Eine Kirche zwischen Wachstum und Entfremdung
Einige Pfarreien sind flächenmäßig so groß wie Belgien, der Gottesdienstbesuch wird mancherorts zum Wochenendausflug. Der Anteil der Katholiken liegt in den Ländern Nordeuropas unter fünf Prozent. Für die dortigen katholischen Bischöfe kein Grund zur Verzweiflung. Im Gegenteil: "Die Kirche im Norden wächst", sagt der Vorsitzende der Nordischen Bischofskonferenz und Bischof von Kopenhagen, Czeslaw Kozon - und gibt sich optimistisch.
Gemeinsam mit seinen Kollegen aus Schweden, Norwegen, Finnland und Island tagt er noch bis Freitag in Hamburg. Die Bischöfe sind dort zu ihrer Vollversammlung zusammengekommen. Wie sie mit den steigenden Zahlen umgehen, ist eines ihrer Themen. "Wir müssen an vielen Orten neue Kirchen schaffen", sagt Kozon. Das Wachstum ist vor allem den zahlreichen Einwanderern zu verdanken, die insbesondere aus dem katholischen Polen, aus Litauen, aber auch von den Philippinen und aus Vietnam kommen. Die Zahl der Katholiken stieg von rund 270.000 im Jahr 2011 auf aktuell rund 340.000, das ist ein Wachstum von mehr als 20 Prozent in 6 Jahren.
Die Zahl der Priesterberufungen in den nordischen Ländern bleibt zwar konstant, reicht aber nicht, um die neu Zugewanderten zu versorgen. Gotteshäuser würden teilweise von evangelischen Kirchen übernommen, teilweise neu gebaut. In der Kathedrale von Oslo würden bis zu zehn Messen am Tag gefeiert, alle seien gut besucht, berichtet die Generalsekretärin der Bischofskonferenz, Schwester Anna Mirijam Kaschner.
Kopfzerbrechen bereitet allenfalls das am südlichsten gelegene Dänemark, wo es traditionell dichte katholische Strukturen gab und wo die Zahl der Gläubigen - ähnlich wie auf dem europäischen Kontinent - abnimmt. Vier Kirchen mussten in den vergangenen Jahren geschlossen werden. "Das war ein radikaler Prozess, der aber glatt gegangen ist", sagt Kozon. Auf ähnliche Entwicklungen in Deutschland blickt Kozon mit Sorge. Die Umstrukturierungen in den hiesigen Diözesen und Pfarreien seien teilweise "zu radikal". Es würden Gemeinden geschaffen mit einer Größe, wie man sie nicht einmal in Skandinavien kenne. Einen Alternativ-Vorschlag für die deutschen Bischöfe hat er jedoch nicht parat.
Das "Salz des Nordens" als Vorbild
Einige deutsche Kollegen bekunden in einem gemeinsamen Gottesdienst im Hamburger Mariendom am Donnerstag ihre Verbundenheit mit den nordischen Ländern. Sie blicken auf 50 Jahre Ansgar-Werk der Diözesen Hamburg und Osnabrück zurück, eine Einrichtung, die die Katholiken in Nordeuropa finanziell unterstützt. Als "Salz des Nordens" bezeichnet der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode das Werk laut vorab verbreitetem Manuskript und sieht in der Diaspora-Kirche auch ein Vorbild für die eigene Herde: "Lernen wir von den Christen des Nordens, wie notwendig für uns alle das Zeugnis und die Verantwortung jeder und jedes Einzelnen sind."
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Norwegen - das steht für Wintersport und Öl-Reichtum. Für die katholische Kirche steht das Land dagegen eher nicht. Doch auch wenn sie klein und arm ist: Die Kirche in Norwegen ist bunt und wächst. (Artikel von Mai 2016)Hier wie dort sehen sich die Katholiken vor ähnlichen Herausforderungen: Bischof Kozon spricht von einer jungen Generation, die sich zunehmend von der Kirche entfremde, von Zuwanderung durch Flüchtlinge und von wachsendem Populismus. Die verschärfte Asylpolitik einiger skandinavischer Länder will Kozon nicht näher kommentieren. Von den Christen in Skandinavien wünscht er sich aber - auch angesichts der wachsenden Zahl von Muslimen -, dass sie mehr Profil zeigten: "Es würde unseren Ländern sehr viel mehr Rückhalt geben, wenn das Christentum lebendiger wäre." Insgesamt habe er keine Bedenken, dass Skandinavien die vielen Flüchtlinge aufnehmen könne.
Mit seiner positiven Sicht auf die Dinge ist der Kopenhagener Bischof offenbar nicht allein: Im März hieß es im Weltglücksbericht der Vereinten Nationen, dass im Norden Europas die glücklichsten Menschen lebten. Ein Ergebnis, an dem Kozon einige Zweifel hat: "Die Zufriedenheit der Skandinavier will ich nicht leugnen, aber unter der Oberfläche gibt es doch viele Probleme in der Gesellschaft." Er denke etwa an die vielen kaputten Familien und an eine hohe Suizidrate. "Aber wahrscheinlich nehmen die Skandinavier diese Probleme und die anderen Gefahren, die es in der Welt gibt, einfach nicht so ernst."