Vor 125 Jahren wurde die Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst gegründet

Bischof Hofmann: Darum braucht die Kirche zeitgenössische Kunst

Veröffentlicht am 19.10.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/Würzburg ‐ Das Verhältnis von Kirche und zeitgenössischer Kunst war und ist kein einfaches. Trotzdem plädiert der ehemalige Bischof von Würzburg und Kunstkenner Friedhelm Hofmann für einen offenen Umgang mit aktuellen Kunstwerken. Warum das für die Kirche sogar Pflicht ist, sagt der Bischof im katholisch.de-Interview.

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Vor knapp 100 Jahren zeigte die Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst (DG) erstmals Werke der Avantgarde in ihrer Galerie in München – eine kleine Revolution. Denn das Verhältnis von moderner Kunst und Kirche war seit dem 19. Jahrhundert angespannt. "Die Kirche braucht die Kunst", sagte Papst Johannes Paul II. zwar bei seinem ersten Deutschlandbesuch 1980. Doch tut sich die Kirche bis heute oft schwer mit den Werken der Gegenwart. Die DG, die am Freitag ihr 125-jähriges Bestehen feiert, will gerade deshalb den Austausch zwischen Künstlern und Theologen fördern. Für Friedhelm Hofmann, den ehemaligen Bischof von Würzburg und studierten Kunsthistoriker, hat zeitgenössische Kunst im Kirchenraum einen berechtigten Platz. Ein Interview.

Frage: Bischof Hofmann, bei all den kostbaren Kunstwerken aus der Vergangenheit, kann die Kirche da noch Mäzenin für Neues sein?

Hofmann: Das ist eindeutig mit Ja zu beantworten. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind in Deutschland so viele neue Kirchen gebaut worden, wie in allen Jahrhunderten vorher nicht. Der Mariendom in Neviges zum Beispiel, den Gottfried Böhm gebaut hat, ist eine herausragende Architektur. Gerade der Kirchenbau hat in der Architektur Maßstäbe gesetzt, die nachher in säkularen Bauten aufgegriffen wurden. Auch in den Kirchen selbst sind moderne Kunstwerke von Weltrang entstanden. Man denke nur an das Gerhard-Richter-Fenster im Kölner Dom. Die Kirche ist auch heute einer der größten Kunstmäzene in Deutschland.

Frage: Das Richterfenster erntete viel Kritik, auch weil es abstrakte Kunst ist. Was kann eine Gemeinde mit abstrakter Kunst im Kirchenraum anfangen?

Hofmann: Die abstrakte Kunst hat in der Kirche genauso ihren Platz wie die konkrete Kunst. Ich weiß von Gerhard Richter, dass er wochenlang im Kölner Dom die Lichtverhältnisse studiert hat. Er hat auf die Chorfenster aus dem 14. Jahrhundert geschaut, hat dieses Licht, das den Chor füllt, genommen, gebündelt und dann in das Südfenster des Kölner Domes eingebracht. Die abstrakte Kunst vermag, genauso wie die konkrete figürliche Kunst, von Gott zu reden. Man hat schon im 14. Jahrhundert bei den Chorfenstern des Kölner Domes abstrakt gearbeitet. Schon damals galt, dass sich die Wirklichkeit Gottes nicht bildhaft fassen lässt. Da ist es für uns heute doch wahrhaftig kein Problem, abstrakte Kunst zu akzeptieren.

Friedhelm Hofmann, Alt-Bischof von Würzburg
Bild: ©KNA

Der emeritierte Bischof von Würzburg, Friedhelm Hofmann: "Auch im Mittelalter haben die Leute nicht verstanden, was an Kunst in die Kirchen eingebracht wurde."

Frage: Der Dom in Neviges ist ein Paradebeispiel des Architekturstils Brutalismus, für den sich aktuell viele Menschen begeistern. Allerdings sind das weniger die Gläubigen, sondern die säkularen Kunstfans …

Hofmann: Auch Gläubige können sich dafür begeistern. Und wenn sie es nicht tun, dann müssen wir dafür sorgen. Denn das Wirken Gottes ist durch die Kunst erfahrbar. Und das müssen wir wahrnehmen, wir müssen am Puls der Zeit mit dabei sein. Kirche muss sich um Kunstvermittlung bemühen. Der Künstler Fernand Léger zum Beispiel hat im vorigen Jahrhundert die Glasfenster der Kirche von Audincourt in Frankreich gestaltet. Léger hat die Leute in die Kirche eingeladen und mit ihnen über seine abstrakte Kunst diskutiert. Und die einfachen Leute aus dem Bauerndorf haben das akzeptiert. Auch die Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst hat diese Aufgabe. Damit die Gläubigen verstehen, dass das, was da in der Kunst geschieht, etwas mit ihnen und dem Lob Gottes zu tun hat.

Frage: Wenn die Kunst der Gegenwart dem normalen Menschen immer erst erklärt werden muss, läuft das da nicht Gefahr elitär und abgehoben zu werden?

Hofmann: Diese Kritik lasse ich nicht gelten. Auch im Mittelalter haben die Leute nicht verstanden, was an Kunst in die Kirchen eingebracht wurde. Auch die Biblia Pauperum an den Wänden musste erklärt werden. Das war immer das Prinzip. Die zeitgenössische Kunst hat es deshalb so schwer, weil fast eine Generation Abstand nötig ist, um zu begreifen, was daran Kunst ist. Das macht es den Kirchgängern heute nicht einfach. Es braucht seine Zeit. Aber ich bin fest überzeugt, dass wir unsere eigenen Leute nicht unterfordern dürfen. Wir dürfen sie jedoch auch nicht überfordern, deshalb die Erklärungen. „Man sieht nur das, was man weiß“, sagte schon Goethe. Man muss also auch darauf gestoßen werden, was da an Neuem ist und wie man sich daran herantastet.

Frage: Wie kann solch eine Kunstvermittlung konkret aussehen, zum Beispiel bei Ihnen in Würzburg?

Hofmann: Indem man die Leute zu Führungen und Gesprächen in den Dom mitnimmt und erklärt, in welchem Zusammenhang das Neue mit dem Alten steht und welche neuen Gedanken uns daraus eröffnet werden. Das Würzburger Publikum ist sicherlich ein beharrendes, ein im positiven Sinne konservatives, aber die gehen mit. Und das ist nichts, was sie überfordert. Im Gegenteil, ich bin sehr froh und dankbar, dass so viel Verständnis von den Gläubigen aufgebracht wird. Denn Kirche muss in der heutigen Zeit der dringenden Aufgabe der Neuevangelisierung auch über die Kultur nachgehen. Es geht nicht nur über soziale Aspekte. Was wir in der Kirche mit Kunst machen, widerspricht nicht dem Engagement von Papst Franziskus, sondern erweitert es. Diesen Weg müssen wir gehen, wenn wir jetzt nicht auch noch die Intellektuellen verlieren wollen, die einen anderen Zugang zu Gott suchen.

Ein großes Kirchenfenster aus bunten Glassteinen
Bild: ©dpa/Rolf Vennenbernd

Abstrakte Kunst: das Richter-Fenster im Kölner Dom.

Frage: Einen Zugang zu Gott für die Gläubigen der Gegenwart: Der berühmte US-amerikanische Künstler Bill Viola hat eine Videoinstallation mit dem Titel "Martyrs" für die St. Paul’s Cathedral in London geschaffen. Gezeigt werden moderne Visionen von Märtyrerdarstellungen. Wäre das eine Form, die Menschen von heute zu erreichen?

Hofmann: Von der Botschaft her könnte ich mir das vorstellen. Aber für mich ist das nur etwas Temporäres. Die Kunst in der Kirche sollte hingegen auf Dauer angelegt sein, wie etwa Glasfenster, Figuren und Bilder. Das, was da im Video geschieht, nutzt sich ab und wird nach einer gewissen Zeit vorbei sein. Es hat zwar auch seine Berechtigung, ersetzt die dauerhafte Kunst in der Kirche aber nicht. Als permanente Installation sehe ich so etwas kritisch. Für mich hat eine solche Kunst zwar eine gewisse Aussage für diese Zeit, aber ob das in zehn, zwanzig, hundert Jahren noch so ist, ist eine ganz andere Frage.

Frage: Der Maler Michael Triegel orientiert sich an traditionellen Maßstäben und hat für die Kirche St. Peter und Paul in Würzburg ein Gnadenbild gemalt. Sie haben es gesegnet. Gefällt es Ihnen auch?

Hofmann: Es gefällt mir und die Orientierung an traditionellen Vorbildern hat auch seine Berechtigung. Mir ging es darum, dass dieses Bild die Menschen anspricht und sie im Sinne der heiligen Schwester Faustyna zu Gott bringt. Das ist genauso gültig wie Rauch, Richter oder sonst wer. Ich habe nichts davon, wenn ich mir Gegensätze aufbaue.

Der Nevigeser Mariendom wird nachts angestrahlt.
Bild: ©Licht im Raum/Dinnebier

Brutalistischer Bau: der Mariendom von Neviges.

Frage: Das heißt, die Kirche ist ständig auf der Suche nach neuen, ganz unterschiedlichen künstlerischen Formen?

Hofmann: Wir dürfen uns als Kirche nicht aus der Gegenwart verabschieden und nur noch rückwärtsgewandt das überkommene Erbe betrachten. Wir müssen innovativ in die Zukunft gehen. Außerdem geht es nicht nur um die bildende Kunst, sondern auch um die Musik, die Poesie, die Architektur, das Theater. Wir als Kirche haben ein Interesse am Dialog mit den Künstlern und laden die Leute ein, an diesem Dialog teilzunehmen.

Frage: Der Fotograf und Videokünstler Christoph Brech oder der Maler und Bildhauer Gerhard Richter sind Künstler, die in diesen Dialog eingetreten sind. Die Kirche vergab und vergibt Aufträge an sie. Weil sie unkritische Auftragsarbeiter sind?

Hofmann: Die Künstler heute sind keine Diener der Theologie. Im Mittelalter war der Glaube in den einzelnen Künstlern so verankert, dass der Auftrag der Kirche mit ihrem eigenen Lebensgefühl übereinstimmte. Gerhard Richter und viele weitere sind selbstständige Künstler, die sich bereitfinden, innerhalb des kirchlichen Umfeldes zu arbeiten. Insofern ist es aber wichtig, dass wir uns nicht einfach ihrer Kunst bedienen, Kirche darf der Kunst keine Vorschriften machen. Die Kunst ist eine eigenständige Möglichkeit der Verkündigung, auch der Evangelisierung, weil sie auf Gott verweist.

Frage: Aber wenn ein Brech oder ein Richter nun ihre tiefen Zweifel am Glauben in ihrer Kunst ausdrücken?

Hofmann: Dann können sich die Leute mit ihren eigenen Zweifeln darin wiederfinden und sich fragen, wie sie diese Zweifel überwinden können. Was muss geschehen, damit ich Gott vertraue, damit ich wieder einen Zugang finde? Da kann so ein Kunstwerk doch wie ein Türöffner sein. Deshalb haben auch moderne, kritische Werke in der Kirche ihren Platz.

Von Cornelius Stiegemann