"Bei den Alten Göttern und den Neuen"
Die Welt der Fantasy-Erfolgsserie "Game of Thrones" ist komplex: Verschiedene Fraktionen kämpfen um die Vorherrschaft auf dem Kontinent Westeros und um den Eisernen Thron der Sieben Königreiche. Politische Allianzen kommen und gehen, Loyalität und Verrat liegen nah beieinander – wer heute noch ein Freund ist, kann morgen erbitterter Feind sein. Und zu den Machtkämpfen kommt auch noch eine existentielle Bedrohung: Der Winter kommt (Jahreszeiten sind in dieser Welt unregelmäßig und kaum vorhersehbar), und mit ihm eine uralte Gefahr aus dem Norden.
Religion prägt Gesellschaften – auch in Westeros
Der Autor der Serie, George R.R. Martin, hat in den Büchern, die der Serie zugrunde liegen, seine Version einer mittelalterlichen Gesellschaft bis ins Detail gestaltet. Wichtig für ihn dabei: "Religion prägt Gesellschaften, Kulturen und Werte", wie er in einem Interview sagt. Bei anderen Fantasy-Epen, etwa J.R.R. Tolkiens "Herr der Ringe", hätte Religion – wenn sie denn überhaupt existiert – eine Nebenrolle. Und so entwirft Martin für seine Welt auch ein Pantheon alternativer Weltreligionen: Da ist der Glaube an die Sieben, die Staatsreligion der Sieben Königreiche. Ähnlich wie im Christentum eine monotheistische Religion, deren Gott in verschiedenen Personen auftritt; drei männliche, drei weibliche Aspekte, und ein mysteriöser siebter Aspekt, der "Fremde". Der Glaube an die Sieben kennt Priester und Ordensleute, hat Kirchengebäude, eine Hierarchie und – wie die christliche Kirche in ihrer Geschichte – erbitterte Kämpfe um die wahre Lehre, radikale Reformatoren und unheilige Allianzen mit dem Staat.
Der Glaube an die Sieben hat die alte Religion des Kontinents, eine Naturreligion, die Göttliches in der Natur und vor allem in Bäumen findet, zurückgedrängt, nur im Norden werden die "Alten Götter" noch verehrt. In der Volksfrömmigkeit existieren beide Religionen nebeneinander, geschworen wird "bei den Alten Göttern und den Neuen". Vom östlichen Kontinent Essos schließlich kommt eine neue Religion nach Westeros: Der Glaube an den "Herrn des Lichts", eine unerbittliche und intolerante Religion, laut Martin inspiriert vom Manichäismus und Zoroastrismus, realen Religionen, die die Welt als Kampf zwischen einer guten und einer bösen Macht deuten.
Neben den drei Hauptreligionen gibt es noch viele weitere; vom "Ertrunkenen Gott" eines Seefahrerstammes über immer noch lebendige uralte Mysterienkulte und Naturreligionen bis zum Vielgesichtigen Gott von Braavos, den eine Sekte von Attentätern verehrt.
Fiktive Werke zeigen reale Sehnsüchte, Hoffnungen und Ängste
Religion prägt also die Gesellschaft von Westeros und ihre Konflikte. Der österreichische Augustiner-Chorherr Patrick Schützenhofer ist ein Fan der Serie – und hat sich wissenschaftlich mit religiöser Kodierung der Wirklichkeit anhand von populären Filmen auseinandergesetzt. Er beschäftigt sich damit, wie Religion Alltagskulturen beeinflusst und umgekehrt. Seine These: Anhand der Darstellung von Religion in fiktionalen Werken erfährt man etwas über die Sehnsüchte, Hoffnungen und Ängste von Menschen.
„Es fällt aber auf, dass vor allem die jüngeren Hauptfiguren ihre Religion zwar erwähnen, die für ihre Handlung aber keine Rolle zu spielen scheinen.“
In der Welt von "Game of Thrones" sei die Religion zwar omnipräsent, analysiert er, überall gebe es religiöse Bauwerke, die Sprache sei von religiösen Bildern geprägt. "Es fällt aber auf, dass vor allem die jüngeren Hauptfiguren ihre Religion zwar erwähnen, die für ihre Handlung aber keine Rolle zu spielen scheinen." Deutlich wird das etwa an den Geschwistern Stark: Ihr Vater Ned Stark war durch und durch von seinem Glauben und Gerechtigkeitssinn motiviert. Seine älteste Tochter Sansa fügt sich in die Konventionen der Religion, lässt sich aber immer mehr von Palastintrigen und Machtkämpfen leiten; die jüngste Tochter Arya lernt zwar bei einer Sekte das Töten, hat aber weniger an der Spiritualität des "Vielgesichtigen Gottes" als an ihrer persönlichen Rache ein Interesse; die Brüder Robb und Rickon interessieren sich wenig für Religion, einzig für Bran Stark ist die Mythologie der Alten Götter bedeutend. Für Daenerys Targaryen, letzte Überlebende eines früheren Herrschergeschlechts, ist Religion nur Mittel zum Zweck, wieder zu herrschen – je nachdem, wo sie sich aufhält, von wem sie Unterstützung erwartet, nimmt sie an Ritualen und Traditionen ganz unterschiedlicher religiöser Prägung teil.
Die "Neuen Götter" wirken keine Wunder
Auffallend sei auch, dass die vorherrschende Religion der Sieben zwar gesellschaftlich prägend, in ihren Wirkungen aber extrem schwach sei. Wunder wirken die Priester des "Herrn des Lichts", über die Sieben berichten dagegen abgebrühte, desillusionierte Charaktere, dass sie deren Wirken noch nie verspürt hätten.
Der Autor George R.R. Martin sah in Fantasy-Vorbildern wie dem "Herrn der Ringe" Welten ohne Religion, von denen er sich mit seiner komplexen Gesellschaftsbeschreibung unterscheiden wollte. Für Schützenhofer stellt sich das etwas anders dar: Der Unterschied liege in der Darstellung religiöser Institutionen. Die spielen bei Tolkiens "Herrn der Ringe" in der Tat keine Rolle – sehr wohl aber Religion an sich: "Der Herr der Ringe basiert ja auf einem einzigen großen Mythos, es ist eine religiöse Erzählung. Es ist klar, dass es Götter gibt und Engelwesen, und diese Wesen interagieren auch mit der Welt", analysiert Schützenhofer.
Bei Martin ist es umgekehrt. Ein direktes Eingreifen von Göttern in die Handlung seiner Romanwelt werde es wohl nicht geben, sagte er in einem Interview. "Es ist nicht selbstverständlich, dass es die Götter gibt", beschreibt Schützenhofer, was die Welt Martins von der Tolkiens unterscheidet, "aber es ist selbstverständlich, dass es Menschen gibt, die an die Götter glauben und mit ihnen interagieren wollen." Das sei eine interessante erzählerische Differenz zwischen dem im christlichen Umfeld der 1950er Jahre entstandenen "Herrn der Ringe" und dem unter den Bedingungen der heutigen Gegenwart geschriebenen "Game of Thrones".
Pluralität und Verlust der Gewissheiten
Typisch für eine gegenwärtige Erzählung sei aber auch, dass Pluralität und der Verlust von Gewissheiten so selbstverständlich dargestellt werden: "Wir leben in einer vielfältigen Welt, in der es viele verschiedene Zugänge gibt", deutet Schützenhofer den Reichtum des religiösen Kosmos von Westeros. Diese Welt sei aber von Unsicherheit und Bedrohungen geprägt – was real der Klimawandel mit seinen unabsehbaren Folgen ist, ist auf Westeros der Winter und die Bedrohung aus dem ewigen Eis. "Wer kann da noch helfen? Das ist eine Frage, die den modernen Menschen umtreibt: Kann mir Religion helfen? Kann mir Gott helfen?" Für den Augustiner-Chorherrn ist diese Frage auch zentral für viele der Charaktere, die das Göttliche nutzbar machen wollen – für das Allgemeinwohl wie für ihre eigenen Ziele: Die Waise Arya Stark, früher Tochter einer der wichtigsten Familien des Nordens, will Rache üben mit den Fähigkeiten, die sie im Tempel des Vielgesichtigen Gottes gelernt hat. Stannis Baratheon, Bruder des toten Königs der Sieben Königreiche, will mit Hilfe des Herrn des Lichts selbst König werden – und die Priesterin des Herrn des Lichts, die ihm dabei hilft, will ihn zum Instrument im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit machen.
Game of Thrones im Fernsehen
Die aktuelle siebte Staffel von "Game of Thrones" läuft seit 17. Juli montags um 20.15 Uhr auf Sky Atlantic HD.Der Autor Martin, der selbst aus einer katholischen Familie stammt, hält persönlich wenig von Religion: "Ich habe nie wirklich geglaubt", sagt er von sich in einem Interview: "Warum sollte man sich an Gesetze halten, die sich ein unsichtbarer Typ im Himmel ausgedacht hat?" In seinem Werk kommen die Protagonisten, die eine solche Lebenshaltung haben, dennoch nicht allzu gut weg. Der zynische Tyrion Lannister, der immer wieder seinen Skeptizismus ausdrückt, wirkt zwar cool, sein Unglaube wird aber von Anfang an durch die Bilder der Serie konterkariert: Gleich die erste Folge überhaupt macht auf mit dem Heer der Untoten aus dem ewigen Eis, die den Kontinent vom Norden her bedrängen.
Nur die "Alten Götter" werden positiv dargestellt
Der rationale Skeptiker Tyrion, dessen Einschätzung der Gefahr als Märchen und Legenden dem Weltbild des modernen Zuschauer eigentlich entsprechen würde, wird so schon zu Beginn als fehlgeleitet dargestellt – so wie der Orden der "Maester", einem Orden von Naturwissenschaftlern und Gelehrten. Auch sie, deren Aufgabe eigentlich die Bewahrung des uralten Wissens um die Gefahr aus dem Norden wäre, tun die Bedrohung als Ammenmärchen ab. "Der Orden zeigt sich einerseits als naturwissenschaftlich, aber gleichzeitig versäumt er, die Realität zu sehen", erläutert Schützenhofer: "Man hat hier ein Gespür dafür, dass Wissenschaft oft sich selbst gegenüber sehr unkritisch ist und Offensichtliches übersehen kann."
Einen durchweg positiven Blick hat "Game of Thrones" nur auf die ursprüngliche Religion des Kontinents, die der "Alten Götter": Die verbliebenen Gläubigen werden als ehrlich und gerecht dargestellt, ihre Weltdeutung kann die Gefahr der Untoten aus dem Eis erkennen und damit umgehen. Nicht die ans Christentum angelehnte Religion hat den Schlüssel zur Wirklichkeit und zur Erlösung, sondern die Naturreligion, die in Harmonie mit Pflanzen und Tieren lebt, und die im Gegensatz zu den anderen Religionen schon immer auf dem Kontinent beheimatet war.
Wie der Kampf um den Eisernen Thron der Sieben Königreiche und der Kampf gegen das untote Eisheer aus dem Norden ausgehen wird, ist noch nicht bekannt. Zwei Staffeln "Game of Thrones" stehen noch bevor, der Autor George R.R. Martin hat die letzten Romane noch nicht geschrieben.
Wie genau es ausgeht, ist für Patrick Schützenhofer auch gar nicht so wichtig, wenn er fiktionale Welten wie die von "Game of Thrones" auf ihre Aussagen zur Wirklichkeitsdeutung hin untersucht: "Wenn man sich so etwas anschaut, dann findet man weniger Antworten. Sondern man erfährt die Fragen, die sich die Menschen stellen." Und Fragen gibt es noch viele in "Game of Thrones".