Zeichen der Umkehr
Das erste Heilige Jahr für Rom ordnete Papst Bonifatius VIII. durch die Bulle "Antiquorum habet fida relatio" bereits im Jahr 1300 an. Wie Franziskus heute ging es auch dem Pontifex im Mittelalter darum, einen barmherzigen statt einen strafenden oder gar gewalttätigen Gott zu vermitteln. Konnten Sündenstrafen bis dahin lediglich durch die Teilnahme an einem Kreuzzug oder eine beschwerliche Pilgerreise – etwa nach Santiago de Compostela – getilgt werden, ging das nun auch mit einem Besuch im Petersdom durch Demut und Umkehr. Gleichzeitig verschaffte das Heilige Jahr der Stadt Rom und dem Vatikan eine größere kirchenpolitische Bedeutung.
"Es ist ein Wunder, das die Menschen erleben..."
Die Heilige Pforte, ein spezieller Eingang einer Kathedralkirche, der nur zu Heiligen Jahren geöffnet wird, spielt dagegen erst rund 100 Jahre später eine größere Rolle. Ein Zeitzeuge aus dem Jahr 1400 berichtet begeistert: "Wer dreimal durch diese Pforte schreitet, dem werden die Schuld und Sündenstrafen nachgelassen. Es ist ein Wunder, das die Menschen erleben..." Das Betreten der Papstbasilika durch diesen Eingang symbolisierte fortan den Zugang zu Christus, der selbst gesagt hat: "Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein- und ausgehen und Weide finden" (Joh 10,9). So wird aus Schuld Gnade und aus Gottesferne Gottesnähe.
Papst Alexander VI. führte schließlich zur Weihnachtszeit 1499 den Brauch ein, die Heilige Pforte des Petersdoms mit drei Hammerschlägen zu öffnen – und damit symbolische auch neue Wege zum Heil. Im Laufe der Zeit erhielten dann auch die drei anderen römischen Basiliken – Sankt Johannes im Lateran, Sankt Paul vor den Mauern und Santa Maria Maggiore – "Santa Porta". Während der Papst zum Beginn des Heiligen Jahres das Tor von St. Peter öffnet, geschieht das Gleiche bei den anderen drei Hauptkirchen durch Päpstliche Legaten.
In allen vier Basiliken ist es im Heiligen Jahr möglich, den sogenannten Jubiläumsablass zu erhalten. Er befreit in vollem Umfang von allen "zeitlichen Sündenstrafen", die hinsichtlich der Schuld schon getilgt sind und die die Gläubigen für "lässliche Sünden" auf sich geladen haben. Die unterscheiden sich von den schweren Sünden – auch Todsünden genannt – dadurch, dass sie keine "schwerwiegende Materie zum Gegenstand" haben, also nicht gegen die zehn Gebote und das Sittengesetz verstoßen. Wer eine Vorschrift "ohne volle Kenntnis oder volle Zustimmung übertritt", der begeht ebenfalls nur eine lässliche Sünde.
Auch die kleinen Sünden bedürfen der Läuterung
Doch jede Sünde, selbst eine geringfügige, zieht "eine schädliche Bindung an die Geschöpfe nach sich, was der Läuterung bedarf, sei es hier auf Erden, sei es nach dem Tod", heißt es im Katechismus der Katholischen Kirche (KKK 1472). Gemeint ist damit das Fegefeuer, der "Reinigungsort", den es zu durchlaufen gilt, bevor das ewige Leben auf die Gläubigen wartet. Der Katechismus rät dazu, die Sündenstrafen zwar als Gnade anzunehmen und das Leiden wenn nötig zu ertragen, andererseits aber durch Werke der Barmherzigkeit und der Nächstenliebe sowie durch Gebet und verschiedene Bußübungen im Hier und Jetzt dagegen anzugehen (KKK 1473).
Den Ablass erlangen die Gläubigen deshalb nicht allein dadurch, dass sie die Heilige Pforte durchschreiten, sondern "unter genau bestimmten Bedingungen und durch die Hilfe der Kirche" (KKK 1471). Im Heiligen Jahr bedeutet das, das Bußsakrament und die Eucharistie würdig zu empfangen, eine der vier Basiliken in Rom zu besuchen und dort besondere Gebete oder Tätigkeiten nach Anweisung des Papstes zu vollziehen. Wenn nicht alle Bedingungen erfüllt werden, erhält der Gläubige zumindest einen Teilablass, also den begrenzten Erlass seiner zeitlichen Sündenstrafen. Die Kirche tritt dabei Kraft der ihr von Jesus Christus gewährten Binde- und Lösegewalt für den Gläubigen ein. Sie will ihn damit aber nicht nur zu Hilfe kommen, "sondern ihn auch zu Werken der Frömmigkeit, der Buße und der Nächstenliebe anregen" (KKK 1478).
Ablässe sind bei "ewiger Strafe" wirkungslos
Der Ablass ist also auch ein Zeichen der Umkehr. Er befreit allerdings nur von der Strafe und vergibt nicht die Sünden selbst. Das tut die Absolution, die sakramentale Lossprechung durch den Priester während der Beichte. Wirkungslos ist der Ablass auch bei einer "ewigen Strafe", die der Gläubige durch das Begehen einer Todsünde auf sich zieht. Sie beraubt ihn der Gemeinschaft mit Gott und macht ihn dadurch "zum ewigen Leben unfähig" – ein Synonym für die Hölle. Von dieser schweren Sünde können aber drei Sakramente befreien: die Taufe, die Beichte und die Krankensalbung. Die lässlichen Sünden bleiben davon allerdings unberührt (KKK 1473). Deshalb ist ein Besuch der Papstbasiliken im Heiligen Jahr in keinem Fall Zeit- und auch keine Geldverschwendung mehr. Denn seit dem Trienter Konzil (1545-1563) ist der Handel mit Ablässen verboten.