"Der Sport hat von den Kirchen gelernt"
Frage: Herr Queckenstedt, wie passt eine Fußballausstellung in ein katholisches Museum?
Queckenstedt: Prima, denn bis zur Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten 1934 war die katholische Deutsche Jugendkraft, die DJK , ein wichtiger Dachverband, der sogar einen eigenen Ligabetrieb auf allen Leistungsebenen, deutsche Meisterschaften und Länderspiele organisierte.
Frage: Dass Borussia Dortmund kirchliche Wurzeln hat, ist vielleicht noch manchem bekannt. Ihre Ausstellung zeigt aber noch weit mehr Verbindungen auf.
Queckenstedt: In England waren kirchliche Vereinsgründungen nichts Ungewöhnliches. Ein Blick auf diese Tradition gleicht einem "Who is Who" des britischen Spitzenfußballs: Manchester City, FC Liverpool, FC Everton, Aston Villa, Tottenham Hotspurs, Bolton Wanderers, Queens Park Rangers - um nur einige zu nennen.
Frage: Was verbirgt sich hinter dem Untertitel der Ausstellung "Als Fußball noch vielfältig war"?
Queckenstedt: Bis in die frühen 1930er Jahre hatte der DFB keinesfalls das Monopol auf den Fußball. Konkurrenten waren neben der DJK vor allem die Arbeitersportler, aber auch das evangelische Eichenkreuz und jüdische Verbände. Sport war damals religiös oder weltanschaulich geprägt, konnte so aber mit Blick auf die gesamte Gesellschaft natürlich nicht integrierend wirken.
Frage: Nach Einschätzung des Sporthistorikers Nils Havemann, der innerhalb der Ausstellung einen Vortrag gehalten hat, läuft König Fußball der Kirche langsam aber stetig den Rang ab. Was bietet die Ersatzreligion Fußball ihren Jüngern, was die Kirchen (heute) nicht haben?
Queckenstedt: Emotion, Leidenschaft bis zur Hingabe, Spontaneität, Gemeinschaftsgefühl, wertgeschätzte Kreativität, Lebensbezug, Unvorhersehbares - manchmal auch Ekstase. Wo sie in den Pfarreien Raum finden, gibt es auch ein lebendiges Gemeindeleben.
Frage: Können die Kirchen etwas von der "Performance" der Bundesliga lernen?
Queckenstedt: Zwischen Gottesdienst und Stadiongeschehen gibt es viele rituelle Parallelen. Da hat zunächst der Sport eher von den Kirchen gelernt: Die vielen aktuellen Anleihen an die Welt des Glaubens belegen dies jedes Wochenende. Allerdings entwickeln sich Rituale im Stadion dynamisch: so etwa die Gesänge und Choreographien. Erstarrte Rituale werden von den Menschen dagegen oft nicht verstanden. Über Jahrhunderte waren die Kirchen Meister hervorragender eingängiger Inszenierungen. Heute braucht unsere frohe Botschaft mit ihren Erzählungen von Siegen und Niederlagen vielleicht dringender denn je eine gute Inszenierung: sinnlich, emotional, leidenschaftlich und nicht zuletzt fröhlich.
Frage: Im August bietet Ihre Sonderausstellung einen Themenschwerpunkt über Juden im deutschen Fußball. Worum geht es dabei?
Queckenstedt: Juden haben als Funktionäre und Spieler den Fußball mitgeprägt: Das Fachblatt "Kicker" ist eine jüdische Gründung, der FC Bayern München hatte viele Jahre ebenso wie Werder Bremen einen jüdischen Präsidenten, und von der Nationalmannschaft bis in die unteren Ligen gehörten jüdische Kicker zu den Leistungsträgern. Aus diesem Grund erweitern wir unsere Sonderausstellung um die Wanderausstellung "Kicker, Kämpfer und Legenden" der Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum und thematisieren so den jüdischen Anteil am deutschen Fußball.
Frage: Was erwartet die Besucher noch an besonderen Programmpunkten?
Queckenstedt: Deutschlands Sportauktionator Nr. 1, Wolfgang Fuhr, wird über seine Arbeit berichten und vor allem für die Besucher des Vortragsabends auch deren Fußballpreziosen wie etwa historische Trikots schätzen. Und gemeinsam mit weiteren Podiumsteilnehmern werden der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius und Hannover 96-Präsident Martin Kind das Thema Fußball und Gewalt diskutieren.
Frage: Was ist Ihnen als Fußballfan, Historiker, Katholik und Kurator am Ausstellungsthema besonders wichtig?
Queckenstedt: "Kicker, Kult __amp__ Co." hat für mich zwei wichtige allgemeingültige Aspekte: Zwischen 1900 und 1920 war Fußball in der Kirche sehr umstritten. Mit der DJK-Gründung öffneten die Bischöfe die Kirche 1920 für den Sport. Auch heute steht die Kirche immer wieder vor der Grundsatzfrage, Zeitströmungen produktiv aufzugreifen oder auszugrenzen. Und zudem zeigen die unterschiedlichen Strategien von Vereinen, Funktionären und Spielern auf die Repressalien und Verbote durch die Nationalsozialisten eine große Bandbreite zwischen kreativem und selbst gestaltetem Überlebenswillen, Anpassung und Resignation. Dieser Ausschnitt der DJK-Geschichte ist ein Lehrstück über Wege und Möglichkeiten im diktatorischen Unrechtsstaat, aber auch über Furcht und Mut.
Das Interview führte Sabine Kleyboldt (KNA)