Von der Beugehaft zum Gottesdienst
Wenn die ganz Welt gebannt auf einen Schornstein starrt, dann ist es wieder soweit: Ein neuer Papst wird gewählt. Im Konklave findet die wahrscheinlich einzige wirklich geheime Wahl auf der Welt statt, die diesen Namen verdient hat, stellt der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf in seinem neuen spannenden Buch: "Konklave. Die Geheimnisse der Papstwahl" fest:
Rund 120 Kardinäle finden sich zusammen, ohne Radio, Fernsehen, PC, Laptop oder Tablet, ganz zu schweigen von einem Smartphone, völlig abgeschieden von der Außenwelt, um einen aus ihrem Kreis zum nächsten Papst zu wählen, zum Stellvertreter Christi auf Erden, dem Oberhaupt von mehr als einer Milliarde Katholiken weltweit.
Die Kommunikation nach außen über die Wahlgänge erfolgt über Rauchzeichen, auch im 21. Jahrhundert. Schwarzer Rauch steigt auf, wenn die Kardinäle sich noch nicht mit Zweidrittelmehrheit auf einen Kandidaten festgelegt haben; weißer Rauch, wenn es einen neuen Papst gibt, der die Wahl angenommen hat. Das Konklave entzieht sich der Transparenz zu einer Zeit, wo selbst jedes noch so große oder kleine Geheimnis seinen Weg über das Internet in die Öffentlichkeit findet.
Jedes Mal wieder übt es eine ungebrochene Faszination auf die Menschen aus, übrigens auch auf Historiker und Romanautoren. Denn innerhalb kürzester Zeit haben sowohl der englische Bestseller-Autor Robert Harris einen Roman zum Konklave und der Bestseller-Historiker Wolf ein Sachbuch zur Papstwahl veröffentlicht, jedes für sich ein Gewinn.
"Ich verkünde Euch eine große Freude..."
Die Papstwahl sei ein festgefügter Ablauf symbolischer Handlungen, konstatiert Wolf und macht darauf aufmerksam, dass sie mehr mit Weihnachten zu tun hätten als man vielleicht annehmen könnte. Nicht nur macht sich in beiden Fällen die gespannte Erwartung auf die kommende Bescherung breit. Sogar die Wortwahl, mit der die Ankunft des neuen Papstes auf der Mittelloggia bekannt gegeben wird, gleicht den Formulierungen im Weihnachtsevangelium. "Ich verkünde Euch eine große Freude...", so kündigt der zuständige Kardinal jeweils die Präsentation des neuen Papstes vom Balkon des Petersdoms an. Schließlich sollten die Rituale der Papstwahl die Verheißung erneuern, die mit der Geburt Christi verbunden sind, stellt Wolf fest.
Ist die Papstwahl ein einziger Gottesdienst, wie es Papst Johannes Paul II. im Jahr 1996 mit seiner Wahlordnung beabsichtigte oder doch ein Hauen und Stechen zumeist älterer Herren um einen ganz besonderen Posten? Nicht ohne Grund bezeichnet Wolf die frühen Konklave als Beugehaft, um völlig zerstrittene Kardinäle zur Einsicht zu bringen. Als 1268 Papst Clemens IV. starb, benötigten die Kardinäle 1.005 Tage, um sich auf einen Nachfolger zu einigen.
Wenn es das auch später nicht mehr war, hat sich doch dieser elementare Teil der Papstwahl bewährt. Voller Bewunderung beschrieb der protestantische Papsthistoriker Horst Fuhrmann die Papstwahlordnung als ein Werk der historischen Vernunft. Wolf sieht da noch Raum für Verbesserungen, die dem 21. Jahrhundert angemessen wären.
In einem Schlusskapitel wirft er einen (fiktiven) Blick in die Zukunft. Am 12. April 2059, also auf den Tag genau 1.000 Jahre, nachdem Nikolaus II. das Recht, den Papst zu wählen, den Kardinälen übertrug, unterzeichnet Papst Hadrian VII. ein neues Papstwahldekret. Zwar behält Hadrian VII. das Konklave und den Wahlort der Sixtinischen Kapelle bei, aber er erweitert den Kreis der Papstwähler. Neben 120 Kardinälen sollen zukünftig 120 Laien aus aller Welt ihre Stimme abgeben dürfen.
Ob so die Zukunft aussieht? Die Papstwahlordnung hat sich - wie Wolf überzeugend darlegt - immer wieder verändert und den Bedürfnissen der Zeit angepasst.