Bonn ‐ Lange Zeit lag das Thema Piusbrüder auf Eis – jedenfalls auf oberster Ebene im Vatikan. Nun ist wieder Bewegung in die Gespräche mit der traditionalistischen Priesterbruderschaft gekommen: Der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, traf am Dienstag im Vatikan mit dem Generaloberen Bernard Fellay zusammen. Beide Seiten veröffentlichten Pressemitteilungen zu der zweistündigen Unterredung, die jedoch nicht dasselbe aussagten.
Es war die erste Begegnung zwischen dem seit Mitte 2012 amtierenden Glaubenspräfekten und dem Generaloberen Fellay. Müller und die Traditionalisten kennen sich schon aus seiner als Bischof von Regensburg: Damals hatte er es mit unerlaubten Pius-Priesterweihen auf seinem Bistumsgebiet zu tun hatte und machte aus seiner Abneigung wenig Hehl.
2011 hatte der Vatikan nach zwei Jahren gemeinsamer theologischer Verhandlungen der Leitung der Piusbrüder eine "Lehrmäßige Erklärung" über grundlegende katholische Glaubenslehren zur Unterzeichnung vorgelegt, damit das seit 1988 dauernde Schisma beendet werden könne. Eine aus vatikanischer Sicht unzureichende Antwort später berief die Bruderschaft für Mitte Juli 2012 ein Generalkapitel ein. Im Anschluss daran kritisierte Fellay den neuen Präfekten und warf Müller indirekt vor, Irrlehren zu verbreiten.
Die Piusbrüder bekräftigten damals ihre Kritik am Zweiten Vatikanischen Konzil und zeigten sich nicht bereit zu einer Rückkehr in die römisch-katholische Kirche. Unter diesen Vorzeichen blieb dem Vatikan nichts anderes übrig, als ein letztes Ultimatum für die Unterschrift zu setzen. Das Datum 22. Februar 2013 fiel jedoch in die Sedisvakanz und verstrich ohne Konsequenzen.
Gespräche mit "Ecclesia Dei"
Seitdem hörte man im Pontifikat von Franziskus nicht mehr viel über die Wiederannäherungsversuche. Was aber nicht bedeute, dass nichts passiere, sagt der Leiter des deutschsprachigen Radio Vatikan, Pater Bernd Hagenkord. Der Papst habe im Sommer 2013 wieder Kurienerzbischof Guido Pozzo zum Sekretär der Kommission "Ecclesia Dei" ernannt. In dieser Funktion habe dieser bereits 2009 bis 2012 mit den Piusbrüdern verhandelt. Bei einem Abendessen von Mitgliedern der Kommission mit Fellay im vatikanischen Gästehaus sei dieser sogar mit Franziskus zusammengetroffen, "aber eher zufällig", so Hagenkord.
In der Kirche gebe es aber stets den Wunsch nach Einheit und Kardinal Müller zeige mit diesem ersten Gespräch, dass auch er den Piusbrüdern die offene Hand entgegenstrecke. "Aber an einem führt kein Weg vorbei: Die 'Lehrmäßige Erklärung' muss unterschrieben werden", erklärt Hagenkord die Position der Glaubenskongregation. Und auch der Papst hatte wiederholt klargestellt, dass es kein Zurück hinter das Konzil geben dürfe.
Über das Treffen am Dienstag selbst verloren sowohl der Vatikan als auch die Bruderschaft nur wenige Worte. Der längste Teil der Erklärungen bezieht sich auf die Nennung der Gesprächsteilnehmer: Aus dem Vatikan nahmen die "Nummer zwei und drei" der Glaubenskongregation teil, die Kurienerzbischöfe Luis Francisco Ladaria Ferrer und Joseph Augustine Di Noia, sowie Pozzo aus der Kommission "Ecclesia Dei". Für die Piusbruderschaft nahm Fellay seine zwei Generalassistenten mit.
Der vatikanische Pressesaal beschrieb das Klima als "herzlich". Besprochen worden seien "einige lehrmäßige und kirchenrechtliche Probleme". Müller und Fellay hätten vereinbart, "etappenweise und in vernünftigen Zeiträumen auf eine Überwindung der Schwierigkeiten hinzuarbeiten und auf das erhoffte Erreichen der vollständigen Versöhnung".
"Auseinanderweichende Punkte klären"
Die später am Dienstagabend veröffentlichte Erklärung der Piusbrüder enthält einige zusätzliche Informationen, vor allem aber nennt sie ein anderes Ziel. Von einer Aussöhnung ist nichts zu lesen. Die erste Begegnung Müllers mit Fellay habe darauf gezielt, gemeinsam Bilanz über die Beziehungen seit der Abdankung von Papst Benedikt XVI. und dem Weggang von Kardinal William Joseph Levada, dem vorhergehenden Präfekten der Glaubenskongregation, zu ziehen.
Neben lehrmäßigen und kanonischen Schwierigkeiten habe man auch über die aktuelle Situation der Kirche gesprochen. Die Erklärung schließt mit dem Satz: "Es wurde beschlossen, den gemeinsamen Austausch aufrecht zu erhalten, um bestehende auseinanderweichende Punkte zu klären." Was genau sich die Piusbrüder von den nun folgenden Gesprächen erhoffen und ob sie das Ziel einer "vollständigen Versöhnung" unter den Vorgaben des Vatikan teilen, bleibt vorerst unklar. Deren Pressestelle antwortete am Mittwoch auf mehrere Anfragen nicht.
Hintergrund. Der Vatikan und die Piusbrüder
1962-1965: Das Zweite Vatikanische Konzil beschließt eine Modernisierung der katholischen Kirche. Eine konservative Minderheit lehnt die Reformen ab; sie kritisiert unter anderem die ökumenische Öffnung, die Erklärung zur Religionsfreiheit sowie Neuerungen in der Liturgie. 1969: Der Konzilsteilnehmer Erzbischof Marcel Lefebvre gründet in Fribourg/Schweiz die zunächst kirchlich anerkannte "Confraternitas Pius X". Die Lefebvrianer werfen der römisch-katholischen Kirche vor, mit dem Konzil und der in den folgenden Jahren in Kraft gesetzten Liturgiereform die Tradition der Kirche zerstört zu haben. 1975: Rom entzieht der Piusbruderschaft die kirchenrechtliche Legitimation. Im Jahr darauf enthebt Paul VI. Lefebvre seiner bischöflichen Rechte. Der suspendierte Erzbischof weiht weiter Priester. 1984: Papst Johannes Paul II. gestattet unter bestimmten Bedingungen die "tridentinische" Messe und kommt damit den Lefebvrianern entgegen. 1988: Kardinal Joseph Ratzinger, Präfekt der Glaubenskongregation, handelt einen Kompromiss mit Lefebvre aus, den der Erzbischof kurz vor der Unterzeichnung wieder verwirft. Am 30. Juni weiht Lefebvre gegen päpstliches Verbot vier Priester zu Bischöfen. Dadurch ziehen sich die Beteiligten die Exkommunikation zu, die der Papst förmlich feststellt. Die Lefebvrianer betrachten die Exkommunikation als gegenstandslos und sehen sich weiter als Mitglieder der Kirche. Der Papst gründet die Kommission "Ecclesia Dei" für den Dialog mit den Traditionalisten. Einige traditionalistische Gruppen werden wieder in die katholische Kirche integriert. 1991: Tod Lefebvres (25. März). Sein Nachfolger als Generaloberer der Priesterbruderschaft wird der von ihm geweihte Schweizer Bischof Bernard Fellay. Er nimmt Gespräche mit "Ecclesia Dei" auf. Juli 2007: Benedikt XVI. erlaubt im Schreiben "Summorum pontificum", dass überall Messen nach dem Ritus von 1962 gefeiert werden dürfen. Dieser heißt nun "außerordentliche Form des römischen Ritus". 15. Dezember 2008: Fellay bittet im Namen der vier Bischöfe um die Rücknahme der Exkommunikation. Er sichert die Anerkennung des päpstlichen Primats und die Annahme der Lehren des Papstes zu. 21. Januar 2009: Per Dekret hebt die Bischofskongregation die Exkommunikation der vier Bischöfe Bernard Fellay, Alfonso de Gallareta, Bernard Tissier de Mallerais und Richard Williamson auf. Drei Tage später teilt der Vatikan die Rücknahme der Exkommunikation förmlich mit. Fast zeitgleich wird ein schwedisches TV-Interview bekannt, in dem
Williamson
die Existenz von Gaskammern leugnet. Trotz Aufforderung aus Rom zieht er seine Aussagen nicht zurück. 10. März 2009: Benedikt XVI. schreibt an alle Bischöfe der Weltkirche. Darin räumt er handwerkliche Fehler der Kurie in der Williamson-Affäre ein; zugleich bekräftigt er seine Absicht, die Piusbruderschaft wieder in die katholische Kirche eingliedern zu wollen. 8. Juli 2009: Benedikt XVI. bindet die Kommission "Ecclesia Dei" eng an die Glaubenskongregation und lädt die Piusbruderschaft zu regelmäßigen Gesprächen über Lehrfragen nach Rom ein. 26. Oktober 2009: In Rom beginnen die theologischen Gespräche. Für den Heiligen Stuhl nehmen Vertreter der Glaubenskongregation sowie der Kommission "Ecclesia Dei" teil. Etwa zehn weitere Treffen folgen. 14. September 2011: Der Vatikan legt der Leitung der Piusbruderschaft eine "Lehrmäßige Erklärung" über grundlegende katholische Glaubenslehren zur Unterzeichnung vor. Falls die Bruderschaft zustimme, könnten Gespräche zu rechtlichen und strukturellen Fragen einer Integration aufgenommen werden. 16. März 2012: Rom weist die Antwort der Piusbrüder als unzureichend zurück und räumt ihnen eine letzte Frist von einem Monat ein. Das Angebotene reiche "nicht aus, um die lehrmäßigen Probleme zu überwinden". Mai/Juni 2012: Glaubenskongregation und Papst prüfen die überarbeitete Antwort der Piusbruderschaft vom April. Mitte Juni übergibt der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal William Levada, Fellay eine Antwort des Vatikan, die dieser später in einem internen Schreiben als "eindeutig inakzeptabel" qualifiziert. 29. Juni 2012: Der Generalobere erklärt, die Verhandlungen seien "an einem toten Punkt". Er beruft für Mitte Juli ein Generalkapitel in Econe ein. 19. Juli 2012: Die Leitung der Bruderschaft zeigt sich nicht zu einer Rückkehr in die römisch-katholische Kirche bereit. Zugleich bekräftigen die Piusbrüder ihre Kritik am Konzil. 4. Oktober 2012: Erzbischof Müller erklärt, er sehe keine Grundlage für neue Verhandlungen. Den Piusbrüdern liege eine Erklärung vor, die sie zu akzeptieren hätten. 13. März 2013: Auf Papst Benedikt XVI. (2005-2013) folgt Papst Franziskus. Unmittelbar nach der Wahl erklärte der Distriktobere der Piusbrüder in Südamerika, Christian Bouchacourt, er sehe im neuen Papst Franziskus einen "idealistischen Armutsapostel der 70er Jahre". Der vormalige Erzbischof von Buenos Aires pflege eine "militante Demut, die sich aber als demütigend für die Kirche erweisen könnte". 3. August 2013: Franziskus ernennt Kurienerzbischof Guido Pozzo erneut zum Sekretär der Kommission "Ecclesia Dei". Er war bereits zwischen 2009 und 2012 Sekretär des Gremiums. 23. September 2014: Kardinal Müller trifft Fellay zu einem Gespräch im Vatikan. (luk/KNA)