"Größere Aufgabe als die Wiedervereinigung"
So, wie die Flüchtlingskrise in Europa und Deutschland Politik und Gesellschaft seit Wochen bestimmt, steht auch das diesjährige Bischofstreffen im Zeichen dieses Themas. Die Bischofskonferenz (DBK) hatte das Programm der Tagung dafür noch kurzfristig abgeändert. Zur Eröffnung wählte der DBK-Vorsitzende, Kardinal Reinhard Marx, heute einen eindrücklichen Vergleich: Die Bewältigung der Flüchtlingskrise habe eine größere Dimension als die Herstellung der deutschen Einheit, sagte er vor Journalisten.
Seid ehrlich zu den Bürgern!
Der Erzbischof von München und Freising appellierte an die Politik, den Bürgern ehrlich zu sagen, vor welchen Herausforderungen das Land steht. Denn weder die politischen Umstände im Nahen und Mittleren Osten noch die extrem ungleichen Lebensverhältnisse zwischen armen und reichen Ländern seien schnell zu überwinden.
Das politische Handeln in Europa müsse zuallererst darauf gerichtet sein, das Leben der Flüchtlinge zu retten, so Marx. "Jeder, der sich der europäischen Grenze nähert, muss sicher sein, dass er keine Angst um Leib und Leben haben muss". Zugleich müsse jeder Flüchtling Anspruch auf ein faires rechtliches Verfahren und eine menschenwürdige Behandlung haben.
Zuvor hatte sich der Kardinal im rbb-inforadio gegen eine Verschärfung des Asylrechts gewandt. Man könne zwar über sichere Herkunftsländer und Ähnliches nachdenken. Der Umgang mit Flüchtlingen dürfe aber auf keinen Fall "unter das Niveau fallen, was wir in Deutschland unter Asylrecht verstehen". In Bezug auf ein mögliches neues Zuwanderungsgesetz ermahnte Marx die Politiker, nicht vorschnell zu handeln, sondern im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wie üblich die Expertise der Kirchen und anderer Experten einfließen zu lassen.
Zugleich verwies Marx auf die große und wichtige Herausforderung für die Politik, in den Herkunftsländern der Flüchtlinge "politisch zu investieren und Frieden zu schaffen, wo es möglich ist - sonst wird man das Problem nie lösen können". Auch die Mitglieder der Europäischen Union müssten untereinander eine stärkere Solidarität zeigen. "Europa steht am Scheideweg", mahnte er.
Kirche engagiert sich in "großartiger Weise"
Zur Rolle der Kirche sagte der Erzbischof von München und Freising, sie engagiere sich schon lange in der Flüchtlingshilfe - etwa über die Beratungsdienste der Caritas. Diözesen, Gemeinden und Ordensgemeinschaften seien aber zu verstärkter Hilfe auch bei der langfristigen Integration bereit. Dabei gebe es eine gute Zusammenarbeit mit den evangelischen Kirchen und dem Staat. Die katholische Kirche werde weiterhin sehr gründlich prüfen, was sie an Räumen zur Verfügung stellen könne, um Flüchtlinge unterzubringen, versprach Marx. Die Bischöfe hätten nochmals alle Gemeinden dazu aufgefordert, obwohl es vor Ort schon sehr viel konkrete Hilfe "in großartiger Weise" gebe.
Marx würdigte in diesem Zusammenhang noch einmal die Enzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus. Sie mache darauf aufmerksam, dass Fluchtbewegungen auch mit Klimaveränderungen und Fragen des Lebensstils zusammenhingen. Die Kirche müsse sich deshalb die Frage stellen, welches Fortschrittsmodell weltweit nachhaltig gelebt werden könne.
Bischofssynode und Dialogprozess
Doch die Bischöfe beschäftigen sich bei ihrer Tagung nicht ausschließlich mit der Flüchtlingskrise. Auch große kirchliche Themen werden besprochen, etwa die am 4. Oktober bevorstehende Weltbischofssynode zu Familienfragen im Vatikan. Dazu sagte Marx, die Synode habe schon vor ihrem Beginn zu einer weltweiten theologischen und ethischen Debatte über Familie, Ehe und Sexualität geführt. Er sei froh, dass sich die Wissenschaft dieses Themas angenommen habe. Damit sei der Wunsch des Papstes, einen Dialog ohne Denkverbote zu führen, erfüllt worden.
Auch der gerade zu Ende gegangene fünfjährige Dialogprozess in der deutschen katholischen Kirche steht auf der Agenda der Bischöfe. Für Reinhard Marx war das Gesprächsforum ein Erfolg. Er habe nichts von Weinerlichkeit und rückwärts gewandter Mutlosigkeit bemerkt, sagte er am Montag in Fulda. Damit widersprach er indirekt dem Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer, der sich nach dem Abschlusstreffen Anfang September in Würzburg unzufrieden gezeigt und gesagt hatte, das Schlussdokument vermittele den Eindruck, die Kirche sei ein Debattierclub und erschöpfe sich in Sitzungen.
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Die deutschen Bischöfe treffen sich noch bis einschließlich Donnerstag zu ihrer traditionellen Herbstvollversammlung. Den heutigen Montag und morgigen Dienstag tauschen sie sich mit Experten, kommunalen Vertretern und ehrenamtlichen Helfern über die Flüchtlingskrise aus. In den weiteren Tagen steht auch das von Papst Franziskus ausgerufene Heilige Jahr auf der Tagesordnung. Abschluss und festlicher Höhepunkt der Vollversammlung wird dann am Donnerstagnachmittag eine Festakademie zum 50-jährigen Jubiläum des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) sein. Gemeinsam mit geladenen Gästen wollen die Bischöfe auf das Konzil zurückblicken und dessen bleibende Bedeutung für Gegenwart und Zukunft der Kirche würdigen. (gho/KNA)
21.09.2015, 20.00 Uhr: Dokumentation der Pressekonferenz ergänzt.