Zwei Schritte vor, einer zurück
Frage: Kardinal Marx, was ist der Ertrag der Synode nach zwei Wochen intensiver Beratungen?
Marx: Es ist über vieles gesprochen wurde, was vorher auf weltkirchlicher Ebene nicht so offen diskutiert wurde. Das Ergebnis ist ein Auftrag für die nächste Zeit. Nach der Synode ist also vor der Synode. Der Papst will, dass die Ortskirchen sich mit den Themen beschäftigen. Und wir in Deutschland können sagen, das, was wir eingebracht haben, hat nicht nur uns beschäftigt.
Frage: Von Reformern und Konservativen war die Rede. Wer hat sich durchgesetzt?
Marx: Es gibt kein Durchsetzen bei der Synode. Es gab verschiedene Richtungen. Es gab den Zwischenbericht, der veröffentlicht wurde und den andere heftig kritisiert haben. Aber das ist nicht erstaunlich. Wie kann man bei dieser Vielfalt von Kulturen bei einem Thema wie Ehe, Familie und Sexualität eine gemeinsame Sprache finden? Von den soziokulturellen Unterschieden her ist das fast unmöglich. Auf der anderen Seite konnte man aber auch sehen, dass wir viele gemeinsame Probleme haben, etwa in der Veränderung der Lebensverhältnisse, in den Spannungen in der Familie, beim Thema Ehescheidung, beim Zusammenleben ohne Trauschein. Das sind nicht nur westliche Probleme, die Herausforderung durch eine freie, säkulare Welt betrifft mittlerweile alle.
Frage: Bei früheren Synoden wurde stets die Brüderlichkeit beschworen. Diesmal gab es starke Spannungen. Hatten sie manchmal Angst, das könnte kippen?
Marx: Angst ist das falsche Wort. Aber ich habe nach dem Zwischenbericht doch gedacht: Das hätte ich so nicht erwartet! Dann kamen aber wieder andere Positionen. Mir war wichtig, dass keine Türen verschlossen werden, und das ist nicht erfolgt, auch wenn es sehr kontrovers zuging, wie ja die Abstimmungsergebnisse zeigen. Und natürlich wurde versucht, die eigene Position gut ins Gespräch zu bringen.
Frage: War die Synode ein Prüfstein für das Pontifikat? Hat Franziskus' Methode sich bewährt, um zu neuen Ergebnissen zu kommen?
Marx: Dazu müssen wir die Ergebnisse abwarten. Der Papst hat einen Prozess angestoßen - und dieser Prozess ist noch im Gange. Franziskus möchte nicht einfach dominieren und Direktiven erlassen, er möchte, dass die Kirche weltweit und in ihrer gesamten Bandbreite miteinander im Gespräch ist - das hat der Papst in seiner Abschlussansprache ja deutlich gesagt. Natürlich ist das anstrengend und mühevoll und lässt sich nicht in einem einfachen Durchmarsch erledigen. Der Papst mutet der Kirche damit einen durchaus schwierigen Prozess zu, dessen Ergebnis noch nicht absehbar ist. Er nimmt uns alle in die Verantwortung. Ich hoffe sehr - und werde mit dafür sorgen und arbeiten in der römischen Kardinalskommission wie in der Deutschen Bischofskonferenz -, dass das zum Ziel führt.
Frage: Sie haben für die Synode den Begriff der "Echternacher Springprozession" benutzt. Bleibt nach dem Auf und Ab der zwei Wochen zum Schluss ein Schritt vorwärts?
Marx: Ja, natürlich. Die Synode hat klare Fortschritte gebracht. Der Zwischenbericht nach der Generaldebatte enthielt eine Zuspitzung, nach der Korrekturen und Gegenbewegungen zu erwarten waren. Er brachte frischen Wind - und löste heftige Diskussionen aus. Insofern waren das tatsächlich zwei Schritte vor und einer zurück. Anschließend ging es darum, die Synodenteilnehmer wieder alle unter einem Dach zu sammeln. Dazu waren Kompromisse nötig. Aber wenn ich überlege, wo sich unsere Diskussion vor einem oder eineinhalb Jahren befand, hätte ich nicht gedacht, dass wir auf Ebene der Weltkirche jetzt eine solche Debatte führen konnten - auch wenn wir in unseren Positionen noch keine Einmütigkeit erreicht haben oder natürlich nicht alle meiner Meinung sind.
Frage: Die Deutschen sind auf Ebene der Weltkirche nur eine Minderheit, haben bei dieser Synode aber offenbar manches bewegt. Wo haben sie eigentlich Verbündete, in Südamerika, oder in Asien? Aus Afrika kam jetzt manche Kritik.
Marx: So würde ich das auch nicht pauschalisieren. Die Positionen und auch die Gemeinsamkeiten verliefen quer durch die Kontinente. Ich habe Bischöfe aus allen Erdteilen gehört, die unseren Überlegungen viel abgewinnen konnten. Ich stand nicht alleine, im Gegenteil! Das hat mich viel hoffnungsvoller gemacht, erst recht nach der alle ermutigenden Ansprache des Heiligen Vaters zum Schluss.
Frage: Sie wollten Türen offen halten, auch bei den Aussagen zur Homosexualität?
Marx: Es geht um die Grundfrage: Wie gehen wir mit Lebensverhältnissen um, die nicht im Sinne dessen sind, was wir von der kirchlichen Lehre her eigentlich wollen, die aber - je nach Situation - auch Werte haben können oder in deren Beziehungen etwas gelebt wird vom Evangelium. Wie kann ich das in Begriffe bringen, ohne relativistisch zu sein, ohne die unauflösliche Ehe abzuschaffen oder die Lehre der Kirche zur Homosexualität aufzugeben? Wir müssen die Lebensverhältnisse von Menschen anschauen und in ihnen das entdecken, was vom Evangelium her möglich ist, und dann weiter auf das je Mögliche und Bessere hin begleiten.
Frage: Welche Rolle spielt der Begriff der Sünde? Wo hat er angesichts von Gradualität noch seinen Platz?
Marx: Sünde hat immer zwei Seiten. Die eine ist die Beziehung zu Gott und die Treue zum Wort Jesu, die andere ist die zwischenmenschliche Ebene. Niemand kann sagen: Ich möchte als Christ leben, aber Sünde definiere ich selber, mich interessieren die Worte Jesu nicht. Aber das ist immer auf die Person und ihre Lebensverhältnisse bezogen. Und daher kann man zwar objektiv sagen, was Sünde ist, aber in der persönlichen Situation muss man das seelsorglich genau anschauen. Das können manche nicht verstehen, sie mutmaßen da sofort Relativismus. Das Maß der Schuld kann ich aber immer nur anschauen im Blick auf den Einzelnen und seine Lebenssituation, gerade bei Ehe, Familie und Sexualität.
Frage: Wie geht es jetzt weiter? Was sind die nächsten Schritte zur zweiten Synode im kommenden Jahr?
Marx: Der Papst hat seiner Abschlussansprache deutlich gemacht, dass die Relatio, das Schlussdokument der Synodenberatungen, die Vorbereitung für die nächste Synode ist. Er sprach ja von einem Jahr bis zur kommenden Synode, um die hier in Rom diskutierten Ideen «in einer wirklichen geistlichen Unterscheidung reifen zu lassen» und Lösungen für alle Schwierigkeiten zu finden. Ich nehme es als Auftrag an, dass unsere Bischofskonferenz und die einzelnen Diözesen die in dem Bericht aufgeführten Themen aufgreifen - und zwar im Sinne einer Vertiefung und Konkretisierung. Der vorliegende Text ist kein Endpunkt, sondern ein Doppelpunkt. Er kann nicht die Lehre der Kirche zu Ehe, Familie und Sexualität samt der dazugehörenden pastoralen Praxis abschließend darstellen. Wir müssen uns also nochmals an die Arbeit begeben. Nach der Synode ist vor der Synode!