Könige in der Grabeskirche
Die Kirche St. Bartholomäus ist ein Friedhof. Wir sind in der Grabeskirche in Köln-Ehrenfeld, dem ersten und bisher einzigen Kolumbarium des Erzbistums Kölns. Wer den schummrigen Kirchenraum betritt, steht aber nicht sofort vor Urnengräbern, sondern am Taufbecken: Das ewige Leben beginnt nicht mit dem Tod, sondern schon mit der Taufe. Zur Zeit wachen kleine Könige über das Taufbecken, Holzskulpturen des Bonner Künstlers Ralf Knoblauch. "Würdevoll" heißt die Ausstellung, die in der Kirche zu sehen ist. Um Würde geht es auch in der Grabeskirche, im Leben wie im Tod.
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Wer am Taufbecken und der Sakramentskapelle vorbeigeht in den Kirchenraum, steht vor einem strahlend goldener Vorhang. Im Zentrum des rechteckigen Raumes hängt ein feines Metallgewebe von der Decke. Unzählige kleine Ringe aus Messingdraht schaffen hier einen Raum im Raum. Um die kleine Kapelle herum stehen Kabinette aus dunklem Metall: die Urnengräber.
Instawalk in der Grabeskirche
Gemeinsam mit katholisch.de hat das Seelsorgeteam der Grabeskirche am 16. November zu einem Instawalk eingeladen: Eine Fototour mit dem Smartphone durch St. Bartholomäus. Pastoralreferentin Doris Dung-Lachmann und Diakon Tobias Wiegelmann führte die Gruppe durch den Kirchenraum, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer machen Fotos mit ihren Smartphones und posten sie unter dem Hashtag #instagrabeskirche direkt auf der Fotoplattform Instagram.Die Grabeskirche wurde als Pfarrkirche St. Bartholomäus 1958 nach Plänen des Düsseldorfer Architekten Hans Schwippert (1899-1973) gebaut. Der schlichte Kirchenbau folgt dem Stil des Brutalismus. Das bedeutet, seine Materialität steht im Vordergrund: außen verkleidet mit rauem, rotem Backstein, innen herrscht gemaserter Schalungsbeton vor. Rauheit galt in den 60ern als authentisch und ehrlich. Beton wurde deshalb gerade für Kirchenbauten – wie bei Gottfried Böhms Mariendom in Neviges – häufig verwendet. St. Bartholomäus ist insofern bemerkenswert, dass die Kirche den brutalistischen Bau noch vor der (architektonischen) Öffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils in Auftrag gab.
An der Pfarrkirche haben alle mitgebaut
Der Kölner Stadtteil Ehrenfeld war damals noch am Stadtrand, Felder schlossen sich an. Ehrenfeld war ein einfaches Arbeiterviertel. Im Krieg war Ehrenfeld ein Zentrum des Widerstands der Edelweißpiraten, die Jugendlichen versteckten hier Juden und versorgten sie heimlich mit Lebensmitteln. Nach dem Krieg hieß eine Siedlung hier im Volksmund "Klein-Moskau", die KPD erzielte Spitzen-Wahlergebnisse. In diesem Umfeld wurde St. Bartholomäus gebaut: Zusammen mit den Gemeindemitgliedern. "Viele erzählen heute noch, wie sie oder ihre Väter beim Bau der Kirche mitgeholfen haben", erzählt Doris Dung-Lachmann, die Pastoralreferentin der Gemeinde. Alle halfen mit, Estrich zu verlegen, Beton zu gießen, die Kirche zu schmücken. Für viele Familien in der Pfarrei ist die heutige Grabeskirche Heimat.
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Ehrlich sollte die Architektur sein, den Alltag in den Fabrikhallen in den Gottesdienstraum holen. Charakteristisch für die brutalistische "Material-Ehrlichkeit" waren auch schlichte Klarglasfenster. Diese wurden jedoch 1978 durch die eindrucksvollen Buntfenster von Giselbert Hoke ersetzt. Das kräftige Rot, Grün und Dunkelblau der Fenster bestimmt seitdem maßgeblich den Raumeindruck. Gleichzeitig schlucken die intensiven Farben so viel Tageslicht, dass im Innern der Kirche überhaupt erst mit Kunstlicht, auf dem die Umgestaltung zur Grabeskirche fußt, gearbeitet werden kann.
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So sehr St. Bartholomäus eine Kirche aus der Gemeinde für die Gemeinde war: Auch vor Ehrenfeld macht der demographische Wandel in der Kirche nicht halt, in der zusammengelegten Pfarrei Zu den Heiligen Rochus, Dreikönigen und Bartholomäus gab es zu viele Kirchen, St. Bartholomäus wurde entwidmet – aber als Grabeskirche gehört sie weiterhin zum Veedel. Viele der heutigen Bewohner haben die Kirche mitaufgebaut. Diakon Wiegelmann zeigt auf eine Grabkammer auf Augenhöhe, gegenüber dem Altar: "Als die Kirche eingeweiht wurde, hat mich ein Mann zur Seite gezogen und auf diese Kammer gezeigt. ‚Das ist meine‘, hat er gesagt: Er hat sich seinen Begräbnisort schon gesichert. So dass er von dort den besten Blick auf den Altar hat. Das war ihm wichtig."
Ein Ewigkeitsraum birgt die Asche für immer
Die Form der Umnutzung einer Kirche als Grabeskirche ist noch relativ neu. Deshalb gibt es keine Standardlösungen, wohl aber die Vorgabe, den Ort der Trauerfeier vom Ort der Beisetzung zu trennen. Das Konzept des Architekturbüros Kissler und Effgen sieht deshalb eine Trennung von Kapellenraum und Friedhofsraum vor. Doch soll es keine harte, vollkommene Trennung sein. Angeordnet in kleinen Kabinetten stehen die Urnenwände um die Kapelle im Zentrum herum. Sie sind aus fast schwarzem Metall. Dadurch wird der farbliche Kontrast zum goldenen Vorhang im Zentrum nur noch verstärkt: Von der hohen Decke hängt das Metallgewebe aus Messingdraht herab und schafft einen eigenen Raum, die Kapelle. Hier befinden sich Altar, Ambo und Urnenstele. Doch je nachdem wie der Vorhang angestrahlt wird, wirkt er undurchdringlich oder er scheint transparent, fast als gäbe es ihn gar nicht. Durch den mal mehr, mal weniger durchsichtigen Vorhang ist eine Trennung von Kapelle und Friedhofsraum möglich, die keine harte Grenze ist. Die ehemalige Kirche soll auch nicht als reiner Friedhof aus dem Bewusstsein der Menschen verschwinden, deshalb feiert die Pfarrgemeinde hier einmal im Monat die Messe. Dabei wirkt es fast so, als seien die Verstorbenen eine Art Schutzwall um die Gläubigen herum – oder eine Gemeinde des ewigen Lebens, die schon jetzt mit der diesseitigen Gemeinde feiert.
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Feuerbestattung und Urnenbeisetzung sind eigentlich keine christliche Tradition; der Normalfall ist immer noch die Erdbestattung im Sarg. Lange hat sich die Kirche distanziert von der Feuerbestattung, Atheisten und andere "Freidenker" haben die Kremierung als Symbol gegen den Glauben der Kirche ans ewige Leben gesehen. Erst spät wurde die Feuerbestattung als zulässige, wenn auch nicht bevorzugte, Variante angesehen. Kolumbarien sind daher auch heute noch keine Selbstverständlichkeit. Christliche Traditionen müssen sich erst bilden. In St. Bartholomäus entsteht eine solche Tradition. Zwanzig Jahre lang ruhen die Urnen in den Grabkammern, einmal kann verlängert werden. Das ist nicht ganz das ewige Leben, das Christus seiner Kirche verheißt. Deshalb verbirgt sich unter einer mit einem Kreuz gekennzeichneten Platte im Boden ein "Ewigkeitsraum": Hier werden die Kapseln mit der Asche der Toten, deren Ruhezeit in den Grabkammern abgelaufen ist, tatsächlich für immer aufbewahrt, eine Plakette sorgt dafür, dass kein Verstorbener vergessen wird. Noch ist der Ewigkeitsraum leer: Erst im Januar 2034 wird zum ersten Mal die zwanzigjährige Frist einer Grabkammer erreicht sein.
Mitten im Leben vom Tod umfangen
Dass die ehemalige Pfarrkirche nun ein Friedhof ist, beschäftigt die Gemeinde, berichtet Doris Dung-Lachmann. Die Pastoralreferentin verantwortet einen der Gemeindeschwerpunkte, die Pastoral um das Lebensende. Der Tod wird als Teil des Lebens verstanden und so hat er auch mitten in der lebendigen Pastoral des Stadtteile seinen Platz. Dies drückt sich in der Grabeskirche aus und ebenso darin, dass in der ganzen Gemeinde Menschen, die mit dem Lebensende konfrontiert sind, sowie auch ihr Umfeld auf Wunsch seelsorglich begleitet werden. Dies geschieht unter anderem durch ein Team geschulter Ehrenamtlicher. In der Grabeskirche selbst empfangen ebenfalls Ehrenamtliche im Ich-bin- Da-Team die Besucher und stehen auch zum Gespräch zur Verfügung.
Dies alles hat auch den Blick auf den Tod in der Gemeinde verändert – die Menschen beschäftigen sich intensiv mit dem Tod und der Hoffnung aufs ewige Leben. Freundeskreise sichern sich Grabkammern, die nah beieinanderliegen. "Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen", heißt es in einem alten Choral: In der Grabeskirche wird deutlich, was diese Gewissheit bedeutet – und wie sie mit christlicher Hoffnung gelebt werden kann.
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Im Einklang mit dem rauen Beton der Wände stehen die Königsskulpturen von Ralf Knoblauch in der Grabeskirche. Die Unebenheiten, die Risse und Schrunden des Holzes laden quasi dazu ein, mit den Fingern über die Figuren zu streichen. Ein König sitzt auf seinem Block und lässt seine Füße über den Rand baumeln. Eine Königin winkt dem Betrachter zu. Mal klein, mal groß, mal mit Krone auf dem Kopf, mal hinter sich versteckt, stellt diese Vielfalt der Figuren die Vielfalt der Menschen dar. Denn Ralf Knoblauch, Diakon im sozialen Brennpunkt des Bonner Nordwestens, findet, dass jeder Mensch ein König ist, jeder von uns hat Königswürde. Deshalb heißt seine Ausstellung, die noch bis Christkönig am 25. November in St. Bartholomäus zu sehen ist, auch "Würdevoll". Was alle Figuren eint: sie haben die Augen geschlossen. Das ist Knoblauch ganz wichtig, denn wer die Augen geschlossen hat, macht sich besonders verwundbar und muss anderen Menschen vertrauen. Die Königsskulpturen scheinen vertrauen zu können: Alle Figuren lächeln. Auch im Angesicht des Todes – und der Hoffnung aufs ewige Leben.