Kohlgraf: Kardinal Lehmann hatte recht
Frage: Herr Bischof Kohlgraf, Sie sind nun ein Jahr im Amt. Haben Sie sich das Bischof-Sein so vorgestellt?
Kohlgraf: Ehrlich gesagt: Ich hatte gar keine konkreten Vorstellungen vom Bischof-Sein. Es war natürlich ein bewegtes Jahr für mich mit vielen neuen Erfahrungen. Und ich habe gemerkt: Kardinal Lehmann hatte recht, als er einmal zu mir sagte: Kein Tag als Bischof ist wie der andere, man muss immer mit Überraschungen rechnen.
Frage: Was war für Sie die prägendste Erfahrung in den vergangenen Monaten?
Kohlgraf: Es gab mehrere sehr eindrückliche Ereignisse, etwa große Gottesdienste und insbesondere die Beerdigung von Kardinal Lehmann. Abgesehen von einzelnen Ereignissen war es für mich persönlich sehr einschneidend, nun so viel öffentliche Aufmerksamkeit zu erfahren. Dass ich kaum mehr Raum für Privates habe, das empfinde ich schon sehr stark.
Frage: Sie haben in den ersten zwölf Monaten ein Marathon-Programm vorgelegt und bereits alle Teile ihres Bistums besucht, aber auch personell einige Veränderungen vorgenommen. In welchem Zustand ist Ihr Bistum jetzt?
Kohlgraf: In meinem ersten Jahr stand für mich das nähere Kennenlernen des Bistums Mainz im Mittelpunkt. Ich konnte sehen, wie viele Menschen sich in und für unsere Kirche engagieren. Jetzt besteht die Erwartung, dass wir einen Weg beginnen, der uns zukunftsfähig macht. Dazu müssen wir uns genau anschauen, welche Ressourcen vorhanden sind, aber auch, wo die Grenzen unserer Möglichkeiten liegen. Wir stehen wirklich am Beginn eines Weges.
Frage: Als Nachfolger von Kardinal Karl Lehmann sind Sie in große Fußstapfen getreten. Habe Sie das in den vergangenen Monaten gespürt?
Kohlgraf: Vor allem bei der Beerdigung von Kardinal Lehmann im März war spürbar, wie groß die Sympathie für den Kardinal war. Die große Anteilnahme, die vielen Menschen, die zum Requiem kamen und auch in den Tagen davor ihre Trauer zum Ausdruck brachten, haben mir das nochmals sehr deutlich gemacht.
Frage: Wo sehen Sie das Bistum Mainz in zehn Jahren?
Kohlgraf: Ich denke, dass sich Menschen zunehmend sehr bewusst für den Glauben entscheiden müssen, denn volkskirchliche Strukturen werden immer noch weniger tragen. Ich vertraue darauf, dass Gott die Wege mitgeht.