Eine Brücke zu den Sternenkindern
Es war in der 26. Schwangerschaftswoche, als die kleine Lina viel zu früh ins Leben drängte. Im Krankenhaus versuchte man noch, die Geburt aufzuhalten, aber vergebens. Dennoch sie hätte durchaus die Chance auf Leben gehabt mit ihren 880 Gramm. Im Kreißsaal aber wurde plötzlich festgestellt, dass das kleine Herz nicht mehr schlägt. Die Geburt ging schnell, aber die Eltern hielten ein totes Kind im Arm.
Eine alte Dame feiert ihren 90. Geburtstag, sie schaut zurück auf ihr Leben und plötzlich treten ihr Tränen in die Augen. Als junge Frau auf der Flucht aus Schlesien, hatte sie ihr totgeborenes Kind auf dem vereisten Boden einfach liegenlassen müssen. "Nicht einmal eine Decke hatte ich um es einzuwickeln."
Tausende Kinder werden tot geboren
Der kleine Thomas erfährt, dass er bald ein Brüderchen bekommt, die Familie freut sich auf das Baby. In der 18. Schwangerschaftswoche aber raten die Ärzte zum Abbruch, der Fötus ist schwer geschädigt. "Wenn eine Schwangerschaft wahrgenommen war, dann wird ihr Ende auch betrauert", stellt Krankenhauspfarrer Franz Feineis fest. Gemeinsam mit seinen Kollegen in der Krankenhausseelsorge weiht er auf dem Hauptfriedhof in Schweinfurt das neue Gräberfeld für stillgeborene Kinder ein. Etwa 2.400 Kinder mit einem Gewicht über 500 Gramm und noch einmal 2.000 deren Gewicht darunter liegt werden jährlich in Deutschland tot geboren, es sind die sogenannten Sternenkinder.
Die Trauer der Eltern, wissen die Seelsorger, braucht einen Ort. Die Mutter der kleinen Lina konnte jeden Tag ans Grab ihres Kindes gehen: "Wenn die Kerze auf dem Grab aus war, das war für mich die Hölle", sagt sie. Andere Mütter aber irren auf dem Friedhof umher, weil sie unter der Wiese den Bestattungsplatz ihres Kindes nicht mehr orten können. Früher mussten nur Kinder über 500 Gramm Körpergewicht bestattet werden, die anderen wurden im Krankenhaus entsorgt. Seit 2006 haben die Eltern nun das Recht auch kleinere Föten bestatten zu lassen. Können die Eltern dies nicht, dann müssen die Kliniken dafür sorgen, dass diese Föten würdevoll bestattet werden.
Krankenhaus-Seelsorger bestatten die Föten würdevoll
Etwa alle zwei Monate übernehmen dies in Schweinfurt die Seelsorger der beiden Krankenhäuser. 25 bis 30 Embryonen von der 6. bis zur 22. Schwangerschaftswoche werden dann in würdigem Rahmen zu Grabe getragen. Eingeladen sind alle Eltern unabhängig von ihrer Religion. Die stille Geburt ist immer eine große Lebenserschütterung, erklärt Pfarrerin Susanne Rosa. Dennoch zitiert sie Jesaja 49,15: "Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: Ich vergesse dich nicht." Bei Gott seien wir gut aufgehoben, im Leben wie im Tod, verkündet sie.
Dennoch weiß die Pfarrerin, dass in dieser Situation Worte, auch Trostworte oft nichts nutzen. Veronika Kimmel die Mutter der kleinen Lina erinnert sich: "Das Schlimmste waren die Sprücheklopfer. "Wird schon wieder, ihr seid doch noch jung", aber das Unerträglichste war: "Wer weiß, für was es gut war."
Den Gedanken der Sprachlosigkeit angesichts des Leids greift die Generaloberin der Erlöserschwestern Monika Edinger auf. In einer Situation, wo es mehr Fragen als Antworten gebe, gelte es zu schweigen. Da-Sein, die Ohnmacht mit aushalten, eine Umarmung, ein Blick, all dies könne hilfreicher sein als jedes Wort.
"Ihr habet nicht umsonst gelebt"
Und so steckt das neue Gräberfeld für stillgeborene Kinder voller Symbole, die nicht nur für christliche Eltern Botschaften enthalten. Da ist im Zentrum die Brücke, gebaut von Auszubildenden des Wasserwirtschaftsamtes und komplett gespendet. Eine Brücke vom Diesseits in Jenseits, Zeichen der Verbundenheit, erklärt einer der jungen Leute. Für sie selbst sei der Bau der Brücke auch zur Auseinandersetzung mit Tod und Sterben geworden. Der Gedenkstein mit den schalenartig geöffneten Händen, die die Welt halten, symbolisiert Geborgenheit. Die Vogeltränke erinnert an das Wasser des Lebens. Ein Weg aus Grabplatten kann, darf, muss gegangen werden, wie der Weg der Trauer. Und immer wieder Blumeninseln, als Zeichen dafür dass auch im Tod das Leben blüht. An diesem Novembertag aber überwiegen die gelben Blätter, die Herbststimmung, das Vergängliche, das aber im Frühjahr von neuem Leben und Blühen abgelöst werden wird.
Bürgermeisterin Sorya Lippert zitiert schließlich den großen Sohn der Stadt. Friedrich Rückert schrieb in seinen Kindertotenliedern: "Ihr habet nicht umsonst gelebt. Was kann man mehr von Menschen sagen? Ihr habt am Baum nicht Frucht getragen, und seid als Blüten früh entschwebt, doch lieblich klagen die Lüfte, die zu Grab euch tragen: Ihr habet nicht umsonst gelebt."