Ulrich Ruh über die Familiensynode im Herbst

Nicht entscheiden, nur beraten

Veröffentlicht am 09.09.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Bischöfe und Kardinäle bei der Eröffnung der Bischofssynode 2012 in Rom.
Bild: © KNA
Familiensynode

Bonn ‐ Die Denkschrift des belgischen Bischofs Johan Bonny im Vorfeld der Familiensynode hat für Aufregung gesorgt - in aller Offenheit kritisiert der Oberhirte darin mehrere Lehrschreiben der Kirche und die Synodenstruktur selbst. Übersetzt hat die Schrift Ulrich Ruh, Chefredakteur der Herder Korrespondenz. Im Interview mit katholisch.de erzählt er, warum die Entscheidung, den Text ins Deutsche zu übersetzen, richtig war und was er selbst von der Synode erwartet.

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Frage: Herr Ruh, über die Denkschrift des belgischen Bischofs Johan Bonny wurde in Kirchenkreisen intensiv diskutiert . Worum geht es in dem Dokument eigentlich?

Ruh: Es geht direkt um die Bischofssynode im Herbst und indirekt um die Kollegialität der Bischöfe und wie die unter Papst Franziskus neu belebt werden kann. Damit sind dann aber auch einige andere Probleme verbunden. Zum Beispiel der Aspekt der Gewissensentscheidung in der Moraltheologie oder das Verhältnis von Pastoral und Lehre. Dort wagt sich Bischof Bonny weit vor, indem er nicht nur pastorale Lösungen, sondern auch eine Überprüfung der kirchlichen Lehre in Fragen zu Ehe und Familie fordert.

Frage: Das Dokument wurde im Auftrag des Bischofs in mehrere Sprachen – unter anderem von Ihnen selbst ins Deutsche - übersetzt. Um reformunwillige Bischöfe unter Druck zu setzen?

Ruh: Ohne die Übersetzung eines niederländischen Dokuments bringt man sich natürlich um jegliche Wirkungen. Als belgischer Bischof musste er es für seine Landsleute auf Französisch übersetzen lassen. Auf Englisch, weil das die Sprache ist, in der die meisten Menschen miteinander kommunizieren – mittlerweile auch in der Kirche. Und natürlich auch auf Italienisch, weil man das an der Kurie hauptsächlich spricht. Der Bischof signalisiert mit den Übersetzungen aber indirekt auch, dass er einen Beitrag für die Gesamtkirche leisten möchte.

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Ulrich Ruh ist ehemaliger Chefredakteur der Herder Korrespondenz.

Frage: Es geht in dem Dokument auch um "wiederverheiratete Geschiedene" und um die kirchliche Sexualmoral . Ist das tatsächlich ein Thema für die Gesamtkirche oder nur für Europa?

Ruh: Bloß weil ein Thema in einem Teil der Weltkirche stärker im Vordergrund steht als in anderen, ist es deswegen nicht obsolet. Als Westeuropäer haben wir nicht dieselben Probleme wie andere Teile Europas oder sogar andere Kontinente. Das gibt Bischof Bonny unumwunden zu und geht in seinem Memorandum durchaus auf mögliche Kritik aus anderen Teilen der Weltkirche ein. Er sagt aber auch, dass unsere Probleme, die sich ja als Probleme mit der kirchlichen Lehre als solcher darstellen, nicht unerheblich sind und zwangsläufig die Kirche insgesamt betreffen.

Frage: In den Medien liest man jetzt vom "Kampf um Rom" oder von den "Bischöfen gegen den Papst". Was halten Sie davon?

Ruh: Bischof Bonny macht kritische Ansagen zur Enzyklika "Humanae Vitae" (1968) und der Entwicklung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil . Ich vertrete schon lange die These, dass nur Bewegung in die Kirche kommen kann, wenn der Papst nicht allein entscheidet, sondern ihm Bischöfe aus allen Teilen der Weltkirche beispringen. Leider gab es in der Vergangenheit eine klare Tendenz der Entmündigung von Bischofssynoden.

Frage: Wie sahen die aus?

Ruh: Papst Paul VI. hatte sich mit "Humanae Vitae", wenn auch schweren Herzens, dazu durchgerungen, so zu entscheiden, wie er entschieden hat. Auch wenn das Bischofskollegium einige Inhalte der Enzyklika vorsichtig in Frage gestellt hat. Als es dann auf der Synode 1980 – hier ging es schon einmal um Ehe und Familie – letzte Versuche von Bischöfen gab, dagegenzuhalten, wurden die von der Kurie und Papst Johannes Paul II. abgebügelt. Wir brauchen in der Kirche, um der Lebendigkeit und der Klarheit des Zeugnisses willen, eine Umkehr dieses Trends. Bischof Bonny will diese Umkehr und hat dafür auch wichtige theologische Aspekte auf seiner Seite, die in den vergangenen Jahrzehnten vernachlässigt worden sind.

„Es gäbe eine Chance auf eine Kirche, die nicht mit einem Schlag umgekrempelt, aber bei einigen für die Menschen wichtigen Positionen ehrlicher würde.“

—  Zitat: Ulrich Ruh

Frage: Sie haben "Humanae Vitae" bereits angesprochen. Am Ende hat der Papst entschieden. Welche Kompetenzen hat das Bischofskollegium bei einer nun bevorstehenden Synode?

Ruh: Nach ihrem Statut hat sie keine Kompetenzen. Sie kann nicht entscheiden, sondern nur beraten. Tagesordnung, Thema und Verlauf einer Synode kann der Papst im Alleingang bestimmen. Das ist ein Geburtsfehler der Synoden. In den Anfangszeiten gab es jedoch Bischöfe, die den – kirchenrechtlich sehr begrenzten – Rahmen offensiver ausgenutzt haben, um sich den Problemen in ihren Bistümern und der Kirche zu stellen.

Frage: Muss sich also am rechtlichen Rahmen der Synoden etwas ändern?

Ruh: Natürlich. Es braucht eine Aufwertung der Bischofssynode als Instrumentarium und Institution. Dazu muss man den Gedanken des Konzils ernstnehmen, dass der Papst die Kirche zusammen mit dem Bischofskollegium leitet. Der Papst sollte Entscheidungen nicht im Alleingang, sondern im Konsens oder zumindest im Gespräch mit den Bischöfen treffen.

Frage: Franziskus möchte einerseits die Bischöfe stärken, hat andererseits aber Paul VI. und seine Enzyklika ausdrücklich gelobt. Was bedeutet das für die Bischofssynode im Oktober?

Ruh: Es ist nicht wegzudiskutieren, dass Paul VI. der eigentliche Papst des Konzils war, dann aber vor bestimmten Entwicklungen Angst bekommen hat. Dass dieser Papst damals gegen alle von ihm selbst beauftragten Kommissionen und auf Druck einer Minderheit entschieden hat, war ein Zurückfallen hinter das Prinzip der bischöflichen Kollegialität, wie es im Konzil sichtbar wurde. Das hängt der Kirche noch immer an. Und da muss angesetzt werden.

Frage: Was erwarten Sie von der Synode im Herbst?

Ruh: Die Synode wird ja in zwei Stufen ablaufen. Das erste Treffen soll dabei nur der Diskussion und dem Meinungsaustausch dienen. Es wird also nicht über bestimmte Positionen abgestimmt. Beschlüsse werden wohl erst im Herbst 2015 gefasst.

Frage: Eine richtungsweisende Diskussion wird es aber in diesem Oktober schon geben…

Ruh: Und dabei kommt es darauf an, wer die besseren Argumente hat und wer sie aus der Tradition der Kirche und ihren Quellen heraus besser begründet. Dieser Streit um die Tradition muss ja geführt werden, weil sich die Kirche ihre Botschaft nur so aneignen kann. Man kann aber nicht voraussagen, wie kontrovers die Synode insgesamt werden wird. Denn eine offene Diskussionskultur gibt es in der Kirche im wünschenswerten Umfang schon längst nicht mehr. Sie muss von den Bischöfen erst neu erarbeitet werden.

Frage: Wie wird sich Franziskus in diesem Zusammenhang positionieren?

Ruh: Wie sich der Papst verhält, kann ich nicht einschätzen. Durch die Ernennung von Lorenzo Baldisseri, dem Generalsekretär der Bischofssynode, zum Kardinal hat er die Synode jedenfalls aufgewertet. Genauso wie durch das Verfahren im Vorfeld, bei dem ein Fragebogen an die Ortskirchen verschickt wurde. So etwas gab es vorher noch nie. Er hat also den klaren Willen gezeigt, die Synode zu Wort kommen zu lassen.

Frage: Wenn ihre eigenen Wünsche bei der Synode gehört und umgesetzt würden, was würde sich dann 2015 in der Kirche verändern?

Ruh: Es gäbe eine Chance auf eine Kirche, die nicht mit einem Schlag umgekrempelt, aber bei einigen für die Menschen wichtigen Positionen ehrlicher würde. Ehrlichkeit meint den Austausch von Argumenten und die Frage: "Was ist eigentlich die Tradition der Kirche und was gehört nicht verbindlich dazu?" Das kann der Kirche nur nützen, auch wenn es für manchen so aussieht, als würde die Kirche bloß streiten und die wichtigen Herausforderungen übersehen.

Frage: Wie sähe das in der Praxis aus?

Ruh: Man würde von dieser lehramtlichen Verengung, wie sie zum Beispiel bei der Enzyklika "Humanae Vitae" der Fall ist, herunterkommen. Betrachtet man ihr Zustandekommen und die große kirchliche Tradition, dann ist diese Verengung nicht zu rechtfertigen.

Das Interview führte Björn Odendahl

Zur Person

Ulrich Ruh ist promovierter Theologe und Chefredakteur der Herder Korrespondenz.