Eine andere Tour de France
Drei von vier Jakobspilgern starten ihren Weg zwar erst in Spanien. Doch seit der Europarat im Oktober 1987, vor 25 Jahren, zur Wiederbelebung der europäischen Jakobswege aufrief, setzt auf dem ganzen Kontinent eine wahre Renaissance dieser "europäischen Kulturbewegung" ein. Die "Via Lemovicensis" war im Mittelalter ein Hauptweg für Pilger aus Nord- und Westdeutschland und Osteuropa. Über verschiedene "Zubringer", etwa Köln, das belgische Namur, Trier, Metz und Reims, startete die Lemovicensis bei den Reliquien der heiligen Maria Magdalena im burgundischen Vezelay. Rund 2.000 Kilometer sind es von Köln bis Santiago.
Heute ist eher die kürzeste Strecke gefragt
Wallfahrer stehen im laizistischen Frankreich bisweilen noch immer im Geruch von Vagabunden. Vielerorts ist man jedoch auch schon erheblich weiter, was die Pilger-Logistik angeht. Hinter den Kulissen ringen unterdessen die "Jakobsgesellschaft" und der mächtige Wanderverein FFGR: Soll man, wo möglich, den authentischen Weg rekonstruieren - auch wenn dort heute verkehrsumtoste und für Wanderer lebensgefährliche Nationalstraßen verlaufen? Oder wählt man lieber eine schöne Strecke "im Geiste" des echten Wegs? Früher reichte der Jakobsweg vor allem von Reliquie zu Reliquie: Heute ist in der Regel eher die kürzeste Strecke gefragt - und eine, auf der Besinnung noch möglich ist.
Unterschiedliche Reisepreise in Europa
Fest steht: In Frankreich ist das Jakobspilgern um einiges teurer als in Spanien. Denn wer nicht schon mal unter freiem Himmel übernachtet, es nicht bis zum nächsten Kloster oder einer der eher raren Pilgerherbergen schafft, muss eben doch öfters auf Restaurants, Pensionen und Hotels zurückgreifen. Eine private Jakobstour über mehrere Monate will also gut vorbereitet sein. Vor allem aber sollte man als Pilger, der heutzutage nicht mehr betteln darf und dennoch nicht selten auf die Hilfe anderer angewiesen ist, kein Club-Med-Anspruchsdenken an den Tag legen.
Der "Weg der Deutschen" ist auch jener, für den Aimeric Picaud, Redakteur des berühmten Pilgerführers "Liber Sancti Jacobi" aus dem zwölften Jahrhundert, die Werbetrommel rührte. Verglichen mit anderen Routen ist der Weg hinter Bourges kunstgeschichtlich weit weniger spektakulär. Kostbare Fundstücke am Wegesrand gibt es dennoch zuhauf: kleine Pilgerkirchlein mitten im Wald, die Krypta der abgerissenen Abtei Saint-Girons in Hagetmau mit spektakulären romanischen Kapitellen oder ein paar Kilometer weiter die mittelalterliche Alte Brücke von Orthez im Bearn.
Treffen der drei französischen Hauptwege der Jakobspilger
Fast alle Wanderer, die sich bis zum Fuß der Pyrenäen durchgebissen haben, stehen irgendwann vor der sogenannten Stele von Gibraltar, tief im französischen Baskenland. Hier laufen, wie nicht nur Einheimische glauben, drei der französischen Hauptwege der Jakobspilger zusammen. Und: Hier beginnt der erste größere Anstieg vor den Pyrenäen.
Die letzten Namen auf französischer Seite haben Pilger seit jeher mit Ehrfurcht ausgesprochen: die Kapelle von Harambeltz, Ostabat und St.-Jean-Pied-de-Port. Hier, in dem 1.800-Einwohner-Städtchen beim "heiligen Johannes am Fuß des Passes", werden Stempel vergeben, Ausweise ausgestellt, dann die Rucksäcke geschultert und die Berge fest in den Blick genommen. Die "Tour de France" der europäischen Jakobspilger geht hier zu Ende, doch das Doping wirkt weiter, müden Knochen zum Trotz: Santiago, Sankt Jakob, das große Ziel. "Ultreia!", lautet der alte Pilgergruß, "immer weiter!" Mit Gelbem Trikot oder mit lila T-Shirt.
Von Alexander Brüggemann