Kardinal Kurt Koch über orthodoxes Konzil und Reformationsgedenken

"Ein sehr starkes Zeichen"

Veröffentlicht am 21.07.2016 um 00:01 Uhr – Von Johannes Schidelko – Lesedauer: 
Ökumene

Vatikanstadt ‐ Der vatikanische Ökumene-Chef Kardinal Koch hat in diesen Wochen einen dicht gefüllten Kalender. Im Interview mit katholisch.de spricht er über aktuelle Erwartungen und Herausforderungen in der Ökumene.

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Frage: Herr Kardinal, Sie waren als Beobachter der katholischen Kirche zum Panorthodoxen Konzil nach Kreta eingeladen. Wie haben Sie das Treffen erlebt?

Koch: Ein Urteil über dieses Konzil fällt von der Erfahrung her nicht leicht, weil wir bei den Konzilsberatungen nicht anwesend gewesen sind. Wir Beobachter konnten nur an der Eröffnungs- und der Schlusssitzung teilnehmen. Die Eröffnungssitzung habe ich als sehr positiv erlebt. Nach der  langen und gehaltvollen Ansprache des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios haben die Leiter der übrigen orthodoxen Kirchen ihre Voten abgegeben. Diese beinhalteten eine sehr große Unterstützung für den Patriarchen.

Fragen: Sie sind aber doch regelmäßig durch Sprecher über den Verlauf informiert worden...

Koch: Meist handelte es sich dabei um Experten, die selbst auch nicht in der Konzilsaula dabei waren. Freilich konnten wir mit ihnen viele Fragen diskutieren. Zweimal sind wir auch von zwei Teilnehmern am Konzil informiert worden.

Frage: Was hat das Konzil erreicht?

Koch: Ich betrachte es als sehr positiv, dass das Konzil stattgefunden hat, dass es nicht vertagt wurde, und dass alle dem Konzil vorliegenden Dokumente angenommen wurden. Weiter werte ich den diskutierten Vorschlag positiv, dass alle sieben oder zehn Jahre ein neues Konzil einzuberufen werden soll.

„Auch bei den Ökumenischen Konzilien des ersten Jahrtausends waren nicht immer alle Kirchen anwesend - und trotzdem wurden die Konzilien als gültig anerkannt.“

—  Zitat: Kardinal Kurt Koch

Frage: Was bedeutet es, dass nicht alle 14 orthodoxen Kirchen anwesend waren - es fehlten die von Antiochien, Bulgarien, Georgien und Russland?

Koch: Das Konzil hat seinen Lauf genommen in der Form, wie es zusammengetreten ist. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass es nicht das erste Mal ist, dass einzelne Kirchen fehlen. Auch bei den Ökumenischen Konzilien des ersten Jahrtausends waren nicht immer alle Kirchen anwesend - und trotzdem wurden die Konzilien als gültig anerkannt. Das gilt auch für das Treffen in Kreta, das von den Teilnehmern als voll gültiges Konzil betrachtet und verwirklicht wurde.

Frage: Wie bewerten Sie die Aussagen des Konzils zur Ökumene?

Koch: Das Papier über die Beziehungen der Orthodoxie zum Rest der Christenheit war das am heftigsten umstrittene Dokument in Kreta. Ich sehe hier innerhalb der Orthodoxie verschiedene Tendenzen: Eine Tendenz, die sich sehr stark in der Ökumene engagiert, allen voran der Ökumenische Patriarch Bartholomaios und auch viele andere. Daneben gibt es eine Tendenz, die die Ökumene als etwas eher Problematisches und Gefährliches betrachtet. Immerhin ist nach einem langen Ringen das Dokument angenommen und nicht auf eine spätere Zusammenkunft vertagt worden.

Frage: Wie geht es nun weiter? Wird es ein neues Konzil in sieben oder zehn Jahren geben, oder wird die jetzige Versammlung demnächst nochmal fortgesetzt?

Koch: Ob es ein weiteres Konzil geben wird, darüber werden die Patriarchen bei einer ihrer nächsten Versammlungen, der Synaxis, befinden müssen. Darüber ist noch nichts entschieden worden. Jetzt ist vor allem wichtig, dass das Konzil in den einzelnen Kirchen aufgenommen, rezipiert und im Leben umgesetzt werden wird.

Bild: ©KNA

Das mit Spannung erwartete Panorthodoxe Konzil fand im Juni auf Kreta statt.

Frage: Welche Auswirkungen hat das Konzil für die Ökumene - und für die Arbeit Ihrer Behörde?

Koch: Es ist, wie gesagt, positiv, dass das Ökumene-Dokument angenommen wurde. Dies ist auch ein klares Zeichen, dass die bisherigen Dialoge weitergehen und nicht in Frage gestellt sind. Allerdings ist bei der Synode offenbar lange über die Frage diskutiert worden, ob die anderen Kirchen als "Kirche" bezeichnet werden können. Eine starke Tendenz in der Orthodoxie vertritt die Ansicht, dass es nur eine Kirche, die Orthodoxe Kirche, gibt und dass die anderen keine "Kirchen" sind. Auf dem Konzil ist dann der Kompromiss gefunden worden, dass die Orthodoxie den "historischen Namen der Kirchen" anerkennt. Was dies für die Gegenwart nun bedeutet, muss geklärt werden. Denn für unseren weiteren Dialog ist es entscheidend, ob die Orthodoxie die katholische Kirche als Kirche anerkennt.

Frage: Wie geht es konkret in diesem theologischen Dialog weiter? Das nächste Treffen soll ja im September in Italien stattfinden. Bleibt es dabei - und kommt dann sofort diese Grundsatzfragen auf die Tagesordnung?

Koch: Das Treffen findet wie vorgesehen in Chieti statt. Wir haben im Rahmen unseres bisherigen Dialogs ein Dokument über das Verhältnis von Synodalität und Primat vorbereitet, das besprochen werden muss. In diesem Zusammenhang wird gewiss auch die Frage des Kirchenverständnisses angegangen werden müssen. Dabei stellt sich die weitere Frage, wer die Kompetenz hat, die Kompromissformel des Konzils authentisch zu interpretieren.

Frage: Werden an der nächsten Dialogsitzung auch orthodoxe Kirchen teilnehmen, die nicht am Konzil in Kreta dabei waren?

Koch: In der theologischen Dialogkommission sind alle Orthodoxen Kirchen vertreten, ausgenommen Bulgarien. Ich habe keine Anzeichen, dass die Nicht-Teilnahme der anderen Kirchen am Konzil Konsequenzen für die Teilnahme bei unserer Dialogkommission haben würde. Die Teilnahme am Konzil ist eine Seite und die Mitarbeit in der Gemischten Internationalen Kommission eine andere.

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Frage: Werden auch die bilateralen Kontakte, etwa mit Moskau, fortgesetzt wie geplant?

Koch: Der theologische Dialog wird stets multilateral geführt, wie es der Entscheidung der Orthodoxie entspricht. Der Dialog mit der russisch-orthodoxen Kirche, der eher auf der Ebene der Zusammenarbeit etwa im kulturellen und ethischen Bereich erfolgt, wird weitergehen.

Frage: Also wird auch der auf Kuba von Papst Franziskus und dem Moskauer Patriarchen Kyrill eingeleitete Kontakt fortgeführt?

Koch: Ich hatte gehofft, dass das Treffen zwischen dem Patriarchen und dem Papst dem Panorthodoxen Konzil helfen könnte. Deshalb war ich überrascht, dass der Russisch-Orthodoxe Patriarch dann doch nicht am Konzil teilgenommen hat. Über eine weitere Begegnung zwischen dem Patriarchen und dem Papst ist bisher nichts vereinbart worden.

Frage: Während der Konferenztage von Kreta hat Papst Franziskus eine ökumenische Initiative unternommen und Armenien besucht. Was hat diese Reise erbracht?

Koch:  Es war ein sehr positiver Besuch. Die Beziehungen zwischen der katholischen und der armenisch-apostolischen Kirche sind sehr gut und werden schon lange gepflegt. Die Reise stand auch unter dem Vorzeichen, dass der Papst den ersten christlich gewordenen Staat besucht, der freilich in der Geschichte viel Leiden gekannt hat. Ich bin überzeugt, dass die Reise sehr viel zur Vertiefung der ökumenischen Beziehungen beigetragen hat.

Bild: ©KNA

Bei seinem Besuch in Armenien hat Papst Franziskus im Juni mit Blick auf die grausamen Vorkommnisse in der Zeit des Ersten Weltkriegs erneut von einem "Genozid" des osmanischen Reiches an den Armeniern gesprochen.

Frage: Besondere Beachtung fand, dass Franziskus in Armenien erneut den Begriff "Genozid" für die grausamen Vorkommnisse in der Zeit des Ersten Weltkriegs benutzt hat...

Koch: Die Dokumente in den Archiven des Vatikans über das Engagement von Papst Benedikt XV. während der Zeit des Ersten Weltkriegs sind so eindeutig, dass von Seiten der katholischen Kirche das Urteil "Genozid" klar ist. Benedikt XV. hatte sich sowohl an die osmanischen Autoritäten als auch an die Repräsentanten Deutschlands gewandt und gefordert, dass mit den Massakern aufgehört werde.

Frage: Ende Oktober reist der Papst auf Einladung des Lutherischen Weltbundes zu einem ökumenischen Reformationsgedenken ins schwedische Lund. Was ist dort vorgesehen?

Koch: Auf der Basis des vom Lutherischen Weltbund und unserem Rat zur Förderung der Einheit der Christen verantworteten Dokument zur Vorbereitung auf das gemeinsame Reformationsgedenken wird dort ein Gottesdienst gefeiert werden. Ihm werden auf der einen Seite Papst Franziskus und auf der anderen Seite der Präsident und der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes vorstehen. Daran schließt sich im Stadion von Malmö ein ökumenisches Event an, bei dem vor allem das gemeinsame Zeugnis und die Zusammenarbeit zwischen den Kirchen im Blick auf ihren Weltauftrag im Vordergrund stehen sollen.

Frage: Wird es eine gemeinsame Erklärung geben - wie soeben in Armenien?

Koch: Ich gehe davon aus, dass es eine gemeinsame Erklärung geben wird.

„Papst Franziskus ist nach Deutschland eingeladen worden, er ist auch in die Schweiz eingeladen worden, die ein zweites Reformationsland ist. Darüber ist nicht entschieden.“

—  Zitat: Kardinal Kurt Koch

Frage: Ist dort auch eine weitergehende Würdigung der Person Martin Luthers zu erwarten?

Koch: Es gibt bereits viele positive Äußerungen zu Luther: von Kardinal Willebrands, dem zweiten Präsidenten des Rates zur Förderung der Einheit der Christen, dann von Papst Johannes Paul II., der Luther während seiner Deutschlandbesuche gewürdigt hat, und schließlich die hervorragende Würdigung Luthers durch Benedikt XVI. 2011 in Erfurt. Ich gehe davon aus, dass auch Papst Franziskus ein Wort dazu sagen wird.

Frage: Sind weitere Initiativen seitens des Vatikan zum Reformationsgedenken vorgesehen?

Koch: Der Gottesdienst in Schweden ist das Hauptereignis. Es ist ein sehr starkes Zeichen, dass der Papst zu einem Reformationsgedenken reist und dazu einen ökumenischen Gottesdienst mitleitet. Unser ökumenischer Partner ist der Lutherische Weltbund, und deshalb findet dieses Treffen auf internationaler Ebene statt.

Frage: Aber der Papst ist jetzt ja nochmals nach Deutschland eingeladen worden...

Koch: Er ist nach Deutschland eingeladen worden, er ist auch in die Schweiz eingeladen worden, die ein zweites Reformationsland ist. Darüber ist nicht entschieden.

Zur Person

Kardinal Kurt Koch (*1950) ist seit 2010 Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen; er ist damit in der römischen Kurie federführend für die Ökumene zuständig. Zuvor war Koch von 1995 bis 2010 Bischof von Basel und von 2007 bis 2009 Präsident der Schweizer Bischofskonferenz.
Von Johannes Schidelko