"Abschiebung löst die Probleme nicht"
Frage: Frau Klaissle-Walk, das Raphaelswerk bietet Rückkehrberatung für Flüchtlinge an. Um was handelt es sich dabei?
Birgit Klaissle-Walk: Wir sind ein Fachverband des Deutschen Caritasverbandes und handeln als Arbeitsstelle der Deutschen Bischofskonferenz, die sich mit Emigrationsfragen beschäftigt, also mit der Auswanderung aus Deutschland. Unsere Beratung richtet sich daher an ausreisepflichtige Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt wurde, oder solche deren Asylverfahren noch laufen, die aber überlegen, in ihre Heimat zurückzukehren.
Frage: Wie läuft eine solche Beratung für Flüchtlinge ab?
Klaissle-Walk: Zuerst fragen wir, warum der- oder diejenige sich beraten lassen will. Kommen sie freiwillig oder sind sie bereits ausreisepflichtig? Wenn die Person nicht in das Herkunftsland zurück möchte, überprüfen wir die aufenthaltsrechtliche Situation. Wir schauen dann zum Beispiel, ob bereits alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden. Wenn wir da noch Alternativen sehen, dann stellen wir sie dem Ratsuchenden vor, damit er sämtliche legale Möglichkeiten nutzen kann. Wenn die Person sich für die Rückkehr entscheidet, klären wir sie über die Konsequenzen der Rückkehr auf. Je nach Herkunftsland sind die Voraussetzungen für einen Neustart sehr unterschiedlich. Wir beraten dann, welche finanziellen Hilfen sie beantragen kann, wie Reise- oder Integrationshilfen der Internationale Organisation für Migration (IOM). In manchen Ländern gibt es auch Partnerorganisationen, die bei der Wiedereingliederung unterstützen. Dann helfen wir bei der Organisation und Vorbereitung der Ausreise. Im Idealfall haben wir mit den Flüchtlingen auch nach ihrer Rückkehr noch Kontakt, um zu sehen, ob unsere Beratung greift oder ob wir etwas ändern müssen.
Frage: Was unterscheidet das Angebot vom Raphaelswerk von staatlichen Rückkehrberatungsstellen?
Klaissle-Walk: Es gibt Rückkehrberatung, die bei den Ausländerbehörden angesiedelt ist. Unserer Meinung nach ist es sehr schwierig, dort eine glaubhaft unabhängige Beratung anzubieten, denn Ausländerbehörden sind ja gleichzeitig auch Vollstreckungsorgane: Sie fällen ordnungsrechtliche Entscheidungen und verschicken auch die Ausreisebescheide. Unter diesen Umständen können wir uns nicht vorstellen, dass diese Behörde die Flüchtlinge unabhängig und ergebnisoffen über alle rechtlichen Möglichkeiten informiert.
Frage: Vor kurzem hat die Bundesregierung ein Rückkehr-Förderprogramm beschlossen, mit dem unter anderem Asylbewerber aus bestimmten Ländern die Rückreise und eine Starthilfe bezahlt bekommen sollen, wenn sie ihren Asylantrag zurückziehen und freiwillig zurückkehren. So sollen Anreize für eine Ausreise gesetzt werden. Glauben Sie, dass das sinnvoll ist?
Klaissle-Walk: Menschen, die nicht bleiben wollen oder können, müssen zunächst einen Anspruch auf eine unabhängige, vertrauliche und ergebnisoffene Beratung haben, die über alle Aspekte der Rückkehr aufklärt. Und dann muss es finanzielle Starthilfen oder Qualifizierungsmaßnahmen geben, damit die Rückkehr gelingen kann. Es darf aber nicht so weit gehen, dass der Staat dadurch versucht, sich von seiner Verantwortung freizukaufen. Überdies würden wir nicht von einer freiwilligen, sondern von einer akzeptierten Rückkehr sprechen. "Freiwillig" ist die Rückkehr nach der rechtlichen Definition nur als Abgrenzung zur Zwangsmaßnahme der Abschiebung.
Frage: Warum sollte Deutschland denn an einer gelungenen Rückkehr Interesse haben?
Klaissle-Walk: Die Erfahrung zeigt, dass Menschen sich erneut auf den Weg machen, wenn die Situation in ihren Herkunftsländern ohne Perspektive ist – vielleicht nicht nach Deutschland, aber in ein anderes europäisches Land. Abschiebung oder Rückkehr an sich lösen die Probleme also nicht. Ein Einwanderungsgesetz könnte da mit klaren Kriterien Abhilfe schaffen: Es kursieren unter den Flüchtlingen viele Gerüchte und oft sind es diese falschen Informationen, weswegen sich die Menschen erst auf den Weg machen. Mit einem Einwanderungsgesetz könnten sie schon vorher sehen, ob sie überhaupt eine Chance hätten, in Deutschland bleiben zu dürfen. Sie kommen ja hierher, weil sie für sich und ihre Familien ein besseres Leben erhoffen – damit gleicht die Situation der vor 200 Jahren, als deutsche Auswanderer nach Amerika und Kanada gegangen sind.
Themenseite: Auf der Flucht
Die Flüchtlingskrise fordert Staat, Gesellschaft und Kirchen mit ganzer Kraft heraus. Auch die katholische Kirche in Deutschland engagiert sich umfangreich in der Flüchtlingsarbeit. Weitere Informationen dazu auf der Themenseite "Auf der Flucht".Frage: Gibt es etwas, was die Beratung des Raphaelswerks als "katholisch" kennzeichnet?
Klaissle-Walk: Die Beratung ist eine christliche, denn die Fürsorge für Flüchtlinge und Migranten gehört zum Selbstverständnis der Kirche. Schon in der Bibel kommen Flucht und Migration vor, etwa beim Auszug aus Ägypten, in der Weihnachtsgeschichte oder im Matthäusevangelium: "Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen". Generell fällt die Flüchtlingshilfe also unter den Schutz von und die Hilfe für Bedürftige, zu der wir aufgefordert sind.
Frage: Wie kommt es, dass sich ein katholisches Hilfswerk mit dem Thema Auswanderung beschäftigt?
Klaissle-Walk: Das liegt am Ursprung des Raphaelswerks. 1871 wurde es gegründet, um Auswanderern in den Hafenstädten zu helfen und sie auf ihrer Überfahrt und dem Neustart in Übersee zu begleiten und zu beraten. Die Bordseelsorge spielte eine wichtige Rolle. In der neuen Welt angekommen, wurden Mentoren für sie organisiert, meist auch Auswanderer, die beim Ankommen helfen konnten. Das Prinzip der Hilfe durch bestmöglichste Information ist also bis heute gleich geblieben.