Theologin Wacker: In Sachen Priesterweihe hinkt der Verweis auf Jesu Handeln

Keine Frauenordination? "Die Kirche konstruiert sich ihre Argumente"

Veröffentlicht am 13.08.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Jesus hat nur Männer zu Aposteln berufen. Daraus ein Nein zur Priesterweihe für Frauen abzuleiten, hält Marie-Theres Wacker für fragwürdig. Im Interview spricht die feministische Theologin außerdem über Diakoninnen in der frühen Kirche – und wie die Bibel aussähe, wäre sie von Frauen geschrieben.

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Kann man aus dem Handeln oder dem Willen Jesu ableiten, dass nur Männer zu Priestern geweiht werden dürfen? Marie-Theres Wacker ist da skeptisch. Im Gegenteil: Die emeritierte Professorin für Altes Testament und Theologische Frauenforschung sieht in der Bibel sogar einige gute Argumente für die Frauenordination.

Frage: Die Forderung nach der Priesterweihe von Frauen wird oft mit dem Argument abgewiesen, Jesus habe keine Frauen als Apostel gehabt. Wie stichhaltig ist das, Frau Wacker?

Wacker: Der Begriff Apostel ist eng mit dem Zwölfer-Kreis verbunden. Und das ist zumindest im Lukas-Evangelium auch so gewollt. Die Symbolik der Zahl 12 bezieht sich auf die zwölf Stämme Israels, die aus den Söhnen Jakobs hervorgegangen sind. Damit nahm sich Jesus eine patriarchalische Gesellschaftsordnung zum Vorbild, die davon ausging, dass nur Männer Oberhaupt von Stämmen und Familien sein können. Die Frage ist, ob wir diese patriarchalische Tradition noch heute fortsetzen müssen – ich meine, dafür gibt es keinen Grund mehr.

Frage: Was sagt die Bibel zur Priesterweihe für Frauen?

Wacker: Wenn wir beim Thema Apostel bleiben, haben wir ein paar wichtige Hinweise im Neuen Testament: Nachdem Judas ausgeschieden war, brauchte es einen Nachfolger für den Zwölferkreis. Maria Magdalena erfüllte beide Kriterien, die man dafür aufstellte: Es musste jemand sein, der Jesus von Beginn seines Wirkens an nachgefolgt war und es musste ein Zeuge der Auferstehung sein. Sie wäre also durchaus eine Kandidatin gewesen. Außerdem ist der Begriff der Apostel außerhalb der Evangelien nicht auf die Zwölf enggeführt, sondern umfasst einen weiteren Personenkreis, unter den auch Frauen fallen. Das prominenteste Beispiel ist das Apostelpaar Andronikus und Junia (Röm 16,7). Doch in Bezug auf die Priesterweihe mit dem Handeln oder dem Willen Jesu zu argumentieren hinkt insofern, als Jesus gar keine Priester geweiht hat. In den frühen Gemeinden gab es noch keine Priester. Ehrlich gesagt habe ich den Eindruck, dass es bei vielen Argumenten gegen die Priesterweihe von Frauen eigentlich gar nicht so sehr um Jesus und die Bibel geht…

Marie Theres Wacker
Bild: ©Universität Münster

Marie-Theres Wacker ist emeritierte Professorin für Altes Testament und Theologische Frauenforschung an der Universität Münster.

Frage: Inwiefern?

Wacker: Die Argumente kommen erst aufs Tapet, seit die Frauenordination ins Gespräch gekommen ist. Im November 1976 wurden in der kanadisch-anglikanischen Kirche erstmals Frauen zu Priestern geweiht; einen Monat vorher erschien das Dokument "Inter insigniores" von Paul VI. gegen die Frauenordination. 1994 weihte dann die Kirche von England die ersten Frauen; im gleichen Jahr erschien "Ordinatio sacerdotalis", mit dem Johannes Paul II. dem Frauenpriestertum eine endgültige Absage erteilen wollte. Das heißt: Die Kirche konstruiert sich ihre Argumente. Es gibt ein 'Problem' und dann wird nach Argumenten gesucht. Anhand der Bibel könnte man jedenfalls auch gut einen Argumentationsblumenstrauß für die Priesterweihe von Frauen zusammenstellen – man muss nur an den erweiterten Apostelbegriff oder an Maria Magdalena denken.

Frage: Wie war der Umgang Jesu mit Frauen?

Wacker: Die Evangelien erzählen, dass die Bewegung um Jesus eine unkonventionelle Lebensweise pflegte. Innerhalb dieser Gruppe war vielleicht ein weniger patriarchalisch geprägter Umgangsstil möglich. Es waren auch Frauen dabei, die für Jesus ihre Familien verlassen haben, etwa Johanna (Lk 8,3). Entsprechend wird von Gesprächen Jesu mit Frauen berichtet, in denen er sich auf ihre Sichtweise einlässt. Aber als jemanden, der Frauen gegenüber völlig unvoreingenommen ist, kann man ihn auch nicht beschreiben. Wie gesagt: Jesus war eben auch ein Sohn seiner Zeit. Und für die Frage der Weihe von Frauen trägt das Verhalten Jesu, so meine ich, wenig bei.

Frage: Inwiefern ist der Diakonat der Frau in der Frühkirche vergleichbar mit dem, wie er heute diskutiert wird?

Wacker: Zum Diakonat der neutestamentlichen Zeit gibt es leider nur wenige magere Zeugnisse. Im Römerbrief des Paulus wird die Diakonin Phoebe genannt (Röm 16,1-2), aber welche Aufgaben sie hatte, bleibt undeutlich. Im dritten Kapitel des 1. Timotheusbriefes (1 Tim 3,8-13) werden Anforderungen an Diakone formuliert – dass sie achtbar sein, keine falsche Rede führen sollen. Und diese Anforderungen werden dort ausdrücklich auch an Frauen gestellt. Vielleicht sind Frauen der Diakone gemeint, möglich aber auch, dass hier Frauen als Diakoninnen im Blick sind. Aus der syrischen Kirche des 3. Jahrhunderts ist außerdem eine spannende Zuordnung von Gemeindeämtern überliefert. Diakon und Diakonisse sind da direkt dem Episkopos, einer Vorstufe des Bischofs, zugeordnet. Der Episkopos, so wird gesagt, sitzt an der Stelle von Gottvater, der Diakon an der Stelle Christi und die Diakonisse an der Stelle des Heiligen Geistes. Diakon, Diakonisse und Bischof bilden also die Trinität ab, während die Presbyter, die Gemeindeältesten, den Aposteln verglichen werden. Sie stehen auf der Seite der Kirche, nicht auf der Seite Gottes. Das heißt, man kann sich die Zuordnung der Ämter auch ganz anders vorstellen. Die Analogie zum Heiligen Geist – der im Syrischen und Hebräischen übrigens weiblich ist — wäre jedenfalls auch heute ein starkes Argument für die Weihe von weiblichen Diakonen.

„Auch heute übernehmen Ordensfrauen weltweit ja schon längst Aufgaben, die auch ständige Diakone ausüben: Sie besuchen kranke Menschen, geben Katechismus-Unterricht, predigen sogar in den Gottesdiensten, wenn keine Priester da sind.“

—  Zitat: Marie-Theres Wacker

Frage: Welche Aufgaben hatten die weiblichen Diakone ganz praktisch?

Wacker: Was wir sicher wissen: Sie waren in der Alten Kirche da tätig, wo Männern der Zugang verwehrt war – zum Beispiel verkündeten sie in den Frauengemächern das Evangelium und salbten den Körper der Frau bei der Taufe. Diese Aufgaben fielen später weg. Seit dem Mittelalter aber gibt es eine andere Weihe für Frauen, die Äbtissinnenweihe. Diese Weihe erinnert in Manchem frappierend an die Bischofsweihe, einige Äbtissinnen setzten sogar Pfarrer ein und hörten die Beichte. Das zeigt, wie weit es mit geistlichen Vollmachten für Frauen in dieser Kirche gehen kann. Auch heute übernehmen Ordensfrauen weltweit ja schon längst Aufgaben, die auch ständige Diakone ausüben: Sie besuchen kranke Menschen, geben Katechismus-Unterricht, predigen sogar in den Gottesdiensten, wenn keine Priester da sind. Daran haben auch die Ordensoberinnen den Papst erinnert, als sie 2016 bei ihm zur Audienz waren, woraufhin er ja die Kommission zum Frauendiakonat eingesetzt hat.

Frage: Manche Katholiken halten noch an einem sehr traditionellen Bild der Frau als Mutter und Ehefrau fest. Gibt es theologische Argumente für ein emanzipierteres Frauenbild?

Wacker: Es gibt ein sehr einfaches Argument: Der Schöpfergott hat den Frauen doch sicher ihre Talente gegeben, damit sie sie entfalten können — und nicht, damit sie in verengten Rollenmustern verkümmern. Mein Mann und ich sind beide noch vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil geboren; wir sprechen häufiger darüber, wie sehr er als Junge in der Kirche gefördert wurde — und wie sehr ich mich als Mädchen bis zur Theologin durchboxen musste. Mutter und inzwischen Großmutter bin ich übrigens auch!

Aber man kann auch von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen her denken, wie sie in der Bibel steht. Wenn man davon ausgeht, dass Gott sich die Menschen, gleich welchen Geschlechts, als Partner geschaffen hat, die das Leben auf der Erde gestalten, dann hätte man einen neuen Ansatzpunkt. Dann bliebe die Geschlechtlichkeit ein Element des Menschseins, aber nicht das Grundlegende, Tragende. Andere Aspekte könnten stärker in den Vordergrund treten, zum Beispiel die gemeinsame Sorge um das "Lebenshaus Erde", das Gott in unsere Verantwortung gegeben hat.

Eine anglikanische Diakonin wird in einer Kirche in Rom zur Priesterin ordiniert.
Bild: ©picture-alliance / LaPresse / Mauro Scrobogna

Eine anglikanische Diakonin wird in einer Kirche in Rom zur Priesterin ordiniert. In der katholischen Kirche kamen die Argumente gegen eine Priesterweihe von Frauen erst aufs Tapet, als das Thema bei anderen Konfessionen ins Gespräch gekommen ist, sagt Marie-Theres Wacker.

Frage: Wie würde die Bibel aussehen, wäre sie von Frauen geschrieben?

Wacker: Wenn Frauen die Bibel damals, in ihrer Entstehungszeit geschrieben hätten, dann wäre es wohl darum gegangen: Wie würde die Welt möglichst geschlechtergerecht aussehen unter den gegebenen Bedingungen des Patriarchatssystems. Im Buch Rut deutet sich das an, es greift grundlegende Frauenthemen der damaligen Zeit auf. Um sich durchzusetzen, mussten Frauen mit List arbeiten – oder versuchen, die Tora, also die auf Mose zurückgeführten Weisungen, so auszulegen, dass es für Frauen gerecht ist. Im Buch Rut geht es um zwei kinderlose Witwen in Israel, eine davon noch dazu Ausländerin, also eigentlich gar keine guten Voraussetzungen. Aber es werden Wege gesucht, wie ihnen geholfen werden kann, so dass es der Tora entspricht. Wenn Frauen heute die Bibel schrieben, dann würden wahrscheinlich sehr unterschiedliche Versionen entstehen, je nachdem, aus welchem Teil der Welt sie kämen. Aber es würde auf jeden Fall auch um mehr Geschlechtergerechtigkeit gehen.

Ist die Bibel ein frauenfeindliches Buch?

Wacker: Das würde ich so allgemein auf keinen Fall sagen. Aber es gibt frauenfeindliche Passagen. Wenn das Buch Jesus Sirach in Anspielung auf die Paradiesgeschichte sagt: Durch eine Frau kam der Tod in die Welt und ihretwegen müssen wir alle sterben, dann ist das schon ziemlich daneben. Aber es finden sich auch eine ganze Menge von Erzählungen, Liedern und Sprüchen, in denen es eine erstaunliche Buntheit von Frauenwirklichkeit zu entdecken gibt. Wussten Sie zum Beispiel, dass im Alten Israel aller Wahrscheinlichkeit nach Frauen am priesterlichen Opferkult beteiligt waren, wenn auch wohl nicht am Jerusalemer Tempel? Diese Vielfalt ist auch mir persönlich ganz wichtig und ein Grund dafür, weswegen ich mich immer wieder gern mit der Bibel beschäftige.

Von Gabriele Höfling