neue Katechismus von Papst Johannes Paul II. (1978-2005) hat diese Aufgabe vielversprechend in Angriff genommen.
Mitgliederzahl lässt sich schwer feststellen
Die griechisch-orthodoxe Kirchenfamilie ist heute im ehemaligen Oströmischen Reich (Balkan und Orient), in dessen slawischem Missionsgebiet (Ukraine und Russland) sowie einer im 20. Jahrhundert stark gewachsenen europäischen und überseeischen Diaspora verbreitet. Dazu kommt zuletzt ein kräftiger Aufschwung in Schwarzafrika, wo orthodoxe Eigenheiten - reiche Liturgie samt Tänzen im Gottesdienst sowie verheiratete Geistliche - die Inkulturation gerade dieser Kirche zu erleichtern scheinen. Zur griechisch-orthodoxen Kirchenfamilie gehören heute etwa 250 Millionen Menschen weltweit. Eine genaue Zahl lässt sich schwer feststellen. Denn in traditionell orthodoxen Ländern wie Griechenland werden alle, die nicht anderen Bekenntnissen oder Religionen angehören, automatisch der Landeskirche zugezählt. Im früheren Ostblock, der islamischen Welt und der Diaspora sind hingegen nur jene erfasst, die tatsächlich einer Pfarrgemeinde als Mitglieder angehören. Das sind in der Regel nur zehn Prozent der Kirchgänger.
Die orthodoxe Kirche gliedert sich in neun Patriarchate und fünf eigenständige (autokephale) Landeskirchen. Diese stehen in Glaubens- und Sakramentengemeinschaft, haben jedoch kein gemeinsames Oberhaupt. Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel führt nur den Ehrenvorsitz über die gesamte Kirchenfamilie und ist ihr Koordinator und Sprecher. Unterschiede bestehen in den Kirchensprachen und liturgischen Sonderbräuchen. Auch die orthodoxen Kirchen leiden unter einer allgemeinen Verweltlichung ihrer Gesellschaften und einem Rückgang praktizierender Christen. Das drückt sich jedoch kaum in Kirchenaustritten aus, da die Orthodoxie weder eine Kirchensteuer noch eine Prozedur kennt, um die Kirche zu verlassen: Jeder Getaufte bleibt immer orthodox.
Homosexualität wird entschieden verurteilt
Das orthodoxe Kirchenrecht lässt eine bis zu dreimalige Scheidung und Wiederverheiratung zu. Homosexualität wird entschieden verurteilt, homosexuelle Handlungen aber eher nachsichtig behandelt. Das entspricht dem orthodoxen Grundsatz der "Oikonomia". Dieser besagt, dass alle Gebote und kirchlichen Vorschriften "menschlich" angewandt werden müssen. Ein Vorstoß bei den aktuellen Konzilsvorbereitungen, Homosexualität auch grundsätzlich nicht länger zu verurteilen, ist vor allem am Widerstand der russischen Orthodoxie gescheitert. Ihr Patriarch, Kyrill I. von Moskau, wird die mächtigste Persönlichkeit auf dem Konzil von Kreta sein und einen konservativen Kurs verfolgen. An der Spitze der Erneuerer steht hingegen der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel. Zwischen beiden könnte Rumäniens Pariarch Daniil I. die Rolle des Züngleins an der Waage spielen.