Jesus war kein "lieblicher Sprücheklopfer"
Flüchtlinge
Marx zeigte sich mit Blick auf die aktuellen Flüchtlingsströme erschüttert. Dass es 25 Jahre nach dem Niedergang des Kommunismus sowohl in Europa als auch an dessen Grenzen eine so prekäre Situation geben könne, habe er sich trotz unterschiedlichster Prognosen nicht vorstellen können. "Die Welt ist viel unsicherer geworden, als sie jemals in den letzten 25 Jahren war", so der Kardinal. Wie diese Krise in der Ukraine, in Syrien oder den afrikanischen Staaten kurzfristig entschärft werden könne, wisse er jedoch selbst nicht.
Zu den Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland sagte der Erzbischof von München und Freising: "Niemand kann sich auf den christlichen Glauben berufen, wenn er einen anderen Menschen angreift oder herabsetzt." Denn jeder Mensch sei Bild Gottes. Dabei sei es egal, wo er herkomme, welche Religion, welche Hautfarbe oder welches Geschlecht er habe. Deshalb seien Menschen, die Ausländerhass und rechte Parolen verkündeten, inakzeptabel, so Marx weiter. Und er fordert: "Dagegen müssen wir gemeinsam aufstehen." Worte alleine würden jedoch nicht genügen, da sich die gut vernetzten Radikalen weder durch den Erzbischof von München noch durch Kanzlerin Angela Merkel oder Bundespräsident Joachim Gauck belehren ließen. "Deshalb muss man die rechtsstaatlichen Mittel anwenden."
Für Marx ist klar: Wer nach Deutschland kommt, muss menschenwürdig behandelt werden und ein faires Rechtsverfahren erhalten. Dabei lobte er ausdrücklich das Engagement der Ehrenamtlichen in den Pfarreien, die Ordensgemeinschaften oder den Einsatz der Verbände wie Caritas und Diakonie für Flüchtlinge. "Dadurch wird ein Zeichen gesetzt, dass jeder Mensch angenommen ist." Dennoch werde die Situation immer bedrängender.
Der Europäischen Union warf Marx, der auch Vorsitzender der EU-Bischofskommission COMECE ist, einen mangelnden politischen Willen vor, zu einer gemeinsamen Strategie beim Umgang mit Flüchtlingen zu finden. In der Finanzkrise habe man schnell eine Lösung gefunden. "Aber hier kommen wir nicht zusammen." Dabei müsse man Europa als "Schicksalsgemeinschaft" sehen – beim Euro wie bei der Flüchtlingsfrage.
Homosexualität
Niemand könne einfach ein Zitat aus der Bibel herausgreifen und sie zum jetzigen Programm der Kirche machen, sagte Marx mit Blick auf die Debatte um den Schweizer Bischof Vitus Huonder. Der hatte während eines Vortrags beim Kongress "Freude am Glauben" Ende Juli in Fulda eine Stelle aus dem Alten Testament zum Umgang mit Homosexuellen zitiert. In der wird die Homosexualität als "Gräuel" bezeichnet und die Todesstrafe für den Geschlechtsverkehr unter Männern gefordert (Lev 20,13). Wenn die Medienberichte über den Vortrag des Churer Oberhirten stimmten, so der Kardinal, sei das eine "fundamentalistische Bibelexegese". Mit dieser Herangehensweise müssten auch andere Regelungen aus der Bibel wieder eingeführt werden – zum Beispiel die Steinigung.
Gleichzeitig räumte Marx ein, dass "die homosexuelle Lebensform in der Bibel keinen Raum hat". Dennoch sei die Diskussion "auf dem Stand der heutigen theologischen Wissenschaft und dem Zweiten Vatikanischen Konzil" zu führen. Die Frage laute, wie man Menschen mit homosexueller Veranlagung, die sie nicht selbst gewählt hätten, aus Sicht der Kirche beurteilen könne. Auch sie seien treu, füreinander da oder sozial engagiert. Diese Menschen allein auf ihre sexuelle Orientierung zu reduzieren, lehnt der Kardinal deshalb ab. Ob das Thema Homosexualität auf der Bischofssynode im Herbst allerdings eine große Rolle spielen sollte, stellt er infrage. Immerhin gehe es um das Thema Ehe und Familie.
„Niemand kann sich auf den christlichen Glauben berufen, wenn er einen anderen Menschen angreift oder herabsetzt.“
Ehe und Familie
An den Grundsätzen der Glaubenslehre zu Ehe und Familie will Marx bei der Familiensynode nicht rütteln, da die Gläubigen diesen im Kern auch zustimmen würden. Dazu zähle, dass die Ehe zwischen Mann und Frau geschlossen wird und dass sie auf eine lebenslange Verbindung sowie auf die Zeugung von Kindern ausgerichtet ist. Ein anderer Punkt sei, wenn das einmal nicht funktioniere. "Deshalb müssen wir auf der Synode eine Antwort darauf finden, wie wir mit Menschen umgehen, bei denen dieses Lebensideal einen Knacks bekommen hat." Es gehe bei der Synode aber nicht darum, die anderen "wie ein Löwe niederzuringen", um die eigene Position durchzubringen, sondern darum, einen Konsens zu finden.
Die Lösung kann für Marx nur eine seelsorgliche Begleitung wiederverheirateter Geschiedener im Einzelfall sein. Gegen eine generelle Neuregelung spreche die lange Tradition der katholischen Kirche – unter anderem mit wichtigen Dokumenten von Johannes Paul II. –, über die man nicht einfach hinweggehen könne. "Und wir haben die starken Worte Jesu von der Unauflöslichkeit der Ehe", erklärt der Kardinal. Zu keinem anderen Thema habe Jesus so häufig gesprochen wie zum Thema Ehe. Im Gegensatz zur jüdischen Tradition habe er die Lehre sogar noch verschärft. Man könne Jesus daher nicht einfach zum "lieblichen Sprücheklopfer" machen.
Marx warnte deshalb vor zu hohen Erwartungen an die Synode. Bei der Zusammenkunft seien Vertreter aus aller Welt anwesend, die unterschiedliche Sichtweisen und Familienbilder mitbrächten. Außerdem habe eine Synode lediglich eine beratende Funktion, entscheiden könne nur der Papst. Klar sei aber auch: "Der Weg ist nicht zu Ende mit dieser Synode."
Islam
Als Herausforderung für die Zukunft in einer multikulturellen Gesellschaft sieht Marx den interreligiösen Dialog. Man müsse den Wahrheitsanspruch jeder Religion akzeptieren, ohne dem anderen die eigene Wahrheit mit Gewalt aufzwängen zu wollen. Vom Islam fordert der Kardinal deshalb eine deutlichere Distanzierung vom religiösen Extremismus. "Die Theologen, die Staatsführer, die Schiiten und Sunniten, der Iran und Saudi Arabien müssen sich zusammensetzen und sagen: Der IS hat nichts mit uns zu tun!" Mit Blick auf die eigene Geschichte dürfe aber auch die Kirche nicht aufhören, selbstkritisch auf sich zu schauen, damit das Christentum nicht politisch missbraucht werde.