Gegen den "Vernichtungskampf"
Hitler tobte, sein Propagandaminister Goebbels sprach von einer Kampfansage des Papstes. Heute aber kritisieren Historiker, dass die kirchliche Verurteilung der Nazi-Verbrechen schärfer hätte ausfallen müssen: Am Palmsonntag 1937 verlasen Pfarrer in ganz Deutschland die Papst-Enzyklika "Mit brennender Sorge". In dem von Pius XI. (1922-1939) am 14. März unterzeichneten Lehrschreiben hörten die Deutschen erstmals eine klare kirchliche Absage an das Nazi-Regime.
Die Stoßrichtung des päpstlichen Lehrschreibens, das in großen Teilen vom Münchner Kardinal Michael von Faulhaber entworfen wurde, war eindeutig: der wachsenden Verfolgung und Behinderung der Kirche in Deutschland entgegenzutreten. So verbot das NS-Regime kirchliche Jugendorganisationen, beschuldigte Priester in Schauprozessen und drängte die Kirche aus dem öffentlichen Leben.
"Mit brennender Sorge und steigendem Befremden beobachten Wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Kirche, die wachsende Bedrängnis der ihr in Gesinnung und Tat treu bleibenden Bekenner", formulierte der bereits schwer kranke 79-jährige Papst zu Beginn seines auf Deutsch verfassten Rundschreibens. In Deutschland sei ein "Vernichtungskampf" gegen die katholische Kirche im Gang. Klare Worte.
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Das Verhältnis der Kirche zum Nationalsozialismus war uneinheitlich und zahlreichen Schwankungen unterworfen. Die Diktatur des Hitler-Regimes bedeutete auch für die Kirche eine Zeit schwerer Konflikte.Zuvor war es der Kirche in einer beachtlichen Geheimaktion gelungen, das Dokument nach Deutschland zu bringen, hunderttausendfach zu kopieren und landesweit zu verteilen. Die Gestapo war überrascht und erfuhr erst in letzter Minute von der Enzyklika; für einen Polizeieinsatz war es da schon zu spät. Stattdessen begann nach der Verlesung von den Kanzeln eine neue Welle von Prozessen gegen Priester. Zahlreiche an der Vervielfältigung beteiligte Druckereien wurden geschlossen.
Mit Verboten von Berufsverbänden, Einschränkungen für Schulen und Orden waren die Nazis gegen die Kirche in die Offensive gegangen. Und im deutschen Episkopat gab es keine einhellige Meinung, wie man reagieren solle. Viele Kirchenführer fürchteten, dass alle 1933 im Reichskonkordat zugesicherten Garantien für die Kirche fallen könnten.
Auch Pius XI. verfolgte zunächst einen Besänftigungskurs. "Mit brennender Sorge" wurde dann aber deutlich: Der Papst warnte, die Nationalsozialisten betrieben mit Begriffen wie Volk, Rasse oder Staat einen "Götzenkult". Ebenso verurteilte er die Irrlehre von einem "nationalen Gott" oder einer "nationalen Religion". Diese Aussagen erregten im In- und Ausland Aufsehen.
Dabei hatte der Papst mit der Enzyklika einen Balance-Akt auf mehreren Ebenen zu meistern: So vertrat der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Adolf Bertram, eine vorsichtige Politik nicht-öffentlicher Eingaben an Hitler - Kardinal Faulhaber oder auch Bischof Clemens August Graf von Galen sprachen sich dagegen für öffentliche Proteste aus. Und Balance halten wollte Pius auch zur zweiten totalitären Macht: Stalins Russland. Bereits am 19. März veröffentlichte er deshalb die Enzyklika "Divini Redemptoris", in der die Kirche den Marxismus mindestens genauso scharf verurteilte.
Der bis heute größte Einwand aber bleibt: Papst und Kirche hätten sich zu sehr auf die kircheninterne Sicht beschränkt und sich nicht entschieden genug gegen die Verbrechen der Nazis gewandt. Zwar bekundete Pius XI. in seiner Enzyklika den Priestern und Ordensleuten - "für manche bis in die Kerkerzelle und das Konzentrationslager hinein" - seinen Dank und Anerkennung. Das System der Konzentrationslager selbst aber wurde nicht angeprangert. Auch auf die verfolgten Juden oder politische Opfer der Nazis ging "Mit brennender Sorge" nicht ein, obwohl offenbar schon weit gediehene entsprechende Entwürfe vorlagen.
Historiker versuchen bis heute, die Ursachen dieses blinden Flecks von "Mit brennender Sorge" zu ergründen. Kritiker sprechen von einem Versagen. Dabei dürften vielleicht die vatikanischen Akten über das Pontifikat des 1939 verstorbenen Pius XI. weitere Klarheit bringen - sie sind seit Kurzem für die historische Forschung zugänglich.